Interview mit Annika Sehl Über die Aufgaben und Herausforderungen des Zukunftsrats
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03. Mai 2023, 15:52 Uhr
Prof. Dr. Annika Sehl ist Mitglied im Zukunftrat, den die Medienpolitik als Berater-Gremium für die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ins Leben gerufen hat. Im Interview mit MEDIEN360G spricht Expertin für Medienstrukturen und Gesellschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt die zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen in dieser Position.
MEDIEN360G: Medien360G ist zu Gast an der Uni Eichstätt. Wer noch nie in Eichstätt war - das ist eine wunderschöne Barockstadt mit zwei Bahnhöfen. Der eine heißt "Eichstätt Bahnhof" und ist überhaupt nicht in Eichstätt, sondern sechs Kilometer vor Eichstätt. Ich bin jetzt gerade die Strecke gelaufen, weil der kleine Verbindungszug, der "Eichstätt Bahnhof" und "Eichstätt Stadt" verbindet, nicht gewartet hat. Da gab es ein bisschen Verspätung. Und jetzt bin ich aber da, in der Katholischen Universität Eichstätt, am Institut für Journalismus. Und da lehrt seit wie lange jetzt?
Prof. Dr. Annika Sehl: Seit Oktober.
MEDIEN360G: Seit Oktober letzten Jahres, Annika Sehl. Was lehrst du hier genau?
Prof. Dr. Annika Sehl: Das ist der Lehrstuhl für Journalistik mit dem Schwerpunkt Medienstrukturen und Gesellschaft. Ich lehre also im Studiengang Journalistik.
MEDIEN360G: Wir sagen du zueinander, denn wir kennen uns schon ganz schön lange. Wir haben nämlich auch selber zusammen oder mit einem zeitlichen Abstand in Dortmund an der Universität studiert und sind uns im Leben immer mal wieder begegnet. Und jetzt hat diese heutige Begegnung einen ganz besonderen Grund: Wir beschäftigen uns ja mit der Reform der öffentlich-rechtlichen Medien. Und da hat die Medienpolitik einen Zukunftsrat ins Leben gerufen, der die Medienpolitik beraten soll bei dieser Reform. Und in diesem Zukunftsrat sitzt Annika Sehl. Hat es dich überrascht, dass du da gefragt wurdest, da plötzlich drin zu sein.
Prof. Dr. Annika Sehl: Na ja, das ist ja nichts, was man erwartet. Das ist passiert. Insofern hat es mich sehr gefreut, und ich begreife das als große Ehre, aber auch als große Aufgabe und Herausforderung. Es ist sicherlich ein dickes Brett, das da zu bohren ist, aber gleichzeitig eben auch eine große Chance.
MEDIEN360G: Wie muss man sich das vorstellen? Wie passiert sowas? Klingelt da das Telefon, und dann sagt eine belegte Stimme: "Ich verbinde Sie mit der Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder, die Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen hat"?
Prof. Dr. Annika Sehl: Na ja, also die Rundfunkkommission hat ja dann benannt, sozusagen, wer dort Mitglied wird. Und dann habe ich es entsprechend auch erfahren.
MEDIEN360G: Das heißt, du bist schon vorher gefragt worden? Es gab ja so Irritationen bei Anke Schäferkordt, der ehemaligen RTL-Chefin, die offensichtlich auch in der engeren Wahl war. Und die hat es aus der Zeitung erfahren, dass sie offensichtlich mit da 'rein sollte und hatte dann keine Zeit.
Prof. Dr. Annika Sehl: Es ist sicherlich sinnvoll, dass man Leute fragt, über die man nachher abstimmen möchte.
MEDIEN360G: Es gab ja ein bisschen politisches Tauziehen am Anfang: Wer soll in den Zukunftsrat rein? Das ist von den 16 Bundesländern bestimmt worden. Die werden logischerweise alle von verschiedenen Regierungen, von verschiedenen Koalitionen regiert. Da hat mal die SPD das Sagen mal die CDU, mal die Grünen und die Koalitionen sind dann auch noch einmal ganz anders zusammengewürfelt. Hat dich das in irgendeiner Weise betroffen, dieses politische Tauziehen, das es da am Anfang gab?
