Zum 125. Geburtstag Komponist und Kommunist: Hanns Eisler zum 125. Geburtstag
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10. Juli 2023, 11:36 Uhr
Er war hochtalentiert und unbequem, schrieb Arbeiterlieder ebenso wie Sinfonien und die Nationalhymne der DDR: der Komponist Hanns Eisler, der am 6. Juli 1898 in Leipzig geboren wurde. Anlässlich seines 125. Geburtstags stellte das MDR Fernsehen seine bewegte Biografie in der Reihe "Lebensläufe" vor und sendete eine spannende Archivaufnahme seiner Deutschen Sinfonie von 1963.
Musik für die Massen wollte Hanns Eisler schreiben, den Soundtrack zur Weltrevolution. In Erinnerung blieb er als gescheiterter Klassenkämpfer und Komponist der Nationalhymne eines untergegangenen Staates. Nach der Wende stand in Leipzig sein Geburtshaus vor dem Abriss, bis so etwas wie eine Renaissance einsetzte. Inzwischen ist das Haus in der Hofmeisterstraße 14, in dem Eisler am 6. Juli 1896 geboren wurde, saniert. Die Stadt kaufte es und vermietet die Wohnung des Komponisten an einen Verein, der sich um sein Erbe kümmert und inzwischen sogar ein Composers-in-Residence-Programm auflegte.
Bei vielen klappt sofort das Visier runter: Eisler, das ist der Komponist der Nationalhymne, irgend so ein Kommunist. Dass er Schönberg-Schüler war, im Exil mit Brecht gearbeitet hat und ein ganz großer Liedmeister ist, wissen viele nicht, weil er in so einer Schublade steckt.
Anlässlich seines 125. Geburtstags stellte MDR KULTUR den Komponisten in der Reihe "Lebensläufe" vor: "Vorwärts und nicht vergessen! Der Komponist Hanns Eisler" war am 6. Juli 2023 um 23.10 Uhr im MDR-Fernsehen zu sehen. Direkt anschließend gab es ab 23.40 Uhr eine Rarität aus dem Archiv zu erleben: die historische Aufnahme seiner Deutschen Sinfonie von 1963 aus der Kongresshalle Leipzig mit den Vorläufern des heutigen MDR-Sinfonieorchesters und MDR-Rundfunkchors.
Musik in dürftigen Verhältnissen
Als jüngstes Kind des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler und der Fleischerstochter Ida Marie kommt er in Leipzig auf die Welt. Seine Kindheit und Jugend verbringt er in Wien, in dürftigen Verhältnissen, wie er später selber sagt. Der Vater bekommt als bekennender Atheist keine Stelle an der Universität und arbeitet als Privatgelehrter. Zur Entspannung spielt er Klavier. So lange das Geld reicht, lässt er auch seine Kinder unterrichten. Bald muss das Instrument abgeschafft werden, doch den Jungen lässt die Musik nicht mehr los:
Mein Studium begann eigentlich, als ich mir mit 10 Jahren aus Reclams Universalbibliothek eine allgemeine Musiklehre kaufte.
Avantgarde nicht nur für den Klassenkampf
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kommt der bitterarme Eisler zu Arnold Schönberg, der sein Talent erkennt und ihn honorarfrei unterrichtet. Eisler beginnt sich zu fragen, für wen er seine Musik schreibt - er will raus dem bürgerlichen Konzertsaal auf die Straße. So missfällt ihm auch das Elitäre der Avantgarde, darüber kommt es mit seinem Lehrer zum Streit. Er geht 1924 nach Berlin, ein Zentrum der Arbeiterbewegung. Dort trifft er auf Bertolt Brecht, ein Glücksfall, denn auch der Dichter hält nichts vom bürgerlichen Geniekult in Zeiten größter sozialer Not. Mit Brecht arbeitet er an "Kuhle Wampe", der Anfang der 1930er-Jahre zum Massenerfolg wird, und auch Brechts Dramatisierung von Gorkis "Mutter" in Berlin wird mit Eislers Musiknummern zu einem der populärsten Stücke des proletarischen Theaters.
Ein Arbeiterchor soll nicht in seinen Konzerten die Haltung eines 'Kollektivcarusos' einnehmen, der seinen Bekannten und Verwandten ein schönes Liedlein vorsingt.
