Eine Zeitung liegt zusammengerollt in einem aufgeschnittenen Brötchen. Eine Hand verteilt Senf darüber.
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Wichtige Ergänzung, aber kein Ersatz Sind Blogs die neue Lokalzeitung?

07. September 2020, 17:12 Uhr

Schon in den Nullerjahren waren Lokalblogs mancherorts eine Alternative zu Zeitungen. Manches Medienhaus hat sich seither bewegt. Hasenzüchtervereinsjournalismus steht jedoch auch heute noch in der Kritik – und es entstehen neue lokale Angebote ohne generalistischen Informationsanspruch. Zum Teil setzen sie Schwerpunkte, zum Teil arbeiten sie hyperlokal. Flächendeckend ersetzen können sie Lokalzeitungen aber, Stand heute, nicht.

„Bratwurstjournalismus“: Das saß. Der Begriff stammt aus der ersten Entstehungsphase für Lokalblogs ab der zweiten Hälfte der Nullerjahre. Der Journalist Hardy Prothmann hat ihn geprägt, der 2009 das bald bekannte Heddesheimblog gründete, weil er mit der Berichterstattung seiner angestammten Regionalzeitung nicht zufrieden war. Die betreibe, ja, eben „Bratwurstjournalismus“, kritisierte er. Es wimmele in ihren Artikeln „von ‚gnädigen Wettergöttern‘, ‚geschwungenen Tanzbeinen‘, ‚tollen Erfolgen‘ usw.“

Verallgemeinerbar für den ganzen deutschen Lokaljournalismus war seine Kritik nicht. In der Qualität von Lokalzeitungen gab und gibt es große Unterschiede. Doch allein war Prothmann bei weitem nicht. Es entstanden in der Zeit auch die Ruhrbarone, die bis heute eine Reichweite haben, von denen andere Blogs träumen, oder die Thüringer Blogzentrale – sowie viele andere Blogs, die die Berichterstattung in ihren Regionen ergänzten. Die Motivation der Blogger mag im einzelnen unterschiedlich gewesen sein. Aber viele begannen, eingeschliffene Muster der bekannten journalistischen Markenmedien zu hinterfragen – einfach dadurch, dass sie existierten und manches anders machten.

Die Kritik: Lokaljournalismus gehe am Publikum vorbei

Ein Mann steht vor einer Fabrik und spricht in ein Mikrofon. Er hat den Daumen der rechten Hand gehoben und lächelt. Daneben der Schriftzug: Wenn der Lokaljournalismus verschwindet. 1 min
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Ohne professionellen Lokaljournalismus geht die unabhängige Berichterstattung baden. Denn dann berichtet beispielsweise der Bürgermeister selbst über seine Politik im Rathaus und schildert nur die Schokoladenseite.

Mo 24.08.2020 12:47Uhr 00:49 min

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Viele Alternativprojekte versuchten damals, die Lokalberichterstattung aus ihrer Verengung auf die berüchtigten Hasenzüchtervereinsversammlungen zu holen; selbst zu recherchieren, statt die Agenda der Vereine und des Rathauses vor Ort zu übernehmen. Ein Kernpunkt der Kritik am Journalismus, wie ihn vielerorts angestammte Lokalredaktionen betrieben, war damals – und ist es bis heute –, dass er an einem halbwegs anspruchsvollen Publikum vorbeiarbeite.

Es ging nicht nur um die „Wettergott“- und „Tanzbein“-Sprache. Mancherorts waren oder schienen auch die Verbindungen zur lokalen Wirtschaft oder Politik zu eng. 2011 führte dieser Eindruck etwa zur Gründung der Kontext-Wochenzeitung in Stuttgart: Der ehemalige Chefreporter der Stuttgarter Zeitung beklagte eine zunehmend oberflächliche Berichterstattung in der Presselandschaft, nicht nur zum Bahnhof „Stuttgart 21“, und gründete alsbald, zunächst online, sein eigenes Medium.

So manches Medienhaus hat sich bewegt

Innovative Versuche, Lokaljournalismus (beziehungsweise, wie im Fall von kontext, Regionaljournalismus) anders zu betreiben, werden also schon seit vielen Jahren unternommen. Und heute? „Wie auch immer die Zukunft des Lokaljournalismus aussieht – mit dem Weiter-So aus Agenturmeldungen, Polizeiberichten und Hasenzüchtervereinsgeschichten wird es nicht klappen“, schrieb erst vor Kurzem die Münsteraner Studentin und Fridays for Future-Aktivistin Carla Reemtsma auf dem neuen lokaljournalistischen Portal RUMS aus Münster, das der freie MDR-Mitarbeiter und „Altpapier“-Autor Ralf Heimann mitgegründet hat. Mehrmals wöchentlich verschickt die Redaktion einen Newsletter zum politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Münster per Mail; sie setzt aber Schwerpunkte, etwa zu einem großen und vor Ort viel diskutierten Bauprojekt.

