Diskussion um MDR-Staatsvertrag Will Thüringen den MDR verlassen?
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19. Februar 2021, 17:15 Uhr
Fast 30 Jahre ist der MDR-Staatsvertrag zwischen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen alt – nun soll das Dokument erneuert werden. Darauf haben sich die Regierungschefs der mitteldeutschen Länder verständigt. Allerdings stößt der Vertragsentwurf auf Kritik. MDR MEDIEN360G beantwortet die wichtigsten Fragen zu der Diskussion.
Was ist da eigentlich beim MDR los? Ich habe gehört, dass Thüringen beim MDR austreten will?
Der MDR, also der Mitteldeutsche Rundfunk, ist eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt, die 1991 gemeinsam von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gegründet wurde. Wozu der MDR eigentlich da ist und was er machen soll, also zum Beispiel wie viele Programme, legen die drei Bundesländer fest. In anderen Bundesländern, wo wie in Bayern der Bayerische Rundfunk (BR) nur für Bayern funkt, heißt das dann BR-Gesetz. Weil beim MDR gleich drei Länder mit von der Partie sind, heißt das ganze Staatsvertrag. Der soll nun erneuert werden. Zu dieser Neufassung hat Thüringen eine Erklärung abgegeben, die eine Kündigung des noch nicht verabschiedeten Vertrages androht, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt werden.
Also will Thüringen den MDR verlassen?
Jein. Einerseits hat Thüringen den neuen Entwurf für den Staatsvertrag nach jahrelangen Diskussionen auf den Weg gebracht. Das tut man sicher nicht, wenn man den MDR verlassen will. Aber: Thüringen fühlt sich seit 30 Jahren benachteiligt. Alle drei Länder haben jeweils ein großes MDR-Landesfunkhaus in ihren Hauptstädten, also in Dresden, Magdeburg und Erfurt. Daneben gibt es in Sachsen und Sachsen-Anhalt noch jeweils zwei weitere MDR-Standorte – die Programmdirektion Halle und die Programmdirektion Leipzig. Das hat nicht der MDR entschieden, sondern es steht so im Staatsvertrag von 1991 und auch in der geplanten Neufassung. Im Staatsvertrag ist dafür der Sitz der MDR-Werbegesellschaft in Erfurt festgeschrieben. Der KiKA sitzt auch in Erfurt, das aber kommt nicht aus dem MDR-Staatsvertrag, sondern war eine Entscheidung von ARD und ZDF mit dem MDR als Trägeranstalt.
Obwohl also die MDR-Beteiligungen in Erfurt sind und kürzlich mit der Fusion von MDR-Werbung und der bisher in Leipzig angesiedelten Drefa Media Holding des MDR zur neuen MDR Media GmbH mit Sitz in Erfurt gestärkt wurden, argumentiert Thüringen, dass das im Vergleich zu den beiden anderen Ländern zu wenig ist.
Und was hat es jetzt mit dieser angedrohten Kündigung auf sich?
Im neuen Staatsvertrag ist eine Regelung aufgenommen, nach der der MDR verpflichtet wird, darauf hinzuwirken, mehr nach Thüringen zu geben. In einer gesonderten Erklärung hat Thüringen erklärt, den Vertrag zu kündigen, wenn das nicht geschieht. Der MDR sieht das als Drohung und hat darauf hingewiesen, dass das aus seiner Sicht in seine Freiheit eingreift.
Was will Thüringen denn genau?
Im neuen Staatsvertrag steht, dass der MDR sein Geld, also seine Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag, künftig „anteilig“ auf die drei Bundesländer verteilen soll. Nach dem Motto: In jedem Bundesland soll der MDR genau so viel ausgeben, wie dort über den Rundfunkbeitrag eingenommen wird. Das soll das erste Mal nach einem halben Jahr und dann alle drei Jahre überprüft werden.
Und was sagt der MDR dazu?
Der MDR hält dagegen, dass sein Auftrag laut Gesetz ist, Programm zu machen und nicht Beitragsgeld zurück in die Bundesländer zu verteilen. Zudem verweist der MDR darauf, dass im Staatsvertrag ja auch festgeschrieben ist, dass die zentralen Bereiche des MDR in Leipzig und Halle stehen sollen.
Wie wahrscheinlich ist also das Ausstiegsszenario von Thüringen?
Die Drohung, dass Thüringen den MDR verlässt, gab es schon einmal. 2016 hat Thüringen angedeutet, sich dem Hessischen Rundfunk anzuschließen. Aber so einfach ist es nicht.
Warum?
Das Risiko wäre sehr groß und es dauert. Die Kündigungsfrist im Staatsvertrag beträgt zwei Jahre und es wären schwierige Fragen zu beantworten: Will Thüringen eine eigene Anstalt neu aufbauen? Der MDR ist ja nicht zuletzt deswegen als Dreiländeranstalt gegründet worden, weil ein eigener öffentlicher Rundfunk pro Bundesland schlicht zu teuer wäre. Der zuständige Medien-Staatssekretär Malte Krückels (Die Linke) aus Thüringen hat auch mehrfach gesagt, dass Thüringen klar zum MDR steht und man nach einer Kündigung Zeit für neue Verhandlungen hätte. Mit der Drohung schafft man sich also neuen Spielraum für Verhandlungen – aber es baut Druck auf.
