Datenanalyse Ostdeutschland in der Presse
Hauptinhalt
01. Oktober 2020, 12:35 Uhr
Eine Datenanalyse der Berichterstattung über Ostdeutschland ergibt: Ausgewählte negative Begriffe nehmen in der Berichterstattung in Zeitungen und Zeitschriften zu. Dazu wurden ca. 200 Millionen deutschsprachige Presseartikel maschinell analysiert.
2018 sorgte eine Untersuchung des MDR im Rahmen des Projekts "Wer braucht den Osten" für Aufsehen, in der die Berichterstattung über Ostdeutschland in der deutschen Presse untersucht wurde. Dabei ergaben sich Unterschiede, je nachdem, ob die ausgewertete Zeitung im Westen der Bundesrepublik oder in den neuen Ländern beheimatet ist.
Die Auswertung der Zahlen von 2017 zeigt, wie über Ostdeutschland berichtet wird. Zwei Jahre nach der ersten Analyse der Berichterstattung über Ostdeutschland wurde die Auswertung für MDR MEDIEN360G bis Mitte 2020 fortgeschrieben.
Grundsätzlich hat die rein quantitative Auswertung von Begriffen allerdings ihre Schwächen: Denn die Auswertung von Häufigkeiten lassen keine qualitativen Aussagen zu, also in welchem konkreten Zusammenhang die Begriffe im jeweiligen Pressebericht verwendet wurden. Die Zahlen können also allenfalls nur als Indiz dafür gewertet werden, dass Ostdeutschland in der Presseberichterstattung tendenziell negativer betrachtet wird. Bei den einzelnen Berichten können dafür auch ganz faktische und berechtigte Gründe vorliegen. Hinzu kommt: Insgesamt ist die Berichterstattung über Ostdeutschland als Projektionsfläche deutlich zurückgegangen; im Vergleich zu vor 30 Jahren wird eher über die einzelnen Bundesländer statt den gesamten Osten der Republik berichtet.
Trends bei ausgewählten Begriffen
Die Auswertung in der Presse-Berichterstattung von ausgewählten Begriffen in Verbindung mit dem Wort Ostdeutschland zeigt: Seit der Jahrtausendwende hat die Verwendung negativer Begriffe wie "abgehängt" und "Armut" zugenommen. Positive Begriffe wie "Wachstum", "Modernisierung" und "Aufschwung" werden weniger gebraucht. Die Nutzung des Begriffs "abgehängt" hat im Zeitraum von 2017 bis 2019 sogar noch zugenommen.
Nennung "Ostdeutschland" und "Wirtschaft"
Während in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung in der Wirtschaftsberichterstattung über Ostdeutschland ein deutlicher West-Überhang zu verzeichnen war, liegen die Zeitungen aus Ost und West heute in Sachen Häufigkeit der Nennung von "Ostdeutschland" und "Wirtschaft" gleich auf. Hier hat eine Angleichung stattgefunden.
Nennung "Ostdeutschland" und einzelne Bundesländer
Grundsätzlich fällt aber auch auf, dass der Sammelbegriff "Ostdeutschland", der in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung 1990 häufiger gebraucht wurde, insgesamt stark rückläufig ist. Der kleine Ausschlag im Jahr 2019 dürfte auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zurückzuführen sein. Insgesamt aber wird in der bundesdeutschen Presse vielmehr nach Bundesländern differenziert, also über Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen berichtet.
Nennung "Ostdeutschland" und "Problem"
In den 1990er Jahren verwendeten die Zeitungen aus dem Westen deutlich häufiger den Begriff Ostdeutschland im Zusammenhang mit Berichterstattung über "Probleme". Während sich dieser Abstand in den Jahren 2000 bis 2014 verringerte, wird er seit 2015 wieder größer. Aber auch in den Zeitungen aus Ostdeutschland hat die "Problemberichterstattung" seit 2015 im Vergleich zu den Vorjahren zugenommen. Das lässt darauf schließen, dass auch die Regionalzeitungen aus Ostdeutschland, die gewöhnlich deutlich näher an der Lebenswirklichkeit der Ostdeutschen sind und also auch differenzierter darüber berichten können, eine wachsende Zahl von Problemen in Ostdeutschland benannt haben.