Prof. Dr. Annika Sehl: Ich begreife den Zukunftsrat, und genau das soll er ja auch sein, als unabhängiges Gremium - und eben nicht als politisches Gremium. Und ich verstehe mich selbst auch als unabhängige Wissenschaftlerin, und als solche bringe ich mich in den Zukunftsrat ein.
MEDIEN360G: Das heißt, für dich spielt es auch keine Rolle, wer dich da vorgeschlagen hat oder dass du sagst, ich laufe mit der und der Fahne vorweg?
Prof. Dr. Annika Sehl: Nein. Überhaupt nicht.
MEDIEN360G: Ihr habt euch ja konstituiert, wenn ich das richtig sehe. Oder der Zukunftsrat sollte sich konstituieren an diesem Montag. Das hat stattgefunden?
Prof. Dr. Annika Sehl: Ach, ich möchte jetzt gar nicht so viel darüber sprechen, was stattgefunden hat oder nicht. Ich denke, wir können allgemein gerne über die Reformen reden, gerne über meine Forschung zu dem Thema…
MEDIEN360G: Du hast gesagt, es geht vor allen Dingen um Journalismus und Gesellschaft in deinem Forschungsschwerpunkt. Und der Zukunftsrat hat ja – das hat Heike Raab, die Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder aus Rheinland-Pfalz auf Staatssekretärsebene -, die hat das jetzt am Wochenende bei einer Tagung in Tutzing nochmal gesagt, eine ganz wichtige Aufgabe: Wo sie sich vom Zukunftsrat Hinweise wünschen, ist ja eben auch die Frage "Wie können die Öffentlich-Rechtlichen künftig die Menschen erreichen, vielleicht auch besser erreichen als heute?"
Prof. Dr. Annika Sehl: Genau richtig. Der Zukunftsrat versteht sich ja als ein Gremium oder als ein Rat, der sozusagen Empfehlungen entwickeln soll für die Rundfunkkommission, um eben die langfristige Entwicklung oder die Perspektive für öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sichern und auch seine Akzeptanz quasi über das laufende Jahrzehnt hinaus. Und das wird entsprechend dann auch die Aufgabe sein, hier beratend tätig zu sein,
MEDIEN360G: So aus deiner Forschung. Journalismus und Gesellschaft. Was, was würde dir zuerst einfallen? Was wären das für Dinge, die da dringend mal angegangen werden müssten?
Prof. Dr. Annika Sehl: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ja in Deutschland sehr, sehr lange eine großes Vertrauen, eine große Akzeptanz genossen. Das ist dann im vergangenen Jahr auch durch die Skandale beim RBB doch ins Wanken geraten. Also ich denke, eine wesentliche Aufgabe ist die Akzeptanz in der Bevölkerung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber natürlich sind auch viele Herausforderungen, die extern an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk herangetragen worden sind. In Deutschland übrigens sprechen wir noch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das heißt in den meisten anderen Ländern schon öffentlich-rechtliche Medien. Und das eben aus einem Grund also das, was gestartet ist als Radio - und dann später auch Fernsehanstalten - ist längst natürlich auch um Digitalen angekommen. Aber da wird es natürlich auch darum gehen, dass das sich entsprechend dann auch weiterentwickelt, an die aktuelle Mediennutzung sich auch weiter anpasst. Denn viele Menschen nutzen natürlich heute zum Beispiel Nachrichten vorwiegend digital. Also das ist sicherlich eine Herausforderung, die Akzeptanz. Dann natürlich auch die Mediennutzung der Zukunft. Dass man hier quantitativ und qualitativ entsprechend Angebote bereitstellt und dabei auch alle Gruppen in der Bevölkerung mitnimmt, für alle attraktiv ist. Da ein plurales Angebot entsprechend anbietet.
