Satire in der DDR Staatlich bestellter Humor
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04. August 2021, 14:52 Uhr
Satire und autoritäre Regimes sind auf den ersten Blick klare Gegensätze. Dabei liefern Diktaturen eigentlich unermesslichen Stoff für die Hauptfunktionen von Satire: das Anpragern von Missständen und Aufklärung durch Humor und Überspitzung. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Machthabenden solche Satire in ihrem Herrschaftsbereich nicht zulassen. Doch auch in der DDR gab es ganz offiziell Satire. Wie passt das zusammen?
Das Zauberwort heißt "offiziell". Denn diese geduldete Satire kam nicht von unten, sondern von Staatswegen. In der DDR wurden 1953 mit der "Distel" in Berlin und 1954 mit der "Pfeffermühle" in Leipzig die ersten Kabaretts gegründet. Beide spielen bis heute, doch ihre Rolle hat sich deutlich gewandelt. Zu DDR-Zeiten waren sie und ihre Pendants in vielen Bereichen der Gesellschaft - sogar die Nationale Volksarmee (NVA) hatte eine eigene, hauptberufliche Kabarett-Truppe - Agitator, Ventil für den Frust der Bevölkerung und Spaßmacher zugleich.
DDR-Satire nimmt die Mangelwirtschaft aufs Korn
"All die Jahre wurde das Kabarett im Osten Deutschlands sehr unterschiedlich bewertet, je nach Standpunkt des Betrachters. Für Kabaretthistoriker aus dem Westen war es vorwiegend kabarettelnder Spaß wie von einem anderen Stern. Die DDR-Bürger dagegen liebten ihr Kabarett. Sie konnten nicht genug davon bekommen. Im Kabarett war es ihnen möglich, ohne Gefahr über die alltäglichen Mängel öffentlich herzhaft zu lachen", heißt es in einer Darstellung der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv.
Denn das Publikum der "gelernten DDR-Bürgerinnen und Bürger" konnte zwischen den Zeilen lesen und verstand die versteckten Anspielungen. "Mit starkem Beifall quittierten sie die in Nebensätzen und Gesten fast unmerklich angedeuteten kritischen Pointen".
Satire in der DDR fand vor allem auf der Kabarettbühne und im staatlichen Auftrag statt. Alle offiziellen Ensembles waren staatlich organisiert, finanziert und kontrolliert. Man sprach von "Berufskabaretts", die den Kulturabteilungen im Magistrat der jeweiligen Städte unterstanden. Das bedeutete oft eine gleich doppelte Kontrolle: Durch die offiziellen Instanzen der städtischen Verwaltung - und durch die der Partei. Seit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Erich Honecker Anfang der 1970er Jahre wurde die Ventilfunktion solch offizieller Satire ausdrücklich gefördert. Nach einem Beschluss des DDR-Kulturministeriums sollten bis 1990 alle der 20 Bezirkshauptstädte der DDR eine eigene Profi-Truppe haben. Mit diesem Ventil "konnte das sich aus dem Unterschied zwischen propagiertem Ideal und der real-sozialistischen Wirklichkeit stetig wachsende 'überschüssige Bewusstsein' in der Bevölkerung ein Stück abgebaut und in Grenzen gehalten werden", heißt es beim Deutschen Kabarettarchiv.
Ventil für Unzufriedenheit und Frust
Daneben gab es Satire natürlich auch in den Medien. Die bis heute erscheinende Satire-Zeitschrift "Eulenspiegel" unterstand zu DDR-Zeiten direkt der Abteilung Presselenkung des ZK der SED. Trotz umfänglicher Vorzensur und der späteren Auszeichnung durften manche Ausgaben aufgrund ihrer zu deutlichen Kritik - wie zum Beispiel an Versorgungsengpässen - nicht erscheinen. Im DDR-Kino und später im Fernsehen lief die Satire-Reihe "Stacheltiere". Sie war 1953 nach dem Arbeiteraufstand in der DDR auch als Pendant zum erfolgreichen Kabarett "Stachelschweine" im Westteil Berlins eingeführt worden, um ein Ventil für Unzufriedenheit und Frust zu bieten, galt aber als viel zu harmlos. Trotzdem wurden über zehn Prozent der insgesamt rund 280 Ausgaben von der Zensur einkassiert und durften nicht gezeigt werden.
Denn was jeweils möglich war, wie viel "echte" Satire toleriert wurde, hing immer auch von Ort und Zeit ab. In Berlin wachte neben den offiziell zuständigen städtischen Stellen auch noch der nationale Partei- und Kontrollapparat über Inhalte und Inszenierungen. Fernab der Hauptstadt sah das anders aus. Vor allem das Kabarett Herkuleskeule in Dresden, dem Bezirk des schon zu DDR-Zeiten als verhältnismäßig liberal geltenden letzten Ministerpräsidenten der DDR Hans Modrow, profitierte vom etwas gelockerten Umgang mit Scherz und schieferer Bedeutung.
