Rezension Das Schostakowitsch-Jahr wirft seine Schatten voraus: "Lady Macbeth von Mzensk" an der Oper Leipzig
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27. Mai 2024, 07:10 Uhr
Die Oper Leipzig zeigt mit ihrer Premiere "Lady Macbeth von Mzensk" die Urfassung des Werkes. Dieses auf eine Novelle von Nikolai Leskow zurückgehende Werk wurde 1932 uraufgeführt. Als "Katerina Ismailowa" kam es erst nach einer vernichtenden Kritik durch Stalin heraus, inhaltlich und musikalisch drastisch "entschärft" und "geglättet" (1963 uraufgeführt in Moskau). Regisseur Francisco Negrin sieht Sibirien "als Zustand", Dirigent Fabrizio Ventura liefert die Zustandsbeschreibung dazu.
Schostakowitsch und Leipzig
Zwischen Dmitri Schostakowitsch und der Musikstadt Leipzig gibt es viele Bezugspunkte. Der Komponist ist 1950 zu den Feierlichkeiten anlässlich des 200. Todestages von Johann Sebastian Bach in Leipzig gewesen (was ihn zu seinen 24 Präludien und Fugen anregte), 1965 gab es hier die DDR-Erstaufführung seiner Oper "Katerina Ismailowa" durch Regisseur Joachim Herz, später initiierte Gewandhauskapellmeister Kurt Masur einen sinfonischen Beethoven- und Schostakowitsch-Zyklus, der große Beachtung fand, und im kommenden Jahr werden Gewandhausorchester und das Boston Symphony Orchestra gemeinsam das Schostakowitsch-Festival Leipzig ausrichten.
Schostakowitsch-Oper als wirkungsvolles Gesamtkunstwerk
Einen Vorgeschmack lieferte jetzt schon die Oper Leipzig mit ihrer Premiere "Lady Macbeth von Mzensk." Dieser originale Titel geht auf Shakespeares mordene Lady Macbeth zurück. Auch Schostakowitschs Katerina, eine frisch verheiratete Kaufmannsgattin, deren Mann sowohl im Bett als auch im Geschäft eine Null zu sein scheint, wird zur mordenden Gattin. Erst tötet sie ihren despotischem Schwiegervater Boris Timofejewitsch mit einer Pilzsuppe, der sie Rattengift beigemischt hat, dann muss auch dessen Sohn daran glauben, damit sie ihren Geliebten Sergej heiraten kann.
Aber Katerina kann aus ihrem langweiligen Dasein nicht ausbrechen, ebensowenig wie die in der Mühle von Boris ausgebeuteten Massen, deren qualvolles Schicksal wie vorbestimmt wirkt. Just bei der Hochzeit von Katerina und Sergej fliegt der Doppelmord auf, sie werden festgenommen, verurteilt, kommen nach Sibirien, was für das Regieteam übrigens kein Ort ist, sondern ein Zustand. Genau darum ging es wohl auch Schostakowitsch – um eine Zustandsbeschreibung. Er hat mit musikalischen Mitteln geleistet, was die Inszenierung auf der Bühne bebildert.
Neben dem spanischen Regisseur Francisco Negri und dem Italiener Fabrizio Ventura am Dirigentenpult waren es vor allem die vielen Mitwirkenden auf der Bühne und im Orchestergraben, denen in Leipzig ein wirkungsvolles Gesamtkunstwerk gelungen ist. Rifail Ajdarpasic ließ dazu ein Bühnenbild bauen, das zunächst Arbeits- und Wohnwelt darstellt, Mühle, Küche und Bett, später aus der Höhe ein Polizeirevier in die Szene setzt und zum Schluss die trostlosen sibirischen Weiten aufzeigt. Da mag durchaus an die Straflager der Zaren, an Stalins Gulag, vielleicht auch an das Russland von heute gedacht werden; eine unaufdringlich aktuelle Umsetzung der Schostakowitsch-Oper in Leipzig.
Kostümbildnerin Ariane Isabell Unfried hat diesen Eindruck bestärkt. Solisten und Chor agieren in Kostümen, die ihren Sozialstatus bezeichnen, die Angestellten gleichsam als schuftende Mehlsäcke, die Polizisten als schweinsköpfige Uniformleute karikiert, mit Andeutungen historischer Kostüme versehen ist nur die Herrscherfamilie sowie ein – auf Krücken gehender – Pope.
Natürlich ist diese Oper eine groteske Überzeichnung der privaten und gesellschaftlichen Zustände, der Spiegel einer unmenschlichen Welt, in der sich Menschen gegen Menschen verhalten. Um der Misere zu entfliehen, kommt es zu Mord und Gewalt, was wiederum noch mehr Gewalt, einen zweiten und ganz zum Schluss einen dritten Mord nach sich zieht.