MEDIEN360G: Muss dann die Medienpolitik aber nicht noch ein bisschen nacharbeiten. Denn wir haben ja immer noch auch nach dem jüngsten Medienänderungsstaatsvertrag bestimmte Beschränkungen, was das Online-Angebot der Öffentlich-Rechtlichen angeht. Dass heißt, sie dürfen ja gar nicht alles, was vielleicht jemandem so einfällt, um zu sagen, so erreiche ich dann wirklich einen größeren Nutzerkreis. Ist da auch Reformbedarf im medienpolitischen Bereich?
Prof. Dr. Annika Sehl: Es ist tatsächlich in Deutschland stärker beschränkt, was die Online-Aktivitäten betrifft, auch im internationalen Vergleich. Aber das ist natürlich daher gekommen – und da habe ich mich auch in meiner eigenen Forschung mit beschäftigt –, mit diesem Crodwing-Out-Argument, teils von einigen politischen Parteien, aber vor allem natürlich Lobbyarbeit von den privaten Verlagen, auch in Deutschland mit dem Argument, dass die Öffentlich-Rechtlichen, wenn sie online zu stark würden, die Privaten vom Markt drängen könnten. Oder in sehr weiten Bereichen ihre Einnahmen reduzieren könnten. Und ich habe mich mit Kollegen des Reuters Instituts in Oxford damit beschäftigt, mit Richard Fletcher und auch mit Robert Picard und ein Paper dazu geschrieben zu diesem Crowding-Out-Argument basierend auf Statistiken, die öffentlich zugänglich sind. Und wir haben herausgefunden – und das deckt sich mit anderer Forschung dazu –, dass zumindest für die elektronischen Medien, die traditionellen Medien, dieses Argument nicht greift. Im Gegenteil: In Märkten, in denen es einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, stehen auch die Privaten besser da und haben größere Einnahmen. Ein Kollege hat das "Race to top" genannt, also, dass man sich sozusagen gegenseitig beflügelt. Und dass es da keinen Schaden für die privaten Anbieter gibt. Man muss allerdings sagen, wir haben das über alle Länder hinweg gerechnet und nicht im Zeitvergleich der Länder. Wir haben uns auch Online-Angebote angeguckt. Da sind die Daten aber deutlich beschränkter, die schon verfügbar sind. Vielleicht sollten wir diese Studie – das ist ja schon ein paar Jahre her - jetzt noch einmal wiederholen. Jetzt gibt es inzwischen ein bisschen mehr Daten. Aber damals war das Ergebnis, und auch das deckt sich mit der allerdings sehr wenigen Forschung, die es von anderen gibt, haben wir keine Belege für das Crowding-Out-Argument gefunden haben. Aber die Befunde waren hier doch ein bisschen gemischter, so dass ich da mit deutlich mehr Vorsicht hantieren würde.
MEDIEN360G: Aber man kann schon zusammenfassen: Konkurrenz belebt das Geschäft. Und so einen richtig knallharten Fall, wo man sagen kann, weil die Öffentlich-Rechtlichen online jetzt auch aktiv sind, ist Titel A oder Medium B von der privatwirtschaftlichen Seite insolvent gegangen, musste zumachen – solche Fälle gibt es eigentlich nicht.
Prof. Dr. Annika Sehl: So sieht es nicht aus.
MEDIEN360G: Regionalität ist ja jetzt auch ein ganz großer Schwerpunkt in der Debatte. Vor allen Dingen mit Blick auf die ARD, die ja durch ihre föderale Aufstellung, also die verschiedenen Anstalten in den einzelnen Bundesländern, dafür prädestiniert ist. Regionale Vielfalt sichern und ausbauen ist eine Arbeitsaufgabe, die ihr als Zukunftsrat mit auf den Weg bekommen habt. Gibt es für dich so eine Art Idealvorstellung, wie ein öffentlich-rechtliches Mediensystem regional ausgebaut sein müsste, damit man sagen kann: Das ist jetzt wirklich mal ein toller Zustand.