Von den Hardlinern der 1960er Jahre …
Außerdem hing der Grad der Duldung von den jeweiligen Zeitumständen ab. So hat sich die DDR-Satire auch immer mit den politischen und sonstigen Lebensumständen in der DDR verändert und an diese angepasst. Nach der Zeit des Stalinismus gab es ab Mitte der 1950er Jahre zunächst Lockerungen im Kulturbereich, von denen auch die Satire und das Kabarett profitierten. Viele der bis heute existierenden Ensembles wurden damals gegründet. Nach dem Mauerbau setzten sich bis Mitte der 1960er Jahre wieder die Hardliner durch. Das 11. Plenum des SED-Zentralkommitees im Dezember 1965 erstickte jeglichen kulturellen Frühling. Zahlreiche gesellschaftskritische Filme ("Spur der Steine", "Das Kaninchen war ich", "Karla") wurden kurz nach ihrer Uraufführung wieder verboten oder kamen erst gar nicht in die Kinos.
Diese kulturelle "Eiszeit" traf auch die Satire- und Kabarettszene hart. Viele Nummern, manchmal sogar ganze Programme wanderten ungespielt ins Archiv. Aber es ging auch noch schlimmer. 1961 kamen sechs der Mitglieder des Leipziger Kabaretts "Rat der Spötter" wegen des Verdachts der staatsgefährdenden Propaganda und Hetze für neun Monate ins Gefängnis, ihr Spielort, der "Spötterkeller", wurde geschlossen.
Mit dem Amtsantritt von Staats- und Parteichef Erich Honecker entspannte sich Anfang der 1970er Jahre die Lage nur scheinbar. Denn in der von Mangelwirtschaft und Enge gekennzeichneten DDR-Gesellschaft kamen Kabarett und gelenkter Satire eine wichtige Ventilfunktion zu, die den Machthabern gut in den Kram passte. "Die punktuelle Bündelung liberal-kritischer, aber prinzipiell noch immer systemtreuer Künstler, kontrolliert durch ein relativ dichtes Netz der Zensur, stellte keine wirkliche Gefahr in Hinblick auf einen etwaigen Umsturz dar. Dennoch konnte in den Kellerbühnen zwischen den Zeilen im kritischen Gelächter zumindest ein Teil des bestehenden Systemfrusts abgebaut werden. Der SED war dieses Phänomen, zumal örtlich und quantitativ limitiert, nicht wirklich unrecht. Jedenfalls kam es bis zum Jahre 1989 zu keinem Verbot dieser Kunstform", stellt Alfred Dorfer in seinem Aufsatz "Satire in der DDR – ein Widerspruch?" fest.
Dorfer kennt sich aus - der gebürtige Wiener gehört zu den bekanntesten Kabarettisten Österreichs und hat 2011 über "Satire in restriktiven Systemen Europas im 20. Jahrhundert" promoviert.
… zu den Witzmachern der späten DDR
Wirkliche Satire wurde zum Ende der DDR immer seltener - und durch Humor ersetzt. Schon die offizielle Bezeichnung wie "satirisch-humoristisch" für den Eulenspiegel wies die "Notlage der Satire im Würgegriff des Humors aus", schreibt die Kulturwissenschaftlerin Sylvia Klötzer in ihrem Buch "Satire und Macht". Zum Schluß habe die zuständige ZK-Abteilung Agitation "auf Humor und Witzblatt-Niveau" gedrängt.
Trotzdem wurden weiterhin überall doppelte und dreifache Absicherungen eingebaut. Künstlerinnen und Künstler brauchten in der DDR eine offizielle Auftrittsgenehmigung - das galt sogar für den DJ der Kassetten-Disko im Jugendclub. Beim Kabarett waren nur mehrköpfige Ensembles zugelassen - einzelne über die Dörfer ziehende Spaßmacher zu kontrollieren und zu überwachen wäre dann doch zu aufwändig gewesen und hätte am Ende sogar Schlupflöcher ermöglicht.
Es gibt keine richtige Satire in der falschen
Absurderweise waren die meisten Berufskabarettistinnen und -kabarettisten der DDR ja selbst überzeugte Sozialisten, die den real existierenden DDR-Alltag aufs Korn nahmen, um ihn zu verbessern oder zumindest erträglicher zu machen. Da nach der alten Satire-Formel "Wenn jemand lacht, ist er wach" aber von jedem wachen und freien Geist Gefahr für ein auf Unfreiheit aufgebautes System ausgeht, galten sie als unsichere Kantonisten. Peter Ensikat (1941-2013), der seit 1968 für die "Distel" als Autor geschrieben hat und das wohl bekannteste Kabarett Ostdeutschlands nach der "Wende" von 1996 bis 2006 leitete, gebührt daher das Schusswort: "Entweder, man war für den DDR-Sozialismus, der war zwar nicht gut, aber machbar, oder man war für den richtigen Sozialismus, der war zwar nicht machbar, aber gut. Wir richtigen Sozialisten waren ja für die DDR-Sozialisten so etwas, wie der Klassenfeind Nr. 2. Ein geiles Gefühl sage ich Ihnen. Als Sozialist warst Du im Sozialismus Dein eigener Gegner."