Carla Reemtsmas Kritik hätte auch vor zehn Jahren so formuliert werden können. Doch das Umfeld hat sich seitdem verändert. So manches Medienhaus hat sich lernfähig gezeigt. Der Berliner Tagesspiegel nutzt etwa verstärkt lokale Newsletter, um die große Stadt in ihren Verästelungen abzudecken. Warum sollten Berlin-Neuköllner sich für Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen in Berlin-Spandau interessieren, und umgekehrt? Hyperlokale Newsletter folgen der Erkenntnis, dass „eine gedruckte Zeitung, die einen generalistischen Informationsanspruch hat und immer nur als Ganzes zum Beispiel verkauft werden kann“, vielen Jüngeren heute „einigermaßen abstrus“ vorkomme, wie die Dortmunder Journalistik-Professorin Wiebke Möhring es formuliert hat. Hier haben neue Ansätze einen Vorteil, weil sie besser zum Mediennutzungsverhalten Jüngerer passen.

Stadtteilblogger – in Leipzig eine ganze Szene

In Dresden kennen alle, die studieren, das Neustadt-Geflüster. Und der ehemalige Online-Leiter der Sächsischen Zeitung, Thomas Wolf, hat die Blogger-Plattform diesachsen.de gegründet, die ganz unterschiedliche Nachrichtenangebote, Themenblogs und Veranstaltungshinweise bündelt. In Leipzig gibt es eine ganze Reihe von Stadtteilbloggern, die die lokale Medienlandschaft mitprägen, vom Kiezgeflüster über Heldenstadt bis zum Connewitz-Blog. Klassische Blogs spielen also immer noch eine Rolle. Zu den Blogs erster und zweiter Generation gesellen sich in ganz Deutschland aber zudem noch eine ganze Reihe von anderen Alternativangeboten: besagte Newsletter, aber auch Apps mit Selbstbeteiligungsfunktion, Vernetzungszentren und natürlich die Social Media.

Es gibt vielversprechende neue Ansätze – wie Correctiv.Lokal, ein Lokaljournalistennetzwerk für investigative Recherchen, initiiert vom gemeinnützigen Zentrum Correctiv. Oder wie merkurist.de aus Mainz. Dort können Leserinnen und Leser eine Frage stellen. Gibt es genügend Nutzer, die sich auch eine Antwort darauf wünschen, recherchiert ein Journalist. Vergleichbares wurde schon einmal mit dem Dienst „Call-a-Journalist“ in Hamburg initiiert: „Ihr ruft, wir berichten!“, hieß es dort vorübergehend vor einigen Jahren.

In Einzeitungskreisen sind Lokalblogs besonders wichtig

Zu Ende ist die Geschichte freilich nicht: Der Lokalmedienmarkt verändert sich dynamisch, und die Lokalblogs – nun als Oberbegriff für lokale Online-Initiativen aller Art – spielen dabei eine Rolle. Die klassischen Zeitungen leiden darunter, dass sowohl werbende Unternehmen als auch Leser seit Jahren nach und nach ins Netz abwandern. „Eines der zentralen Probleme ist der gewaltige Kostenberg, den der ganze Zeitungsapparat verursacht, und der zur Folge hat, dass die Abo-Preise für eine Papierausgabe teilweise bei etwa 40 Euro im Monat liegen“, schrieb Altpapier-Autor Heimann im Januar.

Nur, ersetzen können Lokalblogs die Zeitungen, Stand heute, nicht. Hier und da in Deutschland haben sie eine besonders wichtige Funktion. Eine Schweizer Studie legt etwa nahe, dass weniger Lokaljournalismus zu einer geringeren Wahlbeteiligung führt. Gerade in sogenannten Einzeitungskreisen, in denen eine Lokalzeitung ein Monopol hat, oder dort, wo Lokaljournalisten keine Kapazitäten haben, um das relevante Geschehen ganz zu erfassen, sind Lokalblogangebote wichtig. Aber flächendeckend sind sie kein Ersatz, sondern eine Ergänzung, wie Journalistik-Professorin Möhring meint. In zehn Jahren wissen wir mehr.