Prof. Dr. Annika Sehl: Was das Inhaltliche betrifft, würde ich mich da jetzt noch zurückhalten wollen. Ich habe da schon eine Vorstellung von, aber ich denke, es ist wichtig, dass wir es erst im Zukunftsrat diskursiv gemeinsam diskutieren, bevor man da mit Vorstellungen oder Zielen nach draußen geht. Aber grundsätzlich ist das natürlich schon so, dass das als eine Aufgabe formuliert ist. Dass wir uns auch mit regionaler Vielfalt auseinandersetzen sollen in dieser Kommission. Und dass das natürlich auch in einem föderalen Mediensystem jetzt schon natürlich auch schon vorhanden ist. Es wird jetzt darum gehen, wie man da Chancen und Herausforderungen nutzen kann und vielleicht auch stärker – so ist es ja auch formuliert im Arbeitsauftrag – stärker anstaltsübergreifende zusammenarbeiten kann.
MEDIEN360G: Aber ist das nicht eigentlich ein Widerspruch zu sagen, wir wollen regional vielfältig sein, aber gleichzeitig lecker zusammenarbeiten? Da geht die Regionalität doch wieder flöten. Wir haben ja die berühmten Beispiele: Jan Böhmermann hat da ja verdienstvoll schon mal was zusammengeschnitten, wo es wirklich relativ ähnlich aussah oder in Wirtschafts- und Service-Magazin dieselben Tests gemacht wurden. Trotzdem könnte man argumentieren, dass auch bei solchen Themen oder erst recht, wenn es um Kultur und ähnliches geht, einen Unterschied macht, ob es eine regionale Geschichte aus der Stadt A ist oder aus der Region B.
Prof. Dr. Annika Sehl: Es gibt sicherlich Themen, die man regional nur in der Stadt A erzählen kann und andere nur in der Stadt B. Das muss man einfach differenziert betrachten. Aber es gibt andere Themen, die sind sozusagen regional heruntergebrochen. Da gibt es dann sicherlich auch wieder Synergien. Also ich glaube, das sind Themen, die man sehr, detailliert und strukturiert durchdiskutieren muss.
MEDIEN360G: Es soll bei euch auch um grundsätzliche Aufsichts und Kontrollstrukturen gehen, hat Heike Raab gesagt. Du hast den RBB-Skandal ja schon erwähnt - wie ist deine Position? Heike Raab hat gesagt, es gibt nach ihrer Meinung kein systemisches Versagen - also das Gesamtsystem öffentlich-rechtlicher Rundfunk, das sei schon in Ordnung. Es waren jetzt, wie sagte man früher immer so schön, "bedauerliche Einzelfälle"? Bist du der gleichen Meinung? Oder würdest du sagen - es gibt ja auch die Meinung, die sagt, an diesem System ist was insgesamt faul: Beispielsweise diese Intendantenverfassung mit Intendantinnen und Intendanten, die eine unglaubliche Machtfülle haben und zumindest auf dem Papier auch ihre Anstalt alleine nach außen vertreten können.So, dass eben dann unter Umständen, wie beim RBB geschehen, keiner mehr reingrätscht und eine einzelne Intendantin plötzlich Dinge tun kann, die sich hinterher als ziemlich schwierig erweisen.
Prof. Dr. Annika Sehl: Ich persönlich glaube, das ist eine Mischung. Ich denke und hoffe, dass dieser Skandal, in diesem Umfang schon ein Einzelfall war. Gleichzeitig hat er natürlich Schwächen in diesem System offenbart, auf die ja teilweise auch schon mit stärkeren Transparenzmechanismen reagiert worden ist. Ich glaube, grundsätzlich – ganz abgesehen von diesem Fall oder vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk allgemein –, könnte man sagen: Immer dann, wenn solche Skandale möglich sind, gibt es eine Notwendigkeit zu prüfen, ob es strukturelle Schwächen im System gibt, dies aufzudecken und zu beheben gilt. Und insofern kann so etwas auch immer eine Chance sein.
MEDIEN360G: Ums liebe Geld scheint es bei der Arbeit des Zukunftsrats erstmal nicht zu gehen. Ist das so?
Prof. Dr. Annika Sehl: Fürs Geld ist ja die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, Anm. d. Red.) zuständig.
