Vom Stadtmensch zum Landmann Interview: "Städter und Dorfbewohner ticken unterschiedlich"
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02. Dezember 2021, 15:50 Uhr
Frische Luft, grasende Kühe und ganz viel Ruhe – das Leben auf dem Land erscheint vielen Großstädtern als perfekte Idylle. Doch das kann täuschen, sagt André Meier. Der Urberliner hat vor 13 Jahren seine Wohnung im Prenzlauer Berg gegen einen Bauernhof getauscht und warnt vor übertriebenen Erwartungen.
Herr Meier, Sie haben über 40 Jahre in Berlin gelebt, was hat Sie ausgerechnet auf einen Bauernhof verschlagen?
Das fing wie bei fast allen Großstadtflüchtlingen zunächst mal als Freizeitbeschäftigung an. Meine Frau wurde schwanger und da kam die Idee auf, ein kleines Ferienhaus auf dem Land zu kaufen. Das sollte erst mal nur für die Wochenenden sein. So kamen wir zu dem Haus in Vorpommern. Irgendwann wollten wir nicht mehr ständig im Stau stehen und haben uns entschieden, ganz aufs Land zu ziehen. Da fingen die Probleme an.
Welche Probleme denn?
Wenn man aus der Großstadt aufs Land zieht, denkt man eigentlich ausschließlich an die schönen Seiten: an Ruhe, Weizenfelder und frische Luft zum Beispiel.
Was man nicht beachtet ist, dass Städter und Dorfbewohner noch immer unterschiedlich ticken. Das fängt bei so Kleinigkeiten wie dem Aufstehen morgens an und geht bei der Frage weiter, wie ein ordentlicher Vorgarten auszusehen hat. Wir hatten da zum Beispiel eine Totholzhecke angelegt, damit Vögel und Igel im Winter Unterschlupf finden können. Für unsere Nachbarn war das aber nur ein Dreckhaufen, der das Dorf verschandelt. Das gab dann lange Diskussionen und wurde sofort Thema der nächsten Dorfversammlung. Letztlich war das aber auch ein Fehler von uns. Wir hätten schon beim Hauskauf darauf achten sollen, wer die Nachbarn sind und ob wir zu ihnen passen. Denn wenn man erst einmal in dem Haus wohnt, kann man sich eigentlich nur noch anpassen oder wieder weg ziehen.
Wie haben denn Ihre Freunde reagiert, als die von Ihren Plänen hörten, aufs Land zu ziehen?
Ganz unterschiedlich. Die meisten haben uns für sehr mutig gehalten. Viele haben sich aber auch gefreut, dass sie jetzt im Sommer immer rausfahren und uns besuchen können. Vor allem wenn lange Hochdruckgebiete angekündigt sind, wird es bei uns im Haus bis heute regelmäßig voll. Im Prinzip bedeutet der Umzug von der Stadt aufs Land aber gleichzeitig auch, dass sich im Freundeskreis die Spreu vom Weizen trennt, denn von den vielen Freunden aus der Stadt bleibt durch die Entfernung in der Regel nur ein harter Kern übrig.
Abgesehen von Totholzhecken, was machen Großstädter denn noch falsch, wenn sie aufs Land ziehen?
Eigentlich fast alles. Hausbesichtigungen finden zum Beispiel immer nur in der schönen Jahreszeit und am Wochenende statt. Dadurch bekommt man einen völlig falschen Eindruck vom Leben auf dem Land. Denn hier ist es auch laut, Tiere und Traktoren machen Krach. Außerdem ist man viel stärker als in der Stadt darauf angewiesen, mit seinen Nachbarn gut auszukommen. Das wird völlig unterschätzt. Die meisten Großstädter sind deshalb nach einigen Tagen auf dem Land völlig frustriert. Man sollte auch mit sich selbst im Reinen sein, wenn man hier lebt. Es gibt ja auf dem Land viel weniger Ablenkungen als in der Stadt. Und der Winter ist lang.
Das Leben auf dem Land hat sich in den vergangenen Jahren zum Modetrend entwickelt. Zeitschriften wie "Landlust" verkaufen sich teilweise in Millionenauflage. Was macht das Landleben so reizvoll?
Ich glaube, dahinter steckt die Suche nach Geborgenheit. Je stärker die Globalisierung Realität wird und die Menschen flexibler werden müssen, desto stärker sehnen sie sich nach einem klaren Kosmos. Und den gibt es auf dem Land. Hier gibt es klare Strukturen. Hier lebt man nach den vier Jahreszeiten. Und wenn man etwas angebaut hat, sieht man auch schnell den Erfolg. Allerdings hat das Leben auf dem Land nur wenig mit der Landlust in den Magazinen zu tun. Denn die Zeitschriften leben vom Versprechen, nicht von der Realität. Wirkliche Probleme von Landbewohnern kommen bei denen deshalb auch gar nicht vor.
Jetzt haben wir sehr ausführlich über Landfrust gesprochen. Welche Gründe gibt es denn trotzdem aufs Land zu ziehen?
Jede Menge. Denn auf dem Land kann man viele Dinge tun, die man in der Stadt nicht machen kann. Man kann sich viel mehr ausleben, weil man ja auch für alles Platz hat. Man kann sich zum Beispiel handwerklich ausprobieren oder gärtnerisch. Man kann jeden Tag in den Wald gehen und endlose Spaziergänge durch die Felder machen. Und wenn man offen ist, lebt man sich auch sehr schnell ein und findet hier Freunde. Das kann keine Totholzhecke verhindern.