Interview mit Jenna Miller "Authentizität ist das Unwort des Jahres."
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25. Oktober 2021, 11:22 Uhr
Am Anfang hat Friseurmeisterin und Influencerin Jenna Miller Instagram nur zum Spaß genutzt. Dann kam die Corona-Krise und es wurde ein Geschäft daraus. Im Interview erklärt sie, wie das Geschäft funktioniert.
MEDIEN360G: Wie hat denn das Influencen bei dir angefangen?
Jenna Miller: Ich hatte nie das Ziel, Influencer zu werden. Ich wollte nie irgendwie bekannt auf Instagram sein. Ich hatte immer schon den Drang, bekannt mit meinem Unternehmen zu sein. Das war ein Ziel, das habe ich auch nie abgestritten. Ich habe immer gesagt: Ich möchte mal ins Fernsehen. Ich möchte mal, dass das Haareschneiden mehr Menschen mitbekommen. Aber so richtig bekannt werden auf Instagram wollte ich nie. Der Hintergrund, das persönliche Profil, dient eigentlich eher dem Hobby. Das mache ich einfach gerne. Ich inspiriere gerne. Aber natürlich dient das auch irgendwie meinem richtigen Standbein. Also den Hauptjob, den ich ja immer noch habe und der ja auch bleiben soll, zu festigen.
Wobei ich jetzt in der Corona-Krise das erste Mal so richtig gemerkt habe, wie wichtig mein Hobby-Account, mein Spaß-Account, für mich als Unternehmerin geworden ist. Ich habe damit alle meine Mitarbeiter, elf Stück an der Zahl, finanzieren können. Ich habe erst angefangen, bezahlte Kooperationen anzunehmen, weil ich in diese Notsituation gekommen bin. Vorher habe ich das immer abgelehnt, weil es eigentlich nicht mein Ziel war. Ich wollte nicht Influencer werden, um damit bezahlte Kooperationen zu bekommen oder um damit einen Haufen Geld zu verdienen. Sondern ich wollte einfach so ein bisschen meine Message nach außen tragen. Ein bisschen Realität zeigen. Also weg von diesem Ganzen: "Ich filtere mich total hübsch und mache meine Nase kleiner, meine Lippen größer und..." - das mache ich mit Spritzen. Nein, Spaß. Aber auch das einfach zu zeigen, dass das auch normal geht. Und ja, dann ist auch ein bisschen ein Beruf daraus entstanden. Mittlerweile bin ich ganz froh, weil ich dadurch diese Corona-Situation gut ausgleichen konnte.
MEDIEN360G: Wie kommt ihr da zusammen?
Jenna Miller: Ich habe natürlich auch Partner. Ich kaufe mir die meisten Dinge tatsächlich erst mal selbst. Meistens entstehen Kooperation aus meinem wirklichen Gebrauch. Wenn ich mir zum Beispiel ein Haargerät kaufe und feststelle: "Das ist total toll." und dann auch noch merke, dass das Interesse der Community da ist, dann kann es auch mal passieren, dass wir die Firmen anschreiben. Dass wir sagen: "Mensch, macht ihr Influencerkooperationen? Habt ihr vielleicht einen Rabattcode?"
Das ist auch nicht immer alles bezahlt. Also ich mache auch unbezahlte Kooperationen, wenn ich merke, der Follower interessiert sich sehr dafür. Dann lass ich mir auch mal einen Code geben von der Firma, die mir kein Geld dafür bezahlen. Ansonsten ist es tatsächlich so, dass die Firmen zu einem kommen und das in einer Flut, die ist unnormal. Ich glaube, dass jemand, der mit der Branche nichts zu tun hat, sich überhaupt nicht vorstellen kann, wie viele Menschen Werbung über Influencer suchen und natürlich auch bei vielen bekommen.
MEDIEN360G: Ist Influencerin-Sein eigentlich für dich ein Beruf?