MEDIEN360G: Aber ist das nicht ein bisschen verlogen? Ich gewinne in der gesamten Reformdebatte schon den Eindruck – natürlich wird auch über vieles andere geredet –, dass es ganz vielen aktiven Medienpolitikern vor allen Dingen darum geht, möglichst den Rundfunkbeitrag stabil zu halten. Zu gucken – Synergien hattest du schon erwähnt –, dass kostensparender gearbeitet wird, mehr Kooperation passieren und vor allem nach Möglichkeit weniger Geld ausgegeben wird. Versucht man da eine Quadratur des Kreises?
Prof. Dr. Annika Sehl: Nein, das glaube ich nicht. Also in dem öffentlich zugänglichen Arbeitsauftrag an den Zukunftsrat heißt es ja, dass unsere Vorschläge im Einklang mit der Stabilisierung der Ausgabenseite der öffentlich-rechtlichen Medien stehen sollen. Und das heißt ja, dass es nicht ewig steigen kann, sondern dass es zumindest stabil bleiben muss. Das wurde durchaus mitgedacht.
MEDIEN360G: Du hast die KEF erwähnt, das ist die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Die errechnet, wie viel Geld ARD, ZDF und Deutschlandradio bekommen sollen. Die schon erwähnte Heike Raab hat klar gemacht, dass der Zukunftsrat keine ähnliche Konstruktion ist. Die KEF ist ja durch gesetzliche Grundlagen geschaffen. Der Zukunftsrat soll eher ein Thinktank sein. Tanks gibt es natürlich jetzt eine ganze Menge. Wie wirksam wird das Ganze sein? Welche Rolle spielen Thinktanks eigentlich generell bei solchen wissenschaftlichen Beratungsvorgängen in der Politik?
Prof. Dr. Annika Sehl: Das kommt ja häufiger vor, dass Thinktanks eingesetzt werden, zur Beratung der Politik und auch in anderen Bereichen. Die Chance liegt darin, dass es eben ein unabhängiges Gremium ist, in dem viele Wissenschaftler sind, aber auch andere – und das sehr interdisziplinär zusammengesetzt ist. Wo viele unterschiedliche Kompetenzen zusammenkommen und auf dieser Basis unabhängig Empfehlungen erarbeitet werden können, die an die Politik weitergegeben werden. Die Entscheidung liegt am Ende bei der Politik
MEDIEN360G: Bunt zusammengesetzt hast du jetzt gesagt: Es gab aber auch Kritik am Zukunftsrat, dass niemand von den Macherinnen und Machern drin ist, dass auch die kreativen Berufe fehlen. Also die, die Programm machen oder Menschen aus den Sendern, die wirklich wissen, wo da oben und unten ist und die vielleicht die eine oder andere Vorstellung, von Menschen, die da eher von draußen darauf gucken, korrigieren können. Wie siehst du das?
Prof. Dr. Annika Sehl: Also ich habe die Entscheidung nicht getroffen, wer in diesem Rat sitzt. Aber ich denke, dass da durchaus auch Personen mit praktischer Kompetenz vertreten sind.
MEDIEN360G: Stimmt, wir haben Bettina Reitz: Die war langjährig auf der Produktionsseite für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätig, war auch mal eine Zeit lang Fernsehdirektorin beim Bayrischen Rundfunk. Jetzt ist sie an der Filmhochschule. Also da ist sicherlich Praxis, keine Frage. Man hat ja immer so das Gefühl in diesem Debatten, wir müssen da möglichst alle einbinden. Macht das aus deiner Sicht Sinn, sozusagen zu versuchen, alle einzubinden und dann den ganz großen Wurf zu machen?
Prof. Dr. Annika Sehl: Ich denke, wir werden uns im Zukunftsrat darüber verständigen, ob und wie und wen man da einbindet. Ich denke, das sind alles Dinge, die zu denen man aktuell noch nichts sagen kann.
MEDIEN360G: Gibt es denn schon einen ungefähren Fahrplan? Wie oft trifft sich der Zukunftsrat? Gibt es irgendwo eine Deadline, wann geliefert werden soll? Oder ist das erst einmal alles "in the making" wie das so schön heißt?