Gewalt kann nur zerstören
Aller optischen Opulenz zum Trotz wurde der Abend von der Musik geradezu dominiert. Gerede in den orgiastischen Szenen der Kopulation von Katerina und Sergej tönte sie aufbrausend aus dem Graben, wurde von Bläsern links und rechts in den Seitenlogen noch kräftig verstärkt, ebenso in der skurrilen Polizeiszene; Schostakowitsch hat da alles aufgefahren von Klassikzitaten bis Walzer und Marschmusik, hat vor allem natürlich seinen mal feinen, mal derben Humor in die Musik gepackt – dieses gewaltige Klangspektrum wurde vom Gewandhausorchester und dem brillanten Opernchor ergreifend umgesetzt.
Mitunter freilich so laut, dass die Solisten auf der Bühne akustisch verdeckt wurden. Dabei haben sie sich durchweg adäquat bis vorzüglich geschlagen. Als Katerina brillierte die schwedische Sopranistin Ingela Brimberg mit großer Reife in Stimme und Spiel, wobei sie dennoch mädchenhafte Momente blicken ließ und den Spagat zwischen Lust und Schuld ausgestellt hat. Brenden Gunnell als ihr Geliebter Sergej gab den Heldentenor als kräftigen Schurken, Randall Jakobsh wirkte als Katjas böser Schwiegervater teils etwas schwachbrüstig, auch Matthias Stier als dessen Sohn Sinowij gab sich lau, immerhin passend zu seiner Partie. In Paraderollen konnten sich Dan Karlström als betrunkener Hochzeitsgast, Franz Xaver Schlecht als brutal eitler Polizeichef sowie Ivo Stanchev als zwielichtiger Pope hineinsteigern.
Dass im an Chaplins "Modern Times" erinnernden Bühnenbild ein riesiges Fabergé-Ei geprangt hat, erschloss sich sinnbildlich für vergehenden Glanz und unerfüllte Fruchtbarkeit: Ist es einmal kaputt, dann ist es hin, kann nicht wiederhergestellt werden. Genau dies sagt auch diese vielleicht hoffnungslose, vor allem aber warnende Oper: Gewalt kann nur zerstören, nichts retten.
Besetzung
LEITUNG
- Musikalische Leitung Fabrizio Ventura / Christoph Gedschold / Andris Nelsons
- Inszenierung Francisco Negrin
- Movement Director Fin Walker
- Bühne Rifail Ajdarpasic
- Kostüme Ariane Isabell Unfried
- Licht Michael Röger
- Videodesign Marc Molinos
- Dramaturgie Marlene Hahn / Kara McKechnie
- Choreinstudierung Thomas Eitler-de Lint
BESETZUNG
- Boris Timofejewitsch Ismailow Randall Jakobsh / Dmitry Belosselskiy
- Sinowij Borissowitsch Ismailow Matthias Stier
- Katerina Ismailowa Ingela Brimberg / Kristine Opolais
- Sergej Brenden Gunnell / Pavel Černoch
- Aksinja Friederike Meinke / N.N.
- Der Schäbige Dan Karlström
- Verwalter / Wächter Michael Raschle / Liam James Karai
- Hausknecht Christian Moellenhoff
- 1. Vorarbeiter / Kutscher Ervin Ahmeti
- 2. Vorarbeiter / Lehrer Sven Hjörleifsson
- 3. Vorarbeiter Einar Dagur Jónsson
- Bote (Mühlenarbeiter) Marian Müller / Vincent Turregano
- Pope Ivo Stanchev
- Polizeichef Franz Xaver Schlecht
- Polizist Vincent Turregano / Marian Müller
- Betrunkener Gast Jin Young Jang
- Sergeant Kwangmin Seo / Frank Wernstedt
- Sonjetka Nora Steuerwald
- Alter Zwangsarbeiter Peter Dolinšek
- Zwangsarbeiterin Kamila Dziadko
- Geist des Boris Timofejewitsch Randall Jakobsh / Dmitry Belosselskiy
- Chor Chor der Oper Leipzig
- Zusatzchor Zusatzchor der Oper Leipzig
- Orchester Gewandhausorchester
Weitere Aufführungen
29. Mai
2., 5. und 8. Juni 2024
Danach wieder im Mai 2025 beim Schostakowitsch-Festival Leipzig.
Dieses Thema im Programm: MDR KLASSIK | 27. Mai 2024 | 07:10 Uhr