Interview mit Anna Hansen Katapult MV: „Hoffentlich irgendwann täglich“
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10. November 2021, 14:52 Uhr
Anna Hansen ist Redakteurin bei Katapult MV. Der Ableger des Katapult-Magazins möchte den Lokaljournalismus in Mecklenburg-Vorpommern reformieren. Mit Grafiken, Karten und Bildern sollen neue Formen der Information im Lokalen entstehen und somit auch kleineren Orten eine Stimme gegeben werden. Steffen Grimberg spricht für MEDIEN360G mit der Redakteurin.
Wir widmen uns heute einem ganz spannenden Projekt in Mecklenburg-Vorpommern. Das ist zwar nicht ganz unser Sendegebiet, aber das Projekt ist so spannend, dass wir gesagt haben: Da gucken wir gerne über den MDR-Tellerrand. Denn es geht um Katapult.
Katapult ist ein Magazin, das es seit 2015 gibt. Ein Magazin für "Eis, Kartografie und Sozialwissenschaften" - wobei das "Eis" durchgestrichen ist. Es ist eine Zeitschrift, die Sozialwissenschaft, solche Geschichten, Erkenntnisse oder Forschungsergebnisse vor allem in Grafiken und Karten darstellt und wiedergibt. Und damit ziemlichen Erfolg hat. Im Moment sind es um die 70.000 Abos (Anm. d. Red.: 78.781, Stand 2/21 ivw.eu). Das ist in diesen Zeiten echt respektabel. Aber die Katapult-Macherinnen und -Macher haben noch etwas ganz anderes vor: Sie sitzen in Greifswald im schönen Mecklenburg-Vorpommern und da sieht es mit lokalen und regionalen Medien eher mau aus. Katapult MV ist jetzt gestartet und möchte das ändern.
Steffen Grimberg: Was ist das denn genau? Was macht ihr da?
Anna Hansen: Ja, hallo! Wir bei Katapult MV sind ein regionaler Ableger vom Katapult-Magazin. Wir wollen quasi die Medienlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern ein bisschen diversifizieren. Wir sitzen in Greifswald, das kann ich auch dazu sagen. Von daher ist es ja auch unser Heimatbundesland, Mecklenburg-Vorpommern. Und wir wollen genau wie Katapult-Magazin das Bundesland in Karten, Grafiken, aber auch Fotos darstellen und berichten.
Steffen Grimberg: Ihr plant aber, wenn ich das richtig verstanden habe, auch Regional- und Lokaljournalismus. Was gibt es denn an Lokaljournalismus noch in Mecklenburg-Vorpommern? Und würdet ihr sagen, dass die Leute da noch gut versorgt sind oder fehlt da schon etwas? Und ihr wollt sozusagen diese Lücke schließen?
Anna Hansen: Definitiv wollen wir eine Lücke schließen. Es gibt halt leider nicht mehr so viele große Lokalredaktionen in Mecklenburg-Vorpommern. Das wurde auch jetzt mit der Digitalisierung immer mehr reduziert, die Journalisten vor Ort. Und genau dem wollen wir entgegenwirken, indem wir in die kleinen Orte ebenso gehen wie in die Großstädte und auch in die Hauptstadt.
Steffen Grimberg: Wo seid ihr denn jetzt schon? Ihr seid ja zunächst mal für Greifswald oder von Greifswald aus für das gesamte Land unterwegs.
Anna Hansen: Genau! Wir sitzen gemeinsam mit dem Katapult-Magazin in Greifswald und werden da demnächst in eine Schule ziehen. Da haben wir dann alle zusammen unsere Büros. Wir sind auch in Stralsund, haben freie Mitarbeiter in Neubrandenburg, auf Rügen und eben in Greifswald. Aber wir sind gerade auch extrem auf der Suche nach mehr Menschen, die Lust haben, mit uns zu arbeiten, als Journalisten, als Fotografen, um in die entlegensten Winkel von Mecklenburg-Vorpommern zu kommen.
Steffen Grimberg: Ihr habt ja ein sehr ambitioniertes Projekt. Ich habe mir das mal angeschaut: Ihr finanziert euch über Abos. Da ist jetzt die erste Stufe schon erreicht, so dass also in Greifswald die Redaktion aufgebaut werden konnte. Jetzt sind die Großstädte am Start. Ihr sucht, glaube ich, aktuell jemanden für Rostock. Da habt ihr euch eine ganze Menge vorgenommen. Läuft das denn mit der Finanzierung?