Prof. Dr. Annika Sehl: Ich glaube, da gibt es nichts, was man jetzt öffentlich verkünden könnte oder sollte. Es ist ja definiert worden, das ungefähr im Herbst ein Bericht vorliegen soll. Ich glaube, es ist gut, wenn der Zukunftsrat jetzt erst einmal vertraulich zum Arbeiten kommt, sich austauschen kann. Und dann, wenn es die Zeit gebietet, man sich mit Vorschlägen wieder meldet,
MEDIEN360G: Es sind ja auch viele andere Truppen unterwegs. Die Medienkommission der Parteien – man könnte fast etwas ketzerisch sagen – sind wieder aufgewacht und kümmern sich. Die Bundesländer, bzw. einzelne Bundesländer haben auch Arbeitsgruppen gegründet. Es gibt dazu noch zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Initiative "Unsere Medien" wo die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen auch mit drin ist, wo es einfach darum geht, dass sich Menschen aus allen verschiedenen Bereichen Gedanken machen, Input liefern. Siehst du das als Konkurrenz? Oder funktioniert das alles sozusagen parallel und gemeinsam wird ein Schuh draus?
Prof. Dr. Annika Sehl: Ich persönlich denke, es schadet ja nicht, wenn viele Menschen sich konstruktiv Gedanken überöffentlich-rechtlichen Rundfunk machen.
MEDIEN360G: Eine Sache, die mich ein bisschen erstaunt hat, ist, dass diese sogenannten partizipativen Elemente – also des Mitmachens, der Teilhabe, bislang kein großes Thema sind. Dabei ist das ist ja eine große Diskussion jetzt gerade auch beim RBB gewesen: Inwieweit Mitarbeitende der öffentlich-rechtlichen Sender viel stärker in solchen Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden sollen. Und wie auf der anderen Seite aber auch die Beitragszahlerinnen und Zahler selber, also die Nutzerinnen und Nutzer, die den ganzen Spaß finanzieren und für die er ja auch gemacht wird. Die Debatte um Publikumsräte und so weiter: Das flammt hier in Deutschland immer mal kurz auf, aber versandet dann auch wieder sehr sehr schnell. Wie ist deine Beobachtung?
Prof. Dr. Annika Sehl: Ja, das ist alles in der Diskussion natürlich vorgekommen, das Publikum einzubinden. Ich selber habe ja auch viel geforscht über Partizipation am Journalismus. Es geht hier jetzt nicht direkt um Journalismus, aber das Potenzial und die Ideen von Bürgerinnen und Bürgern zu nutzen. Ob und wie das nachher im Zukunftsrat eine Rolle spielt, da würde ich wieder darauf verweisen, dass dieser Rat sich jetzt erst mal finden und intern besprechen muss.
MEDIEN360G: Du hast da ja in deiner Forschung herausgefunden, dass, mal ganz vorsichtig gesagt, mehr dafür spricht, dieses Potenzial zu nutzen, als zu sagen: "Wir haben alle keine Ahnung und da lassen wir mal besser die Finger von. Von daher kann ich mir durchaus vorstellen, dass das eine produktive Diskussion wäre. Wir haben ja auch Länder wie Österreich und andere, wo es Publikumsräte gibt. Das ist nie das Allheilmittel oder das Gelbe vom Ei. Das ist ja auch eine absurde Erwartung, dass man irgendwo den Stein der Weisen findet, und dann ist eine Lösung für alle Probleme da. Das wird es ja sicherlich nicht sein. Aber ich glaube, dass man auf ganz vielen verschiedenen Weg unterwegs sein sollte. Wenn wir jetzt mal den Zukunftsrat Zukunftsrat sein lassen: Was sagt denn die Journalistik-Professorin Prof. Dr. Annika Sehl und vor allen Dingen die Medienkonsumentin Annika Sehl, wo denn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und im gesamten öffentlich-rechtlichen die größten Baustellen sind?
Prof. Dr. Annika Sehl: In den vergangenen Jahren – und da sind viele Anstalten auch schon weit gekommen – war das natürlich die Transformation von Newsrooms, vor allem auch beim Radio und Fernsehen in die Online-Welt.