Hätten sich MDR und Thüringen nicht einfach so verständigen können?
Es geht dabei nicht um eine Verständigung des MDR mit Thüringen, sondern um eine Verständigung der Staatsvertragsländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die drei Länder setzen den Rahmen für den MDR. Sie haben festgelegt, dass die Zentralbereiche des MDR nicht in Thüringen sind, sondern in Leipzig und Halle. Daran kann der MDR nichts ändern, sondern allenfalls auf der Ebene darunter agieren – und da ist in den vergangenen Jahren durchaus einiges geschehen:
Zum Beispiel die Ansiedlung von MEDIEN360G (Start 2017), der trimedialen Archivkoordination des MDR (2020) und die neu entstandene Tochter MDR Media (2020), die aus der vorher schon in Erfurt ansässigen MDR Werbung und der Leipziger MDR-Tochter DREFA hervorgegangen ist. Und die 2020 vom MDR neu gegründete Innovations- und Digitalagentur (ida) – eine gemeinsame Gründung mit dem ZDF – hat Anfang 2021 ein „InnovationLab Kids“ am Standort Erfurt eröffnet – auch als Partner für den KiKA.
Auch hat der KiKA, der gemeinsam von ARD und ZDF betrieben wird und bei dem der MDR für die ARD die Federführung hat, seit 1996 in Erfurt seinen Standort. Die Thüringer Staatsregierung aber hält dagegen, dass das alles nicht reiche, weil in Thüringen immer noch deutlich weniger Arbeitsplätze beim und im Umfeld des MDR angesiedelt sind als eben in Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Jetzt versucht es Thüringen also über den Staatsvertrag. Aber warum machen da Sachsen und Sachsen-Anhalt überhaupt mit?
Weil die drei Länder den Staatsvertrag schon länger ändern wollten. Die Gremien, also der Rundfunk- und der Verwaltungsrat beim MDR, sind nämlich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2014 zur Zusammensetzung des ZDF-Fernsehrats maximal mit einem Drittel an staatlichen oder staatsnahen Vertretern zu besetzen. Wer in diese Gremien darf, ist eben im Staatsvertrag geregelt. Die mitteldeutschen Länder haben bundesweit am längsten gebraucht, um die Vorgabe aus Karlsruhe umzusetzen – und sie wollen das mit den jetzt bestehenden Landtagsmehrheiten tun.
Das heißt, mit dem neuen Staatsvertrag sitzen dann weniger Politiker im Rundfunkrat?
Nein. Bei den Verhandlungen zwischen drei Bundesländern ist es hoch kompliziert, eine Einigung herzustellen. Niemand will auf etwas verzichten. Damit das Verhältnis mit dem ein Drittel zu zwei Dritteln stimmt, werden die Gremien des MDR etwas vergrößert. Der Rundfunkrat wächst von 43 auf 50 Mitglieder und im Verwaltungsrat sitzen nach dem Gesetzentwurf dann zehn statt sieben Personen. Durch die Vergrößerung der Gremien kommen jetzt gesellschaftliche Gruppen wie Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderung oder LSBTTIQ-Verbände dazu – die Regierungen der drei Länder behalten ihre insgesamt drei Sitze im Rundfunkrat, außerdem sollen künftig drei Landtage jeweils drei Vertreter dazu wählen.
Wie geht es dann jetzt weiter?
Stand heute (Februar 2021) ist der Staatsvertrag im parlamentarischen Verfahren. Das heißt, der Staatsvertrag ist von allen drei Ministerpräsidenten unterschrieben worden, jetzt stimmen die Parlamente ab. Änderungen können die Abgeordneten aber nicht mehr vornehmen – entweder, sie stimmen zu oder dagegen. Er kann also – zumindest theoretisch – noch scheitern, auch wenn das allgemein als unwahrscheinlich gilt. Gesellschaftliche Gruppen wie Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, aber auch Gewerkschaften haben deutliche Kritik an dem Entwurf des Staatsvertrags geäußert. In Thüringen und Sachsen-Anhalt werden die Landtage im März Anhörungen abhalten, in Sachsen ist dies schon passiert. Wird in allen drei Parlamenten der Regierungsvorlage zugestimmt, tritt der neue Staatsvertrag zum 1. Juni 2021 in Kraft.
Und was macht der MDR?
Der MDR hat bei dem Medienrechtler Dieter Dörr vom Europäischen Institut für Medienrecht ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass zu dem Schluss kommt, dass die geplante „Ausgabepflicht“ für die Beitragsmittel in den drei MDR-Ländern nicht zulässig ist. Und dass der Anstalt im Prinzip der ungelöste politische Streit über die gesetzliche Festlegung seiner zentralen Standorte übergeholfen wird. Gegen die Ansicht, der Rundfunkbeitrag sei weniger für die wirtschaftliche und sparsame Erstellung von Programm einzusetzen, sondern eher eine Art Wirtschafts- und Strukturförderung nach Regionalproporzen, könnte der MDR auch noch vors Verfassungsgericht ziehen.Ob er das tut, ist bisher offen.