Nennung "Ostdeutschland" und "Rechtsextremismus"
Die Auswertung des Begriffspaars "Ostdeutschland" und "Rechtsextremismus" verzeichnet in der bundesdeutschen Presse ebenfalls einen spürbaren Anstieg seit der Jahrtausendwende. Wobei sich dieses Begriffspaar nur in rund einem Prozent aller ausgewerteten Artikel findet. Die Zahl der Begriffsverwendungen im Zusammenhang mit Ostdeutschland in Ost wie West hat messbar zugenommen. Allerdings berichten Medien aus dem Westen häufiger über Ostdeutschland in Zusammenhang mit Rechtsextremismus als die ausgewerteten Zeitungen aus den neuen Ländern.
Nennung "Ostdeutschland" und "fremdenfeindlich" oder "Zivilcourage"
Wieder rückläufig ist die Nutzung des Begriffs "fremdenfeindlich" in Verbindung mit "Ostdeutschland". Gab es hier zwischen 2014 und 2016 einen deutlichen Anstieg, ist die gemeinsame Verwendung der Begriffe "Ostdeutschland" und "fremdenfeindlich" derzeit wieder auf dem Rückzug. Einen vergleichbaren Verlauf hat auch das Begriffspaar "Ostdeutschland" und "Zivilcourage" genommen. Auch hier liegt die Anzahl der Artikel, in denen diese Begriffspaare erwähnt sind, unter einem Prozent. Das zeigt, dass der gesamte Themenkomplex in der bundesdeutschen Presselandschaft insgesamt weniger eine Rolle spielt.
Zur Methodik der Datenanalyse
Für die Datenanalyse hat die Hoferichter & Jacobs Film- und Fernsehproduktion im Auftrag von MDR MEDIEN360G ausgewählte Begriffe mit Hilfe der Pressedatenbank des Unternehmens GBI-Genios ausgewertet. Das Unternehmen ist eine Tochter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung GmbH und der Handelsblatt Media Group. Die Datenbank vereint die elektronischen Archive der Zeitungen und verfügt über etwa 250 deutschsprachige Titel im Bereich der Tages- und Wochenzeitungen. Insgesamt wurden für den Zeitraum 1. Januar 1990 bis zum 15. September 2020 knapp 200 Millionen Presseartikel in etwa 110.000 Abfragen maschinell ausgewertet.
Hierfür wurde die Anzahl von Begriffen oder Begriffspaaren in den Presseartikeln berechnet und verglichen. Die Begriffe oder deren Abwandlungen, wie zum Beispiel "Ostdeutschland", "ostdeutsch", "Ostdeutsche(r)" usw. wurden in der Genios-Suchmaske automatisiert abgefragt und die Anzahl der Treffer addiert. Aussagen zur gesamtdeutschen bzw. bundesdeutschen Presse beruhen auf der Analyse aller Presseerzeugnisse, die in der Datenbank als Quellen unter Presse Deutschland gelistet sind. Zusätzlich wurden diese Quellen nach dem jeweiligen Publikationsort unterschieden, um Aussagen über die west- bzw. ostdeutsche Presse zu treffen. Zur westdeutschen Presse wurden alle Presseerzeugnisse gezählt, die in den alten Bundesländern bzw. Berlin-West publiziert wurden.
Die ostdeutsche Presse setzt sich dementsprechend aus allen Presseerzeugnissen zusammen, die in den neuen Bundesländern bzw. Berlin-Ost publiziert wurden. Die rein quantitative Analyse vernachlässigt die inhaltlichen Bezüge, in denen die Begriffe verwendet worden sind.
Weitere Infos zum Autoren Peter Stawowy
Peter Stawowy, Jahrgang 1971, kam 2003 nach Dresden. Der gebürtige Rheinländer lernte früh, dass man als Wessi im Osten sehr vorsichtig sein muss, wenn es darum geht, den Osten zu erklären. Nach verschiedenen Stationen, u.a. einer Ausbildung zum Medienjournalisten und als Chefredakteur einer großen Jugendzeitschrift, arbeitet er seit Januar 2020 für MDR MEDIEN360G.