MEDIEN360G: Also dass sich alle Redaktionen nicht mehr klassisch aufteilen in Radio, Fernsehen und irgendjemand macht dann noch ein bisschen das Internet. Sondern dass das jetzt alles gemeinsam läuft.
Prof. Dr. Annika Sehl: Genau, dass man das sozusagen zusammen denkt. Das ist sicherlich eine Sache. Eine andere Sache ist, dass wir – das hast du gerade schon gesagt: Wir leben in einer extrem dynamischen Medienlandschaft. Da braucht es natürlich Prozesse, um innovativ und auch schnell neue Medienformate zu entwickeln. Da habe ich mich viel meiner Forschung am Reuters-Institut in Oxford mit beschäftigt: Was hier erfolgreiche Strategien sind, auch bei der Produktentwicklung. Auch da spielt tatsächlich die Einbindung des Publikums eine große Rolle. Vor allem, wenn man vorher wissen möchte oder eine Idee bekommen möchte – ich formuliert das mal ein bisschen vorsichtiger –, was nachher funktionieren könnte und was vielleicht auch nicht. Es kommt darauf an, dass man Prozesse entwickelt, um möglichst schnell neue, innovative Formate zu finden und aber auch die, die dann eben nicht funktionieren, auch wieder schnell runterzunehmen, um sich weiter zu bewegen. Also so ein bisschen: Man schickt viele Schiffe raus und guckt, welches Schiff übersteht den Sturm und die Bedingungen, die da draußen herrschen? Und welches Schiff geht vielleicht unter? Dass dann ein paar untergehen, ist möglicherweise auch gar nicht so schlimm. Hauptsache genügend bleiben über Wasser. Das ist aber ein anderer Blick, als dies vor zehn oder 20 Jahren der Fall war. Das geht online aber auch anders und besser, weil man nicht mehr dieses große Finanzvolumen wie beim klassischen linearen Fernsehen braucht.
MEDIEN360G: Das ist nämlich viel teurer.
Prof. Dr. Annika Sehl: Genauso ist es. Insofern kann man da auch ein bisschen mehr experimentieren. Und ich denke, das sollte man auch. Eine dritte wesentliche Herausforderung ist natürlich die Vielfalt an Ausspielwegen und insbesondere auch der Umgang mit Fremdplattformen: Welche Strategien man dafür hat, ob man da entsprechend präsent sein will. Und wie man da mit diesem Abhängigkeitsverhältnis umgeht, das natürlich existiert. Denn selbst für große Medienanstalten – egal ob öffentlich-rechtliche Anstalt privatwirtschaftlich organisierte Medienorganisation, sind die Machtverhältnisse, zu den die privatwirtschaftlich organisierten Medien schauen, da eher vom monetären, wirtschaftlichen Aspekt drauf. Sie schauen, ob das was an Klickzahlen und damit an Werbeeinnahmen bringt oder nicht? Was können wir damit an neuen Abos generieren oder auch nicht? Was ziehen die uns aus dem Werbekuchen raus? Das ist füröffentlich-rechtliche Medien ein anderer Blick, weil da die Finanzierung über den Rundfunkbeitrag gesichert ist. Da geht es dann eher um Fragen wie: Welche Zielgruppen kann da erreichen? Aber natürlich trotzdem auch um die Frage der Abhängigkeit.
MEDIEN360G: Das wir eine der Fragen sein, mit die euch dann auch im Zukunftsrat beschäftigt. Denn es soll ja auch um neue Strukturen für die Öffentlich-Rechtlichen gehen. Dann wünschen wir da ganz viel Erfolg bei…
Prof. Dr. Annika Sehl: Dankeschön.
MEDIEN360G: .. sind gespannt und kommen garantiert wieder, wenn erste Ergebnisse vorliegen und würden uns freuen, wenn wir die dann wieder mit dir diskutieren dürfen.
Prof. Dr. Annika Sehl: Wenn die vorliegen, gerne.
MEDIEN360G: Dann ganz herzlichen Dank für das Gespräch!