Landkreis Hildburghausen Dingsleben
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Auf den Hügeln um Dingsleben müssen einst germanische Gerichtsstätten gelegen haben. Das hat Namenforscher Professor Udolph herausgefunden. Einfach war das aber nicht!
Dingsleben ist eine Gemeinde im Landkreis Hildburghausen im fränkisch geprägten Süden des Freistaats.
Historische Belege:
- 799 (Kopie 12. Jh.) T[h]ingeslei[b]a,Variante (verschrieben) Dingesfelden (UB Kloster Fulda Nr. 299 S. 376;Trad. Fuld. (ed. Meyer zu Ermgassen), II S. 94)
- (799-800) (Kopie um 1160) Dingesfelt(Trad. Fuld. (ed. Meyer zu Ermgassen), II S. 113)
- 800 (Kopie 12. Jh.) Tingesfleia (Dobenecker I Nr. 66 S. 19; H. Walther; nach Bathe dürfte das -f- aus -ſ- [geschwungenes -s-] verschrieben oder verlesen worden sein)
- (um 951) Dingesleia (Dobenecker I Nr. 376 S. 88; H. Walther)
- 12. Jh. (Kopie um 1160) Dingesfelt (Trad. Fuld. (ed. Meyer zu Ermgassen), II S. 158)
- 12. Jh. (Kopie um 1160) Dingesleibe (Trad. Fuld. (ed. Meyer zu Ermgassen), II S. 175)
- 1181 Dingisleie (Wölfing, Kloster Veßra Nr. 24 S. 44)
- 1181 Dingiesleibe (Jaxob)
- 1190 Dingislebe (Wölfing, Kloster Veßra Nr. 35 S. 50)
- 1408 Dingsleybin (Merkenelioglu)
- 1416 Dingisleibin (Merkenelioglu)
- 1435 Dingsleiben, Dingsleben (Merkenelioglu)
- 1442 Thingsleuben Jacob)
- 1445 Dingisleubin (Merkenelioglu)
- 1578 Dinngsleben (Merkenelioglu)
- 1796 Dingsleben (Bube 108)
Zur Bedeutung des Ortsnamens:
Der Ortsname sieht wie einer der häufigen -leben-Namen aus (Ebeleben, Elxleben, Merxleben, Walschleben, Grabslebenusw.), aber wenn man sich die Überlieferung genauer betrachtet, erkennt man, dass bei den ältesten Belegen im zweiten Teil des Namens recht unterschiedliche Formen stehen: -leia, -felt (!), -fleia (?), -leie. Man nimmt daher heute übereinstimmend an, dass die -leben-Formen wie niederdeutsch -leve, hochdeutsch -lebe(n) erst später in den Namen eingedrungen sind, bedingt durch die zahlreichen übrigen -leben-Namen in Thüringen.
Wenn das so ist, dann fragt man sich, was hinter der Endung -leia, -felt (!), -fleia (?), -leie wirklich verborgen ist. Zunächst ist zu bemerken, dass die wenigen -feld-Belege offenbar auf einem Irrtum oder einer Verwechslung beruhen. Zumeist nimmt man heute an, dass im zweiten Teil ein altes Wort für "Schiefer(felsen, -stein)" vorliegt, dass man aus der Loreley, aus dem Familiennamen von der Leyen und dem Leiendecker (= Schieferdecker) kennt. Dagegen muss man allerdings einwenden, dass dieses Wort kaum als Grundwort, also als zweiter Teil eines Ortsnamens, erscheint, zumeist nur als erster Teil.
Und auch der erste Teil des Namens Dingslebenist umstritten. Ist es das Thing, die germanische Rechtsversammlung? Oder ist es ein Vorname Thing-, den E. Förstemann u.a. angenommen haben?
Ich meine, dass man noch eine andere Möglichkeit in Betracht ziehen kann: Es gibt auch andere -leben-Ortsnamen, die nichts mit dem germanischen Wort für "Eigentum, Besitz, Hinterlassenschaft" zu tun haben. Dazu gehören aus dem Hannoverschen Wendland die Namen Bockleben, 1360 Bocleve, zu bōka, bōke "Buche"; Brandleben, 1450/1451 Brantleve, zu brand "Brand, Glut", und das bundesweit bekannte Gorleben, 1360 Ghorleve, zu mittelniederdeutsch goor "Schlick, Morast". In ihnen steckt nicht -laiw/-leben, sondern german. hlaiw- "Hügel" (zu diesem Wort s. K. Bischof und J. Udolph, Germanenproblem S. 863ff.), das im Niederdeutschen regelgerecht zu ‑lēve werden musste.
Die Lage von Dingsleben am Nordhang des Hügels Kuppe kann ebenfalls dafür sprechen. Es fragt sich dann noch, was sich hinter dem ersten Teil Thinges-, Dinges- verbirgt. Man kann wohl in erster Linie von einem Personennamen ausgehen - was auch verschiedentlich vorgeschlagen worden ist - aber das germanische Wort Thing, später Ding- (dazu und zu damit gebildeten Ortsnamen s. Udolph, Germanenproblem S. 587-602) könnte auch eine Rolle gespielt haben, denn es gibt etliche Ortsnamen, in dessen erstem Teil ein Genitiv Singular stehen kann. Musterbeispiel ist etwa Seeshaupt am Starnberger See = "des Sees Spitze".
Wenn man Thing + -hügel anzunehmen bereit ist, hätte man eine alte germanische Gerichtsstätte, die bevorzugt auf Höhen angelegt worden ist. Diese Erklärung wäre eine hochinteressante Geschichte, die vielleicht durch Funde o.ä. bestätigt werden könnte.
Literatur-Angaben:
M. Bathe, Die Ortsnamen auf -leben, Manuskript, ohne Ort, ohne Jahr, S. 343.
K. Bischof, Germ. *hlaiw- "Grabhügel, Grab, Hügel" im Deutschen, Wiesbaden 1979.
E. Förstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 2: Orts- und sonstige geographische Namen, 2. Hälfte, hrsg. von H. Jellinghaus, Bonn 1916, Sp. 1029.G. Jacob, Die Ortsnamen des Herzogthums Meiningen, Nachdruck Meiningen 2004, S. 33-34.
Y. Merkenelioglu, Ortsnamen des Landkreises Hildburghausen auf der Grundlage gedruckter Überlieferung, Magisterarbeit Bayreuth 1997, S. 8, 41.
J. Udolph, Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Berlin - New York 1994.
H. Walther, Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsgeschichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9. Jahrhunderts, Berlin 1971, S. 266.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Vormittag mit Haase und Waage | 03. Mai 2018 | 11:10 Uhr