Gendern als Chance Die Normalisierung des Besonderen
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14. Januar 2022, 18:11 Uhr
Gendern mag den Lesefluss stören aber es hilft gegen Landflucht, schafft sichere Räume für queere Personen und ist ein Mittel, die Welt in den Medien so divers darzustellen wie sie es nunmal ist. Der Podcaster Fabian Schrader und die ZDF-Fernsehrät*in Luca Renner gehören zu den Menschen, die mit Genderstern und Glottisschlag gemeint sind. Sie berichten aus ihrer Sicht als Medienschaffender und Medienüberwachende.
Und es gibt sie doch
Als Fabian Schrader in den 1990ern im ländlichen Sachsen-Anhalt aufwuchs, wusste er zwar, dass er nicht heterosexuell ist, aber was er stattdessen war, das wurde ihm erst später klar. Er kannte niemanden in seinem Umfeld, mit dem er unaufgeregt über sich und seine persönliche Entwicklung hätte sprechen können. Fabian kannte zwar Menschen, die homosexuell waren, aber die waren im Fernsehen. Und in den alten Bundesländern: Hella von Sinnen, Dirk Back, Thomas Hermanns. Das waren queere Menschen, die zwar out and proud waren aber unerreichbar und in diese eine Nische gequetscht: Comedy. Das waren keine Personen, die auf’m Dorf mittwochs beim Bäckermobil ein Stück Papageienkuchen kaufen oder sich in der örtlichen Kirchengemeinde engagieren.
Die lernte Fabian erst kennen, als er im März 2020 mit seinem Podcast "Somewhere Over the Hay Bale" anfing. Inzwischen ist er Wahlberliner, Theaterpädagoge und selbst out and proud. In seinem Podcast interviewt er Menschen, die auf dem Land leben oder auf dem Land groß geworden sind und sich in irgendeiner Art und Weise als "queer" definieren – sei es in Bezug auf ihre Sexualität (homo, bi, a, pan etc.) oder ihre Geschlechtsidentität (trans*, inter, Mann, Frau, non-binär etc.). Denn es gibt sie, die queeren Leute in der Provinz, jenseits der glitzernden Metropolen, ohne Theaterschminke oder Stand-up-Comedy-Programm. Natürlich. Und Fabian liefert den Beweis und trifft sie für seinen Podcast: in Laucha, in Altenburg, in Plauen oder im Leipziger Land. Er möchte damit genau solche Identifikationsfiguren zeigen, die er früher nicht hatte, weder in seinem Umfeld noch in den Medien.
Fabians Podcast widerlegt ein oft wiederholtes Argument, nämlich, dass es "solche bei uns gar nicht gibt" und dass gendersensible Sprache nur eine "kleine Minderheit" betreffe, die in den Lebenswirklichkeiten der Menschen gar nicht vorkommen würde. "Das zu sagen, ist einfach super ignorant", kommentiert Fabian, "und es schafft keine Basis für Menschen, sich sicher zu fühlen, um sich zu outen."
Gendern gegen Landflucht
Fabian gendert sowohl in seinem Privatleben als auch in seinem Podcast. "Auch für mich ist es ein Lernprozess und auch für mich ist Gendern anstrengend", sagt er. Natürlich sei der Prozess noch nicht abgeschlossen, ihn aber völlig zu blockieren, davon hält Fabian nichts. Er blickt über den heiß diskutierten orthografischen Tellerrand und sieht in der Nutzung gendersensibler Sprache konkrete Auswirkungen auf Land und Leute:
Wenn sich andauernd zementiert, dass es den Arzt gibt und die Krankenschwester, dann reproduziert das, woran Menschen irgendwann glauben, was sie erreichen können. Wenn ich nie mitkriege, dass ich Ärztin werden kann, dann glaube ich auch nicht daran, dass ich Ärztin werden kann.
Mehr Perspektiven und Möglichkeiten durch gendersensible Sprache. Es geht nicht um das hyperkorrekte Nutzen aller aktuellen Begriffe aus der Community, es geht darum, sprachlich anzuerkennen, dass es andere Menschen mit anderen Lebensentwürfen gibt und ihnen zu zeigen, dass sie willkommen sind. Vor allem der ländliche Raum könne von anderen Lebensentwürfen und dieser Offenheit profitieren, findet Fabian: "Es gibt queere Menschen, die bewusst sagen, ich kann mit Großstadt überhaupt nichts anfangen, ich möchte unbedingt im ländlichen Raum leben. Orte queerfriendly zu machen, heißt eben auch, sie attraktiv zu machen für Fachkräfte und für einen Generationenwechsel. Gendern ist da eine Kleinigkeit."
Die Abbildung der Realität im Programm
Auch für Luca Renner ist gendersensible Sprache nur die Spitze eines Eisbergs namens Vielfalt. In Beiträgen und auch fiktionalen Inhalten zu gendern, ist nur ein Mittel von vielen, um die öffentlich-rechtliche Programmlandschaft so divers zu gestalten, wie es die Gesellschaft auch ist.
Luca Renner ist seit 2016 Mitglied des ZDF-Fernsehrats, entsandt von der Thüringer Landesregierung für den Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD), und vertritt die Interessen des LGBTQI+-Publikums. Ein Meilenstein ihrer Tätigkeit war die Aufnahme geschlechtergerechter Sprache und die des Themas Diversität in die aktuelle Selbstverpflichtungserklärung des Senders. Dennoch besteht für die einzelnen Redaktionen kein Zwang zur geschlechtergerechten Sprache, sondern sie entscheiden selbst mit Blick auf ihre jeweiligen Zielgruppen, wie sie ihr Publikum ansprechen. Auch im Programm ist Diversität nicht überall Thema. "Das wäre auch schlimm", sagt Luca Renner. "Das kommt da vor, wo es vorkommen soll. Es ist ein Querschnittsthema, d.h. es kommt in der Abbildung der Realität – wie es so schön im Staatsvertrag heißt – vor." Also in den Nachrichten durch mehr Sensibilität für queere Themen zum Beispiel oder auch im Bereich Fiktion, bei der Darstellung und Sichtbarmachung queerer und diverser (Identifikations-)Figuren.
Mir haben diese Vorbilder im Film total gefehlt. Ich wusste ganz lange nicht, was mit mir ist.
Besonders gut gelungen, im Hinblick auf die Darstellung queerer und diverser Identifikationsfiguren in den Medien, sind nach Luca Renners Ansicht diese ZDF- und KiKA-Produktionen:
Queer sein ist nichts besonderes, es wird erst dazu gemacht
Dabei ist für Luca Renner der Diversitätsbegriff nicht auf sexuelle und Geschlechtsidentität begrenzt. Es geht auch um die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung, von der Darstellung verschiedener Körperformen anstelle der sogenannten Schönheitsideale, um die Geschichten von People of Color, Menschen mit Migrationsgeschichte oder darum, wie viele Personen mit Brille dargestellt sind. "Mein Ziel ist die Normalisierung des Besonderen", so Renner, die selbst lesbisch und non-binär ist. Mit ihrer Arbeit als ZDF-Fernsehrät*in will Renner weg davon, Menschen anhand nur eines ihrer Merkmale zu definieren und als Einzelfall herauszustellen.
Weil immer gesagt wird: 'Ihr müsst euch immer so zur Schau stellen.' Ich würde das gerne nicht mehr tun, wenn ich dafür nicht mehr diskriminiert werde und wenn ich überall vorkomme.