Der Redakteur | 30.04.2024 Ein Klavier, ein Klavier und zwei Bescheide - treibt das Finanzamt einen Musikschul-Lehrer in den Ruin?
Hauptinhalt
30. April 2024, 22:31 Uhr
Freizeitspaß ist umsatzsteuerpflichtig, Bildung ist es nicht. So ähnlich steht es im Umsatzsteuerrecht. Eine kleine Musikschule aus Gebesee soll nun für viele Jahre Steuern nachzahlen und versteht die Welt nicht mehr.
Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit bei mdr.de und in der MDR Aktuell-App.
Karsten Werner ist Vollblutmusiker. Mit seiner Band "Birdhouse" ist er mit dem Song "Was zählt" einer der Finalisten beim Thüringen Grammy 2024. Seit nunmehr 20 Jahren hat er Berufserfahrung als Klavierlehrer, erst als angestellter Klavierlehrer, seit zwölf Jahren ist er selbstständig. Er unterrichtet als Einzelkämpfer die Kinder in deren zu Hause oder in seinem eigenen Übungsraum. So weit, so normal.
Zuständig für die Anerkennung eines solchen Unterrichts als "Bildungsangebot" ist in Thüringen die Staatskanzlei. Die prüft mit Kulturkompetenz und bescheinigt am Ende per Bescheid einer Musikschule das Vorliegen der fachlichen Voraussetzungen (Lehrplan, Unterrichtsmethoden, Erfahrung) für die Umsatzsteuerfreiheit oder eben nicht. Herr Werner bekam das Okay, gültig rückwirkend bis 2013, Verwaltungsgebühr: 75 Euro.
Trotzdem kam das zuständige Finanzamt zu einer anderen Einschätzung und im Ergebnis Herr Werner eine Zahlungsaufforderung im fünfstelligen Bereich - und zwar rückwirkend. Das Umsatzsteuerrecht ist da besonders gnadenlos. Man führt quasi in einem solchen Fall sogar Steuern ab, die man den Kunden, also den Eltern der Klavierschüler, gar nicht in Rechnung gestellt hat.
Die Krux mit dem Berichtigungszeitraum
Nun sind Umsatzsteuerberichtigungen schon so manchem Unternehmer auf die Füße gefallen, auch rückwirkend ist das möglich, für zehn Jahre. Allerdings stört sich Karsten Werner daran, dass es nur ihm so geht. Die öffentlichen Musikschulen werden sogar erheblich bezuschusst vom Land und den Kommunen, er aber nicht. Das ist schon mal ein Wettbewerbsnachteil. Seine freien Kollegen in seinem Umfeld werden zwar auch nicht gefördert, aber die müssen immerhin die 19 Prozent nicht draufschlagen auf ihre Rechnungen.
Und dass sich Staatskanzlei und Finanzamt so uneins sind, daran kann sich Mario Müller vom Bundesverband Freier Musikschulen nur noch in einem einzigen weiteren Fall erinnern. Doch auch der war nicht so krass, weil nicht rückwirkend.
Bisher war es so, dass die Finanzämter die Füße stillgehalten haben. Wenn die Bescheinigung vorliegt, wurde die akzeptiert.
Nun muss man dazu sagen, dass die EU die Angelegenheit mit der "Doppelbeschäftigung" von Staatskanzlei und Finanzamt bereits abgeschafft hat, doch die Umsetzung in deutsches Recht ist - aktueller Stand - erst ein Referentenentwurf. Für diesen arbeiten Experten gerade einen Kriterienkatalog aus, der dann ein fairer und einheitlicher Entscheidungsrahmen für alle Finanzämter wäre. Gelten soll das neue Recht ab 2025.
Wie begründet das Finanzamt Erfurt die Ablehnung?
In dem Ablehnungsbescheid des Finanzamtes darüber, dass Werners Unterricht ein "Bildungsangebot" ist, geht es interessanterweise nicht um die Qualifikation von Herrn Werner oder die Art seines Unterrichts. Deshalb hätte er es auch gut gefunden, wenn die Beamten nicht nur Papiere angefordert hätten, also Unterrichtsverträge, Bestätigungen von Eltern usw., sondern sich einmal in den Unterricht gesetzt hätten, um die Qualität zu beurteilen.
Wer maßt sich das an? Dann müsste mal jemand eine Stunde zugucken, wie ich die Schüler unterrichte und mir dann erzählen, dass das Freizeitspaß ist und keine Bildungstätigkeit.
Das Finanzamt Erfurt begründete die Ablehnung unter anderem damit, dass die Formulierung "unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistung" eng auszulegen sei und vorrangig "den Bereich des Schul- und Hochschulunterrichts" umfasse.
Bedeutet: Musikschulen sind da offenbar grundsätzlich raus, nicht nur Herr Werner. Denn spezialisierter Unterricht (wie es Klavierunterricht zweifelsfrei ist) sei davon nicht erfasst. Herr Werner erteile zudem hauptsächlich Kindern und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter Einzelunterricht für Klavier. Und der Unterricht ziele weder auf einen bestimmten Abschluss noch auf eine berufliche Qualifikation ab und es würde auch nicht feststehen, dass die Teilnehmer die Absicht hätten, "später beruflich im Bereich der Musik tätig zu werden".
Was direkt zu der Frage führt, welche Musikschule hat bitte Grundschüler, die ihr das rechtssicher versichern könnten? Da spielt es auch keine Rolle, dass die Staatskanzlei Karsten Werner noch genau das Gegenteil bescheinigte, nämlich, dass seine Kurse "auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten." Das von MDR THÜRINGEN um eine Stellungnahme gebetene Finanzministerium verwies darauf, dass die Finanzämter das letzte Wort hätten, so stünde es auch in dem Bescheid der Staatskanzlei. Schließlich seien die für die Steuern zuständig.
Aus einer solchen Bescheinigung ergibt sich aber "lediglich", ob die erbrachten Leistungen auf einen Beruf oder auf (eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts) abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereitet.
Was das Finanzamt Erfurt offensichtlich bestreitet.
Wie geht es jetzt weiter?
Mario Müller vom Verband der Musikschulen hat sich sehr höflich ausgedrückt im Interview mit MDR THÜRINGEN und sprach von einem "außergewöhnlichen" Fall. Auch kennt er den von Herrn Werner beauftragten Anwalt als sehr kompetenten Fachmann auf diesem Gebiet und sieht gute Chancen, dass alles gut ausgeht für Herrn Werner. Er empfiehlt deshalb, rechtlich dagegen vorzugehen und auch das Finanzministerium hat in seinem Antwort an MDR THÜRINGEN auf die Möglichkeit des Rechtsweges verwiesen.
Nur zweifelt Karsten Werner mittlerweile an unserem Rechtsstaat, in dem Bildungsvermittlung doch zu den höchsten Gütern zählt. Er will einfach nur Kindern die Begeisterung für Musik vermitteln in einer Zeit, in der nicht nur die Jüngsten nach Orientierung suchen. Und es ist auch nicht so, dass er rebellisch ist und keine Steuern zahlen will. Nur wenn, dann bitte alle oder keiner und nach einheitlichen und nachvollziehbaren Kriterien. Und trotzdem bleibt am Ende ein ungutes Gefühl: Die Einschätzung, dass Bildung in Deutschland (umsatzsteuerlich) offenbar nur Schulen und Hochschulen vorbehalten ist, die hat das Erfurter Finanzamt möglicherweise exklusiv.
MDR THÜRINGEN (ifl,ask)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 30. April 2024 | 16:40 Uhr