13. Januar 1993: Ex-Staatsratsvorsizender geht nach Chile Erich Honecker im Exil: exklusive Einblicke in seine letzten Monate
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22. März 2022, 16:30 Uhr
Wegen der Todesschüsse an der Mauer stand der einstige starke Mann der DDR im wiedervereinigten Deutschland vor Gericht. Am 13. Januar 1993 wurde der Prozess jedoch eingestellt und Honecker flog sofort nach Chile. MDR ZEITREISE hat mit seinem persönlichen Assistenten aus der Exilzeit gesprochen: Diego Aguirre gibt Einblicke in Honeckers Privatleben im Exil, über das man lange Zeit nur wenig wusste.
Es war der Morgen des 13. Januar 1993, als Erich Honecker aus der Untersuchungshaftanstalt in Berlin-Moabit entlassen wurde. Gegen einen Angeklagten, der "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende des Strafverfahrens nicht mehr erreicht", dürfe kein Prozess geführt werden, hatte das Berliner Landesverfassungsgericht entschieden. Das Landgericht stellte daraufhin das Verfahren gegen den einstmals mächtigsten Mann der DDR ein. Erich Honecker war wieder ein freier Mann. Vom Frankfurter Flughafen aus flog er kurz vor Mitternacht mit einer Boeing 747 in Richtung Chile ab.
Honecker im Exil in Chile
Als Erich Honecker am nächsten Tag in seinem Exil in Santiago de Chile ankam, war schon alles für ihn vorbereitet. Seine Frau Margot hatte das Anwesen im bürgerlichen Stadtteil La Reina eingerichtet. Um ihn im Alltag zu unterstützen und zu dolmetschen, stand ein persönlicher Assistent bereit: der junge Chilene Diego Aguirre. Er begleitete Honecker rund um die Uhr bis zu seinem Tod im Jahr 1994 und wurde zu einem seiner engsten Vertrauten. Doch wer war der Mann?
Honeckers Assistent: in der DDR aufgewachsen
Nach dem Putsch Pinochets gegen Präsident Salvador Allende kam Diego Aguirre 1974 als Vierjähriger mit seiner Mutter und seinem großen Bruder nach Ost-Berlin. Sein Vater, ein bekannter chilenischer Architekt, war bereits als Kulturattaché in der DDR. Aguirre wuchs in einer Plattenbausiedlung in Berlin-Lichtenberg auf. Mit seinem Bruder trug er, ganz im Sinne der damaligen Volksbildungsministerin Margot Honecker, einen sozialistischen Wettbewerb um die besten Schulnoten aus. Er machte 1987 in Ost-Berlin das Abitur mit 1,0 und kehrte danach auf eigenen Wunsch in seine Heimat zurück, wo er ein Mathematikstudium begann.
Honecker konnte nur wenige Brocken Spanisch
Den Kontakt zwischen den Honeckers und Aguirre vermittelte Honeckers Schwiegersohn Leonardo Yanez Betancourt. Als chilenisches DDR-Kind schien der damals 22-jährige Aguirre perfekt, um dem greisen Honecker die Ankunft in Chile zu erleichtern. Da Margot und Erich Honecker nur ein paar Brocken Spanisch sprachen, waren sie auf Diegos Hilfe angewiesen. Doch für den Assistenten war es nicht immer ganz leicht, Honecker zu folgen: "Erich redete und redete und ich musste immer warten, bis er aufhört. Es waren lange, richtig schöne deutsche Sätze und ich musste warten, bis ich übersetze. Manchmal musste ich sagen: Halt mal an!"
Honeckers letzte Freuden: Enkelkinder und deutsche Presse
Im Haus versuchten die Honeckers ein ganz normales Leben zu führen. Am meisten freute sich Erich Honecker, wenn seine Tochter Sonja und die Enkel Vivian und Roberto zu Besuch kamen. "Er wollte seine letzten Tage mit seiner Familie verbringen. Das war das Wichtigste für ihn. In diesen Momenten war er wirklich froh und lächelte", erzählt Diego Aguirre. Honecker las die deutsche Presse, die stets mit zwei Tagen Verzögerung eintraf und sein Assistent musste ihm die chilenischen Zeitungen übersetzen. Gespannt verfolgte Honecker dabei auch, was man in Deutschland über seinen Weggang nach Chile schrieb.
"Er sprach nie über das wiedervereinigte Deutschland"
Honecker und sein Assistent tauschten sich über Vieles aus. Doch eins war dabei nie Thema: das wiedervereinigte Deutschland. "Erich sprach ja nicht darüber. Niemals. Margot war die Politikerin. Sie sprach immer wieder darüber und das Wort, an das ich mich bis heute erinnere, war das Wort 'Verrat' und 'Verräter'", erzählt Diego Aguirre. Erich Honecker habe immer gehofft, dass die Leute erkennen, wie gut die DDR war und dass er und seine Genossen irgendwann als jemand erscheinen würden, die eine gute Arbeit gemacht hätten.
Besuche von Freunden, finanzielle Hilfe, Dankbarkeit
Das Haus der Honeckers in Santiago de Chile war immer wieder Ziel der Medien, vor allem aber ein Wallfahrtsort für Freunde und ehemalige Kampfgefährten. Sie waren den Honeckers in Dankbarkeit verbunden und unterstützten sie finanziell. "Es kamen auch viele Vertreter von Ländern und Organisationen, denen die DDR irgendwann einmal geholfen hatte", erinnert sich Diego Diego Aguirre. Und da das Land nicht mehr existierte, seien die Honeckers die Adressaten ihrer Dankbarkeit gewesen.
Dankbarkeit war auch für Diego Aguirre das Motiv, den Job bei Erich Honecker anzutreten. Aus Dankbarkeit für seine Kindheit in Berlin blieb er bis zum Tode des ehemaligen DDR-Staatschefs dessen Vertrauter.
Kein Zurück mehr
Über eine Rückkehr nach Deutschland haben die Honeckers nie geredet. Obwohl klar war, dass Erich Honecker bald sterben würde, wünschte er sich keine Beerdigung in seiner Heimat. Ihm war bewusst, dass er in Chile sterben würde. Honeckers Assistent vermutet: "Vielleicht haben sie verstanden, dass dieses Land, das sie liebten, überhaupt nicht mehr existiert."
Dieser Artikel wurden 2018 erstmals veröffentlicht.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR ZEITREISE | 16. Januar 2018 | 21:15 Uhr