12. November '92 Ein Hauch von Ostalgie
Hauptinhalt
11. September 2010, 11:36 Uhr
Die Rückbesinnung auf den Osten begann bereits 1991, als die neuen Bundesbürger die ihnen vertrauten Ost-Marken wieder verstärkt nachfragten. Drei Viertel der Ostdeutschen kauften bevorzugt heimische Waren.
Die Rückbesinnung auf den Osten begann bereits 1991, als die neuen Bundesbürger die ihnen vertrauten Ost-Marken wieder verstärkt nachfragten: "Spee", "Florena", "Bautzener Senf", "Radeberger", "Rotkäppchen"-Sekt, die Zigarettenmarken "f6", "Karo", "Juwel", das Spülmittel "Fit", "Kathi Kuchenmehl", "Club Cola", "Spreewälder Gurken", "Nordhäuser Doppelkorn" und "Burger Knäckebrot" erlebten ein furioses Comeback. Drei Viertel der Ostdeutschen gab in Meinungsumfragen an, heimische Produkte bevorzugt einzukaufen.
"Test the West"
Im Winter 1989 hatte das noch ganz anders ausgesehen: Die Zigarettenwerbung "Test the West" stand symbolisch für das Kaufverhalten der Ostdeutschen. Sie verschmähten durchweg die eigenen Produkte: Alles, was aus dem Osten kam, schien plötzlich nicht mehr gut genug zu sein. Und die westdeutschen Handelsketten nutzten die Gunst der Stunde entschlossen zu einer Marktbereinigung. Rigoros strichen sie ostdeutsche Marken aus ihrem Sortiment.
Die Ostdeutschen befanden sich in einer vertrackten Situation – lehnten sie doch die Produkte ab, die sie selbst herstellten. Und der Widerspruch wurde noch dadurch verschärft, dass die Beziehung zwischen Ost und West hineinspielte. Denn, dass die Westdeutschen die Ostprodukte als Schrott bezeichneten, empfanden die Ostbürger als Demütigung. Doch die ausschließliche Hinwendung zu den Produkten aus dem Westen hielt kaum ein Jahr an, dann war "Test the West" auch schon wieder zu Ende.
"OSTalgie-Partyies"
Doch bis zur ersten großen "Ostalgiewelle" dauerte es noch eine Weile – bis Pfingsten 1994. An diesem Wochenende veranstaltete Ralf Heckel, der sich in der DDR sein Geld als "staatlich geprüfter Schallplattenunterhalter" verdient hatte, im thüringischen Nordhausen die erste "OSTalgie-Party". "Ich merkte, dass das aus den Leuten herausbricht, und dass die Zeit reif ist dafür – stolz dazustehen und zu sagen: Ich bin ein Ossi!", erklärt Heckel seine Geschäftsidee.
Die Gäste kamen mit FDJ-Blusen, mit Pionierhalstuch oder in der Uniform der NVA zur Party. Am mit DDR-Fahnen geschmückten Eingang standen "Volkspolizisten", die herumschnauzten: "Bürger, können Sie sich ausweisen?!" Es wurden FDJ-Lieder gesungen und die Hits von Silly, Karat oder den Puhdys. Jahrelang tourte Heckel mit seinen "OSTalgie-Partyies" durch die ehemalige "Zone" und traf mit ihnen das Lebensgefühl einer ganzen Generation.
"Sonnenallee" und "Good Bye, Lenin!"
1997 planten der Regisseur Leander Haußmann und der Autor Thomas Brussig einen Film über den Alltag gewöhnlicher DDR-Bürger. Ihr Projekt trug den Titel "Sonnenallee". Anfänglich interessierte sich niemand dafür. "Der Osten stinkt", hatte der Filmproduzent Atze Brauner damals verkündet. Haußmann drehte den Film trotzdem. 1999 kam er in die Kinos und wurde ein riesiger Erfolg, vor allem im Osten. "Wir waren offenbar auf ein Grundbedürfnis gestoßen: die Sehnsucht, ein bisschen Identität zurückzubekommen", schrieb Haußmann in einem Artikel für den "Spiegel". "Plötzlich schien das Ossi-Thema auch kommerziell interessant zu sein."
2003 kam ein Film in die Kinos, der zu einem der erfolgreichsten in der deutschen Filmgeschichte überhaupt werden sollte: "Good Bye, Lenin!" Mehr als sechs Millionen Zuschauer sahen ihn. Und auch wenn Regisseur Wolfgang Becker mit dem ganzen "Ostalgiescheiß" nichts zu tun haben wollte, nach seinem Film boomte die DDR.
"Ein Kessel DDR"
Alle großen Fernsehanstalten Deutschlands veranstalteten in diesem und den folgenden Jahren DDR-Shows, die sich kaum voneinander unterschieden. Den Anfang machte die Eiskunstläuferin Katharina Witt, einst im Westen als das schönste Gesicht des Sozialismus gepriesen, die in FDJ-Bluse durch "Die DDR-Show" auf RTL führte, mit dem Boxer Henry Maske "Lipsi" tanzte und angeblich "typische DDR-Cocktails" mixte. Mehr als sechs Millionen Zuschauer sahen ihr dabei zu.
Die Quote stimmte und nun wollte keine der anderen Anstalten zurückstehen: Sat 1 veranstaltete eine DDR-Show, das ZDF und ebenso der MDR. Die DDR stank nun überhaupt nicht mehr. Und die Zuschauer konnten den Eindruck gewinnen, der kleine deutsche Teilstaat sei ein lustiges kleines Land gewesen, in dem sich dauernd Honecker-Witze erzählt wurden, Nina Hagen und Achim Menzel das Sandmännchen-Lied trällerten, die Schwimmerin Cornelia Ender durch fleißiges Training ein so breites Kreuz und ihre männlich tiefe Stimme bekommen hatte, und alle unablässig Dirk Michaelis Liebeslied "Als ich fortging" hörten.
Früher, als wir noch jung und verliebt waren
Wo die "Ostalgie" nur herkommt, fragte sich der aus Ostberlin stammende Reporter Alexander Osang 2003 in einer Titelgeschichte des "Spiegel": "Die Zeiten sind schlecht", notierte er. "Wir sind alle älter geworden. Auch die Puhdys fallen bald um. Die Ostler denken an früher, als sie noch jung und verliebt waren. Und die Westler? Schwer zu sagen. Vielleicht freuen sie sich, dass sie für einen Showabend lang ihre graue Gegenwelt wieder zurückhaben. Sie leben ganz allein im richtigen Teil der Welt und können für einen Moment vergessen, dass die moderneren Tankstellen bei der undankbaren Ostverwandtschaft stehen."