Amt mit Geschichte: Der Thomaskantor in Leipzig
Hauptinhalt
21. April 2023, 10:22 Uhr
Andreas Reize ist derzeit Thomaskantor in Leipzig – und leitet damit den weltberühmten Thomanerchor. Seine Vorgänger reichen bis in die Zeit der Reformation. Wir geben einen Überblick.
Auch wenn der Leipziger Thomanerchor bereits seit 1212 existiert und von Mönchen und Lehrern geleitet wurde - das Amt des Thomaskantors ist ein Kind der Reformation. Im Jahr 1543 kamen die Thomasschule und der Thomanerchor in die Trägerschaft der Stadt. Da die Gottesdienste jetzt in deutsch gehalten wurden, nahm das Kirchenlied einen gewaltigen Aufschwung und mit ihm die mehrstimmige „figurale“ Musik. Thomaskantoren wie Johann Hermann Schein, Sebastian Knüpfer, Johann Schelle und Johann Kuhnau schufen Werke, die diesen „neuen Geist“ repräsentieren.
Die Ära Johann Sebastian Bach
Der prominenteste Thomaskantor in der Geschichte war Johann Sebastian Bach. Letztendlich durch ihn und seine Kantaten, Passionen und Motetten wurden die Thomaner zu einem Begriff in der weltweiten Musiklandschaft, bis heute fungieren sie neben dem Gewandhausorchester als „klingendes Aushängeschild“ der Messestadt. Als Wolfgang Amadeus Mozart bei einem Besuch in Leipzig den Chor mit Bachs Motette „Singet dem Herrn neues Lied“ hörte, rief er aus „Ei, das ist einmal etwas, aus dem sich etwas lernen läßt!“
Das 19. Jahrhundert
Die Thomaskantoren im 19. Jahrhundert setzten die Tradition fort – selbstverständlich nach dem Geschmack ihres musikalischen Umfelds. Im Laufe der Zeit wurde es für sie aber auch immer wichtiger, das Erbe Bachs zu pflegen, das vor allem durch die Bemühungen des Gewandhauskapellmeisters Felix Mendelssohn Bartholdy wieder ins öffentliche Bewußtsein gerückt war. Die Thomaskantoren Moritz Hauptmann, Gustav Schreck und Karl Straube waren entscheidende Träger dieser Leipziger Bach-Renaissance, deren musikalische Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Man kann allerdings unter Kirchenmusikexperten vortrefflich darüber streiten, ob der heutige Klang des Thomanerchors stärker von Bach oder eben von der Romantik geprägt ist.
Unter zwei Diktaturen – das 20. Jahrhundert
Im 20. Jahrhundert stand das städtische Amt unter dem Einfluss zweier Diktaturen. Durch das ein oder andere Zugeständnis an die NS-Kulturverantwortlichen konnte Thomaskantor Günter Ramin die dauerhafte Eingliederung des Chors in die Hitlerjugend verhindern.
Auch in der DDR stand der Chor unter ständigem Druck von Seiten des Staats. Einerseits nutzte man ihn durch seine zahlreiche Konzertreisen als Devisenbringer, andererseits versuchte man aber, die geistliche Bindung an die Thomaskirchgemeinde zu lockern, zum Beispiel indem man gezielt bei atheistisch geprägten Elternhäusern warb. Diese Entwicklung führte u.a. dazu, dass Thomaskantor Kurt Thomas schon nach wenigen Jahren sein Amt aufgab und in die Bundesrepublik ging. Zugeständnisse an die Machthaber – das ist heute unbestritten – machte auch Hans-Joachim Rotzsch in den 1970er und 1980er Jahren. Die nachgewiesene Tätigkeit dieses Thomaskantors für das Ministerium für Staatssicherheit lässt ihn bis heute im Zwielicht erscheinen. Dennoch – seine positiven Verdienste, etwa die zahlreichen herausragenden Schallplatteneinspielungen beim DDR-Staatslabel Eterna, wirken bis heute nach.
Die Thomaskantoren im wiedervereinigten Deutschland
In den 1990er Jahren prägte Georg Christoph Biller das Amt, nicht zuletzt auch durch Uraufführungen eigener Werke und Auftragskompositionen für die Thomaner. Unter seiner Ägide wurde 2012 das 800-jährige Jubiläum von Schule und Chor begangen. Billers Nachfolger Gotthold Schwarz setzte einen neuen Akzent, indem er mit den Thomanern verstärkt Kompositionen der Thomaskantoren aus der Zeit von Bach aufführte. Man darf gespannt sein, welche musikalischen Akzente der Thomaskantor Andreas Reize setzen wird. Er ist der erste Schweizer in diesem Amt – und der erste Katholik.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 18. Dezember 2020 | 08:10 Uhr