Anna Hansen: Also zum Beispiel für Rostock, da haben wir jetzt die Stelle durchfinanziert und werden da auch nicht lange fackeln. Nicht lange warten, bis die nächste Stadt drankommt. Bis Ende des Jahres soll es einen Redakteur oder eine Redakteurin in Rostock geben, die dann auch dort vor Ort mit den freien Mitarbeitern zusammenarbeitet. Dadurch, dass wir in Greifswald sitzen, haben wir momentan noch sehr den Fokus auf Vorpommern. Aber wir wollen eben auch nach Mecklenburg.
Steffen Grimberg: Welche Idee und Vision habt ihr denn insgesamt von Regional- und Lokaljournalismus? Wir hatten ja gerade schon darüber gesprochen. Es soll um Visualisierungen gehen, um Karten. Wie wird sich Katapult MV von zum Beispiel den klassischen Regionalteilen im Nordkurier, in der Ostsee-Zeitung, in der Schweriner Volkszeitung unterscheiden?
Anna Hansen: Na unterscheiden werden wir uns auf jeden Fall in erster Linie und am sichtbarsten durch unsere Grafiken und Karten. Wir haben auch Fotos mit dabei, weil dieses Bundesland einfach zu schön ist, um uns nur irgendwie in Adobe Illustrator darzustellen. Aber das ist auf jeden Fall so unser erstes Alleinstellungsmerkmal hier in Mecklenburg-Vorpommern, dass wir schwierige Sachverhalte so einfach runterbrechen, dass sie wirklich jeder versteht. Und das ist auch unser Anspruch an den Lokal- und Regionaljournalismus, dass auch wirklich jeder folgen kann. Dass man die Menschen wieder mitnimmt. Dass man auch wieder das Vertrauen in die Medien stärkt, indem man ansprechbar ist und sich auch die Themen, Sorgen und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger anhört.
Steffen Grimberg: Ihr setzt ja auch auf Print. Ihr habt eine Nullnummer gemacht, mit der ihr jetzt auch durchs Land gefahren seid…
Anna Hansen: Wir hatten eine nullte Ausgabe, das ist richtig. Das war ein Prototyp unserer gedruckten Tageszeitung. Vor zwei Wochen kam die erste Ausgabe raus. Hauptsächlich mit dieser - zusammen mit der nullten Ausgabe - sind wir durchs Land gefahren. Und tatsächlich freuen sich die Leute, mal wieder was in der Hand zu haben. Viele konsumieren ihre Nachrichten über E-Paper oder einfach in der Nachrichten-App, und wir wollen gerade auch die Menschen erreichen, die keine Computer haben, vielleicht alte Menschen. Und einfach mehr Glaubwürdigkeit bekommen und erzeugen dadurch, dass man etwas Gedrucktes in der Hand hat. Und da haben wir eigentlich fast durchweg positive Rückmeldungen bekommen, dass die Menschen sich freuen, auch wieder eine gedruckte, schöne Tageszeitung zu haben.
Steffen Grimberg: Und was war die Schlagzeile auf der Titelseite eurer ersten Ausgaben?
Anna Hansen: Ach, das war "Bettenschlacht an der Küste", wenn ich mich recht erinnere. Ein Text von mir, da ging es um Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es sehr viele Großprojekte, die gerade entstehen, was auch zu sehr vielen Debatten führt und Unmut in der Bevölkerung aufgrund des sehr, ja, exzessiven Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Es geht um die Suche nach Lösungsstrategien, wie man das nachhaltig mit den Einwohnern und Menschen, die herkommen wollen, um Urlaub zu machen, verbinden kann.
Steffen Grimberg: Soll es denn eine Tageszeitung werden oder welche Erscheinungszeiträume sind da bei euch geplant, was die Printausgabe angeht?
Anna Hansen: Also, wir fahren jetzt für Katapult MV erstmal monatlich. Wir sind auch schon in der Planung für die November-Ausgabe. Dann gibt es noch eine Weihnachts-Ausgabe. Und je mehr Abonnenten wir bekommen, desto häufiger werden wir drucken: Also nach monatlich dann zweiwöchentlich, wöchentlich und hoffentlich irgendwann in der Zukunft auch täglich.
Steffen Grimberg: Das wäre spannend. Wie ist denn da bei euch die Erwartung: Ihr seid auch online aktiv. Da tut sich fast täglich was oder eigentlich sogar mehrmals täglich auf eurer Seite. Arbeitet ihr auch mit lokalen Blogs und anderen zusammen?
Anna Hansen: Mit lokalen Blogs jetzt noch nicht. Aber wir haben schon Lust, uns auch weiter hier zu vernetzen und mehr Leute mit ins Boot zu holen. Für die Internetseite erscheinen täglich Artikel. Die werden von unseren Redakteurinnen oder freien Autorinnen geschrieben.