Eisler schreibt Klavier-, Kammermusik-, Vokal- und Orchesterwerke für Theateraufführungen in der Hauptstadt und für das Baden-Badener Musikfest, wo Brecht 1927 "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" zur Uraufführung bringt. Als überzeugter Sozialist verfasst Eisler auch Lieder für die Agitproptruppe "Rotes Sprachrohr", Stücke wie das "Kominternlied" und Chöre für die Arbeitersängerbewegung, die damals in Deutschland Zehntausende Mitglieder hat.
Als "Musikbolschewist" im Exil
Bald erkennen die Nazis die Agitationskraft der linken Kampflieder, die sie teilweise kapern und einfach mit neuen Texten versehen. Als Hitler 1933 die Macht übernimmt, hat der "Musikbolschewist" Eisler, der auch Jude ist, in Deutschland keine Chance mehr. Er emigriert, reist rastlos durch Europa, komponiert, konzertiert und publiziert. Nach Stationen in Frankreich, Dänemark, Großbritannien und Spanien kommt er 1938 mit seiner zweiten Frau in die USA, seine Ankunft findet sogar in der New York Times Beachtung. Er lehrt an Hochschulen, seine Werke werden aufgeführt, Freunde unterstützen ihn. Als 1941 Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfällt, hatte Eisler in Hollywood Fuß gefasst. Es geht ihm besser als anderen Exilanten und für seinen Beitrag zu Fritz Langs Anti-NS-Film "Auch Henker sterben" wird er 1943 sogar für den Oscar nominiert.
Von Hollywood nach Ostberlin
Doch im selben Jahr beginnt das FBI, sein Haus zu überwachen. Eisler gilt als Kommunist, der sich auch für die amerikanische Arbeiterbewegung engagiert. 1948 wird er ausgewiesen, trotz Protest von Künstlerfreunden wie Chaplin, Picasso oder Thomas Mann. Nach einigem Zögern siedelt Eisler 1949 über in die DDR - und komponiert dem jungen Arbeiter- und Bauernstaat eine Hymne: "Auferstanden aus Ruinen". Das bringt ihm den Nationalpreis erster Klasse, im Westen macht ihn die "Spalter-Hymne" unpopulär.
Was bleibt?
Eisler lebt und arbeitet privilegiert, kann reisen, auch da er seine österreichische Staatsbürgerschaft nie abgelegt hat. Doch mit seinem Opernlibretto "Johann Faustus" gerät er 1953 mitten hinein in die Formalismus-Debatte. Es sei völlig ungeeignet als Grundlage für eine neue deutsche Nationaloper, heißt es: zu "pessimistisch, volksfremd, ausweglos, antinational"! Zum Bruch kommt es nicht. Eisler wird Professor an der später nach ihm benannten Berliner Musikhochschule und erhält 1958 sogar einen weiteren Nationalpreis. Ein Jahr später wird in der Berliner Staatsoper seine "Deutsche Sinfonie" uraufgeführt, ein komplexes Werk zur deutschen Geschichte und sein musikalisches Vermächtnis. "Trauer ohne Sentimentalität und Kampf ohne Militärmusik" strebt der Komponist an, der sich in diesem Werk auch mit Schönberg auszusöhnen scheint. Unermüdlich arbeitet Eisler weiter, auch nach einem Herzinfarkt. Am 6. September 1962 stirbt er nach einer weiteren Attacke 64-jährig in Ostberlin.
Mit dem Untergang der DDR verschwinden seine Werke aus den Konzertprogrammen. Das ändert sich, seine Lieder sind heute wieder zu entdecken. Der Pianist Steffen Schleiermacher und der Bariton Holger Falk legten eine Auswahl seiner Lieder aus allen Schaffensperioden vor, für den ersten Teil bekamen sie den Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Und sogar auf der Straße hat ihn einer seiner Biografen wieder vernommen, Eisler ist offenbar wieder aktuell:
Ich freue mich ja, gerade gestern waren wieder große Demos in Berlin und immer häufiger kommt vom Lautsprecherwagen wieder Eisler. Busch singt das 'Stempellied' oder 'Das Lied der Arbeitslosen'. Das spielen die zur Demo gegen Hartz IV.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Vorwärts und nicht vergessen! Der Komponist Hanns Eisler | 06. Juli 2023 | 23:10 Uhr