Jenna Miller: Es ist ein Beruf ganz klar. Ich verdiene damit Geld, also ist es ein Beruf. Ich würde aber nicht sagen, dass das ein "gerechtfertigter" Beruf ist im Verhältnis. Also für das, was man leistet, kriegt man ja unfassbar viel Geld. Also mehr Geld, als ein Arzt, der am offenen Herzen operiert, das muss man ganz klar sagen. Oder Pflegepersonal oder, oder, oder. Das ist ja das Ziel eines jeden Menschen: "Ich will viel Geld verdienen, aber wenig dafür tun." Dann werde Influencer!
Aber ich glaube einfach, dass das auch wieder so eine Sache ist, die man als Mutter oder als Elternteil seinem Kind vermitteln soll: "Das ist nichts Beständiges, das wird nicht ewig so weitergehen." Also man merkt ja jetzt auch schon so ein leichtes Kippen. Was früher total gut ging, diese ganze Werbung, wird jetzt auch ein bisschen schwieriger. Weil der Follower nicht mehr alles so naiv aufsaugt. Ich sag mal, die Aufklärung wird viel mehr. Es wird viel mehr kritisch hinterfragt als noch vor fünf Jahren. Es wird einfach nicht mehr alles geglaubt, was der "Star" oder das Idol da in die Kamera sagt. Und das kriegen natürlich auch die Jugendlichen schon mit.
MEDIEN360G: Der neue Trend ist ja, dass sich Influencer kritischer geben oder kritischer sind? Ist das ein Marketing-Trend? Oder steckt da Wahrheit dahinter?
Jenna Miller: Das ist ein absoluter Trend geworden, diese "Body Positivity"-Bewegung. Jüngstes Beispiel ist Cathy Hummels, die jetzt genderneutral spricht - Das ist absoluter Trend. In meinen Augen aber absoluter Käse. Ich weiß nicht, ob ich jemanden diskriminiere, wenn ich jemanden als Frau bezeichne oder als Mann. Also das ist, finde ich, totaler Schwachsinn.
Wenn jemand nicht als Frau oder als Mann bezeichnet werden möchte, dann wird er mir das sagen oder dann wird man das vielleicht auch irgendwie vermittelt bekommen. Dann kann ich natürlich auch dementsprechend auf "Divers" eingehen. Ja, ich weiß nicht. Für mich ist das absoluter Trend-Schwachsinn. Und das sage ich eben auch offen. Und das ist, glaube ich, auch ein Unterschied zu vielen Influencern, die dann eben auf diesen Hype mit aufspringen.
MEDIEN360G: Einerseits kritisierst du diese merkwürdigen Entwicklungen des "Influencer-Seins", andererseits bist du ja selbst Influencerin. Das könnte man als Widerspruch sehen…
Jenna Miller: Hundertprozentig ist es so, dass das Große und Ganze an sich ganz toll ist. Jeder Unternehmer sollte Instagram haben. Der Missbrauch dahinter geht in der Regel oft auch von den Influencern aus, das ist ganz einfach so. Die Influencer, die sich eben in diese Gewinnspiele einkaufen, ein enormes Wachstum haben und natürlich der Community, meiner Tochter zum Beispiel, vermitteln, dass sie selbst ein Star sind. Und das sind sie einfach nicht.
Die haben einfach Geld in die Hand genommen, die sind nicht gewachsen. Sie sind nicht groß und sie sind nicht erfolgreich, weil sie irgendwas Besonderes vermitteln oder weil sie einen total geilen Inhalt bieten. Sondern sie sind groß, weil sie sich eingekauft haben. Da ist dann wieder meine Aufgabe, zu sagen: "Hey, lasst euch da nicht so blenden. Klar, die hat da 500.000 Follower stehen oder auch 1 Million. Aber die geht genauso früh aufs Klo wie du. Die ist auch nackig auf die Welt gekommen und geht auch wieder nackig. Also die hat nicht mehr als du."