Steffen Grimberg: Wie sind die ersten Erfahrungen? Es war gerade schon die Rede davon, dass ihr so eine Art Roadshow gemacht habt. Ihr wart in mehreren Städten in Mecklenburg-Vorpommern. Da gab's ja überwiegend Beifall für eure Aktion?
Anna Hansen: Also eigentlich haben wir auch da durchweg positive Rückmeldungen bekommen. Ich persönlich war in Güstrow und in Wismar unterwegs. Einen Tag vorher waren wir alle zusammen in Rostock und in Stralsund. Schön war, dass uns viele Leute bereits kannten. Oder das Magazin kannten, auch ältere Leute, junge Leute, ganz gemischt. Und ja, das hat uns ziemlich motiviert, das öfter zu tun. Sodass wir auch beschlossen haben, dass wir nun jedes Mal, einmal im Monat, wenn unsere neue Ausgabe rauskommt, in ein, zwei Orte in Mecklenburg-Vorpommern fahren und dort einfach unsere Zeitung verteilen, sichtbar sind und neue Kontakte knüpfen.
Steffen Grimberg: Gab es denn auch schon Reaktionen von offiziellen Stellen also zum Beispiel von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern oder aus der Lokalpolitik?
Anna Hansen: Wahrgenommen von der Politik oder Bürgermeistern werden wir auf jeden Fall. Wir hatten auch schon diverse Interviewpartner und Gesprächspartner aus der Politik. Zum Beispiel den Neubrandenburger Bürgermeister Silvio Witt. Der Greifswalder Bürgermeister war im Juli auf unserem Katapult-MV-Festival anlässlich der nullten Ausgabe und des Starts von Katapult MV. Er hat dort auch direkt mit unserem Chefredakteur Armdrücken veranstaltet und verloren. Also da werden wir schon gut aufgenommen.
Steffen Grimberg: Und wie ist die Reaktion bei denen, wo ihr die Alternative zu bieten wollt? Also bei der Ostsee-Zeitung oder bei den Kolleginnen und Kollegen vom Nordkurier? Seid ihr da jetzt die Konkurrenz oder ist das eher ein kollegiales Verhältnis?
Anna Hansen: Ein bisschen beides! Und ich weiß auch, dass wir nicht direkt als Konkurrenz vom Nordkurier wahrgenommen werden. Ich war schon bei mehreren Gesprächen mit dem Nordkurier zum Beispiel. Wir haben „Superintendanten“ bei Katapult MV, die arbeiten beim Nordkurier. Und da kann man schon miteinander reden. Also auch konstruktiver Austausch findet tatsächlich statt. Das nächste Mal Anfang November in Neubrandenburg. Da debattiert unser Chefredakteur Benny Fredrich mit Schweriner Volkszeitung und Nordkurier. Also ich würde sagen, es ist durchaus ein kollegiales Verhältnis.
Steffen Grimberg: „Superintendanten“ war gerade das Stichwort. Ihr habt ja auch ein Abo-Modell, das ganz spannend ist, weil die Menschen, die euch mit einem Abonnement unterstützen, verschiedene Stufen wählen können. Wie funktioniert das genau?
Anna Hansen: Wir haben zum Beispiel Soli-Abonnements ab drei Euro im Monat. Das ist für die Leute, die sich nicht so viel leisten können. Die wiederum werden kofinanziert von Intendantinnen-Abos. Unsere Intendantinnen haben wir alle auf unserer gedruckten Ausgabe verewigt mit Namen, sofern sie es wollten. Es gilt noch normales Abo für fünf Euro im Monat. Und die Superintendanten unterstützen uns extrem durch ein Abo für 100 Euro im Monat und nehmen auch an unseren Intendantinnen-Sitzungen teil. Dazu möchte ich aber noch sagen, dass wir nicht ausschließlich unsere Superintendanten-Sitzungen nur für die Leute machen, die 100 Euro im Monat geben, sondern auch regelmäßig bis zu 20 Abonnenten einladen, dort teilzunehmen.
Steffen Grimberg: Das heißt, das Ziel ist auch, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Um zu hören: Was erwarten die eigentlich in diesen Zeiten von Lokaljournalismus? Wie kann der aussehen?
Anna Hansen: Genau, das ist halt als neues Medium gerade in Mecklenburg-Vorpommern extrem wichtig, dass wir auch wirklich in Kontakt bleiben. Und man sich nicht nur in seiner eigenen Blase fortbewegt und da meint, etwas zu tun, was vermeintlich gut ist. Sondern wir sind wirklich sehr daran interessiert, dass wir auch mehr Leserkontakt haben. Das wird in dem neuen Katapult-Gebäude dann auch noch besser möglich sein.
Steffen Grimberg: Dann wünschen wir euch da viel Erfolg. Vielen Dank Anna Hansen für dieses Interview.