Der Redakteur | 24.10.2024 Eine Säge am Gymnasium - das wäre der Hammer! Wie fördern wir handwerklich begabte Schüler?
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25. Oktober 2024, 18:03 Uhr
Es war einmal UTP, also der "Unterrichtstag in der Produktion". Bis 1970 gab es den. Dann kam der Nachfolger PA (Produktive Arbeit) mit Gleichschritt mit dem vielleicht nicht so erstrebenswerten "Einführen in die sozialistische Produktion" (ESP). Die Erkenntnis, Praktiker zu brauchen, die war schon einmal ausgeprägter hierzulande.
Inhalt des Artikels:
Bildung ist Ländersache. Zwar können wir nicht völlig losgelöst agieren - Stichwort vergleichbare Abschlüsse bundesweit -, aber wir haben es in der Hand, dem Handwerk mittelfristig zu den Fachkräften zu verhelfen, die wir als Gesellschaft brauchen.
Talente entdecken im Werken-Unterricht?
Werken in der Grund- und Regelschule, dazu Handwerksbildungszentrum, Initiativen, Modellprojekte, Ehrenamt - es ist ja nicht so, dass es praktisch gar nichts gibt an unseren Schulen, aber der Ruf nach Mehr ist unüberhörbar.
Wie sollen denn die Kinder, die in einem Bildungssystem groß geworden sind, in dem die Praxis so wenig Bedeutung hat, überhaupt auf die Idee kommen, sich anders zu orientieren?
Und es geht dabei ja auch darum, eigene Talente überhaupt erst einmal zu entdecken. Dass einem der Hobel gut in der Hand liegt, das erfährt man nur durch Ausprobieren.
Der Modellbauclub will helfen, dass die Kinder Fingerfertigkeiten entwickeln, die sie übrigens auch als Zahnarzt gut gebrauchen könnten, sagt Andreas Hornung. Von daher ist das "Aussperren" der Praxis aus den Gymnasien der falsche Weg.
Eine Säge am Gymnasium - das wäre der Hammer!
Lehrer Volker Rusch, heute im Unruhestand und Ausschussvorsitzender für Kultur, Schule und Sport im Ilm-Kreis, war in seiner Zeit als Direktor eines Gymnasiums Mitglied in einem Gremium, in dem er seinen Kollegen aus anderen Bundesländern sein Praxismodell vorgestellt hat. Vereinfacht gesprochen war dies "Werken" nicht nur an der Grund- und Regelschule, sondern auch am Gymnasium. Dazu kamen weitere Praxis-Angebote.
Der Ansatz wurde in den "älteren Bundesländern" eher distanziert staunend aufgenommen. Das Gymnasium ist doch bitte das Gleis zu Studium, Wissenschaft und Führungskraft! Da sind handwerkliche Fertigkeiten wie Sägen, Löten oder Feilen doch eher nicht gefragt.
Dass dieser Ansatz ein Irrtum sein könnte, sollte mittlerweile überall angekommen sein im Lande. Und Volker Rusch ist heute noch etwas anderes wichtig in diesem Zusammenhang: Das Image unserer Regelschulen muss mit allen Mitteln aufpoliert werden.
In der Regelschule wird ganz solide auf tolle Berufe vorbereitet.
Die für viele zu früh gestellte Weiche darf nicht länger die direkte Verbindung zum Gymnasium sein, an der es auch noch so eine Art "Abstellgleis für Abgehängte" gibt. Der bessere Ansatz: Es sind zwei Hauptstrecken mit unterschiedlichen Schwerpunkten, wobei die ja schon vorhandene beiderseitige Durchlässigkeit zwischen beiden Schulformen nicht erst erfunden werden muss.
Welche Pläne haben die möglichen Regierungsparteien?
CDU, BSW und SPD haben das Thema bereits im Sondierungspapier festgehalten, schreibt die CDU-Fraktion auf Anfrage von MDR THÜRINGEN. Ein "Tag in der Praxis" sei vereinbart, der Praxis- und Berufsorientierung in der Schule stärken und den Berufseinstieg erleichtern soll.
Vorbild: Ein Modellprojekt in Nordthüringen, wo in der achten und neunten Klasse an jeweils einem Tag in der Woche insgesamt vier Betriebe und vier verschiedene Berufsbilder durchlaufen werden. Das BSW will eine verstärkte Integration von praxisnahen Ansätzen in der Bildungspolitik und damit auch haptische, künstlerische und musische Fertigkeiten fördern.
Zudem soll die Meisterausbildung kostenlos werden, ein Ansatz, der beim Studium eine Selbstverständlichkeit ist. Was direkt zu der Frage führt, warum machen wir es dem künftigen Geschäftsführer schwerer als dem angehenden Handwerksmeister?
Auch die "Arbeiterpartei" SPD hat konkrete Ansätze: Das Konzept der "Produktionsschulen" in Thüringen soll pilothaft erprobt und bei Erfolg flächendeckend eingeführt werden. Gemeinsam mit den Kammern sollen zudem überall Handwerkergymnasien entstehen. Bisher können Jugendliche an drei Schulen im Freistaat ihr Abitur mit handwerklicher Ausbildung ablegen.
Handeln statt klagen
Es müssen nicht immer gleich die auch nicht zwangsläufig "guten" alten Zeiten bemüht werden. Aber die Zeiten sind offenbar vorbei, in denen Kinder den ganzen Tag mit dem Ball draußen waren, geklettert sind oder Buden gebaut haben. Nicht alles, was im Elternhaus versäumt wird, können wir den Schulen aufbürden, aber das Zurückbesinnen auf das Basiswissen ist ein immer wieder geforderter Ansatz.
Der Biologieunterricht beispielsweise wird in den höheren Klassen zu Biochemie und Genetik, was um uns herum blüht und kriecht, ist da längst vergessen. Stichwort Schulgarten.
Clemens Klein, Elektrotechnikermeister aus Bad Tabarz, hat große Not, seine Aufträge von Fachkräften abarbeiten zu lassen. Selbst auszubilden, das habe sich bewährt, aber die Schule muss dafür die Basis legen, nicht in Projekten, sondern im Unterricht. Die Anforderungen müssten definiert sein und die Leistungen benotet werden.
Der Jugendliche, der aus der Schule geht, muss ein Werkstück winklig feilen, zwei Holzstücke auf Gehrung sägen und zwei Lampen in Reihe oder parallel schalten können.
Unabhängig vom späteren Beruf wird hier auch Wissen vermittelt, das man im Alltag gut gebrauchen kann. Clemens Klein erinnert an seinen alten UTP-Lehrer und das Bild, das wohl jeder einmal an die Wand hängen will. Mit Hammer und Nagel in der Hand ist es gut, wenn man weiß, dass vom Lichtschalter aus die Leitungen meistens senkrecht nach oben laufen. Und nach unten übrigens auch.
MDR (ifl)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 24. Oktober 2024 | 15:20 Uhr