Das ist, glaube ich, immer wichtig, weil ich selber auch diesen Druck merke. Ich habe ja diesen Druck selber auch verspürt. Man fühlt sich dann auch klein: "Was macht denn die? Obwohl die soviel Scheiße postet: Warum ist die damit erfolgreich? Muss man denn so viel Mist erzählen, damit man erfolgreich ist? Ist das jetzt eigentlich das, was die Leute sehen wollen?" Diesen Druck habe ich selber auch schon verspürt. Um mich da selber auch immer wieder ein bisschen runter zu bringen und zu erden und zu sagen: Also die kann eigentlich viel weniger als du. Die hat einfach nur mehr Geld investiert.
MEDIEN360G: Kannst du dir vorstellen, dass du in 20 Jahren immer noch das Gleiche machst?
Jenna Miller: Ich denke, die sozialen Medien werden nie komplett weg sein. Es wird sich vielleicht wieder ändern, wie es damals von Facebook zu Instagram ging und dann so wieder alle auf Null. Dann fangen wieder alle bei Null an. Das glaube ich nicht, dass es komplett weg geht. Aber ich glaube, dass es sich wandeln wird, also dass es nicht mehr so einfach sein wird. Die Spreu wird sich irgendwann vom Weizen trennen. Und der Follower wird irgendwann sicherlich auch ein Stück weit mehr entscheiden, was er wirklich konsumieren möchte. Ich glaube, dieser Hype, dass jeder irgendwie das machen kann, das wird vielleicht ein bisschen weniger. Die Guten werden sich durchsetzen, so wie es eben auch wirklich im realen Leben ist.
MEDIEN360G: Welche Themen sind denn gerade so "in"?
Jenna Miller: Der Trend geht absolut zu diesen Momfluencern. Das finde ich absolut bedenklich. Da wird ja auch suggeriert: "Wir sind ganz happy family, und das ist alles… wir sind so real." Und das stimmt ja gar nicht. Da ist auch alles gestellt. Das geht los beim Frühstück. Wenn ich mir vorstelle, dass ich hier die Kamera aufstelle und meinen Mann und meine Tochter und mich beim Frühstück filme, die würden sagen: "Gehts bei dir noch oder was? Ich lass mir doch nicht auf den Teller glotzen." Aber das ist halt auch dieser Trend, diese Momfluencer.
Ich zum Beispiel habe meiner Tochter in keiner Weise - wie gesagt, ich mache das jetzt neun Jahre mittlerweile, wenn man alles zusammenrechnet - da war meine Tochter auch ganz klein, drei oder vier Jahre alt und ein super süßes Mädchen. Also, ich hätte damit Klicks generiert ohne Ende! Jeder wie er will - aber ich habe für mich entschieden: Ich möchte das nicht so. Ich möchte ihre Privatsphäre da schon wahren.
Diese Momfluencer legen den ganzen Fokus auf ihre Kinder, weil das natürlich zieht. Tiere und Kinder, das geht immer ganz gut. Aber ich habe selber genug zu bieten, ich muss nicht mein Kind instrumentalisieren, damit ich irgendwie Klicks generiere. Entweder die Leute interessiert, was ich sage, oder sie gucken halt nicht zu.
MEDIEN360G: Ein Grund, warum Werbung so gut funktioniert bei Influencern, ist ja, dass sie als glaubwürdig und authentisch gelten…
Jenna Miller: Ich glaube, dass sehr sehr viele zwei Leben führen. Einmal das für die Kamera und einmal das reale Leben, was halt völlig anders ist. Das jüngste Beispiel war diese Influencerin, die sich in der Business-Class oder in der ersten Klasse fotografiert hat, und dann von jemand anderem in der Economy. Das sind so diese typischen Sachen.
Authentizität, das ist im Übrigen das Unwort des Jahres, das absolute Unwort des Jahres: "Oh, ich bin ja so authentisch und… Authentizität, das ist ganz wichtig und so." Das ist das Unwort des Jahres. Deswegen nimmt dir keiner mehr Authentizität ab, das ist wie "Body Positivity". Das sind alles so Kategorien, wo drauf aufgesprungen wird, und irgendwie glaubt es keiner mehr. Ich glaube, die Leute fühlen das schon, wer wirklich real ist und wer eine Show macht.