15 Jahre Vokalzauber im Nachtgesang
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18. November 2019, 17:17 Uhr
Der Nachtgesang, das Kultformat des MDR-Rundfunkchors, feiert am 15. November 2019 mit Howard Arman seine 50. Auflage. Wir blicken zurück auf Geschichte und Höhepunkte einer ganz besonderen Konzertreihe.
Wenn sich an diesem Freitagabend die Tore der Leipziger Peterskirche für den Nachtgesang des MDR-Rundfunkchors öffnen, erwartet die Besucherinnen und Besucher das nunmehr 50. Konzert der A-cappella-Reihe, die in Windeseile Kultstatus erlangte und seit 15 Jahren Menschen aller Couleur im nächtlichen Dunkel versammelt: Jung und Alt, Kulturschaffende und Laien, Menschen mit akademischem und bildungsfernem Hintergrund, dazwischen Freunde und Familien der Choristen, Ehemalige und gar der eine oder andere Obdachlose. Gemeinsam ist ihnen eines: Die Freude an der schlichten Schönheit des A-Cappella-Gesangs, an Konzerten auf Höchstniveau, kostenlos, ideenreich, offen für alle.
Was nach verklärt-romantischer Illusion klingen mag, wird in der stimmungsvollen Dunkelheit des „Nachtgesangs“ zum Prinzip, so Howard Arman, der die Geschicke des MDR-Rundfunkchors bis 2013 lenkte: „Die Nachtgesänge legen keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Das gilt für die Kirche und genauso dafür, wie man angezogen ist oder wie man sich zu verhalten hat [...] In dieser Zauberwelt der Peterskirche gibt es keine Barrieren.“
Der emotionale Dialog, der Publikum und Chor über die Musik verbindet – seit jeher „Markenzeichen“ der Nachtgesänge –, schafft Raum für offenen Austausch und gemeinschaftliches Erleben, aber auch Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Der wohlwollende Vertrauensvorschuss der Besucherinnen und Besucher lässt die „Nachtgesänge“ zur experimentellen musikalischen Spielwiese werden, wie sie im Konzertalltag selten zu finden ist – dreizehn Uraufführungen im Rahmen der Reihe und ein Anteil von gut einem Drittel Neuer Musik sprechen für sich. Und wenn hier programmatisch Neues neben Altem steht, geht es nicht um eine möglichst wirkungsvolle Ausgestaltung von Kontrasten. Vielmehr entspinnen sich zwischen den Werken suggestiv-thematische Bögen, die die Universalität der Musik über alle zeitlichen Grenzen hinweg besingen.
„In welcher Epoche die Musik entstand, das spielte für meine Programme nie eine Rolle“, erklärt Howard Arman die flexible inhaltliche Ausrichtung seiner Programme. „Es geht doch bei Musik nicht ums Verstehen. Die Idee ‚Stockhausen verstehe ich nicht, aber Bach verstehe ich’, das ist Unsinn! Es sollte doch um emotionale und unvoreingenommene Teilnahme an Musik gehen.“ Und tatsächlich fügten sich in der Vergangenheit die Renaissance-Klänge der vierzigstimmigen Tallis-Motette „Spem in Alium“ ebenso organisch in die nächtliche Konzertatmosphäre der „Nachtgesänge“ ein wie die in Giles Swaynes „The Tiger“ geforderten Grunzlaute und Schreie oder die sinnlichen Bögen in Rachmaninows „Vesper“.
„Es ist so schön, dass das Publikum all das mit uns geteilt hat“, freut sich Howard Arman rückblickend. Und wie könnte er seine Verbundenheit mit Leipzig und dem MDR-Rundfunkchor besser zum Ausdruck bringen als mit einer Rückkehr zur Jubliläums-Auflage dieses Tradition gewordenen Konzertformats?