Autorin Greta Taubert auf Spurensuche Der ostdeutsche Mann: Ein eindimensionales Wesen?
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06. Dezember 2021, 15:19 Uhr
"Ist der ostdeutsche Mann schuld am Erfolg der AfD?" Diese Schlagzeile konnte man nach der Bundestagswahl 2017 quer durch die deutsche Medienlandschaft finden. Sie bestätigte ein Bild des Ossis, das seit den 90er Jahren verbreitet ist und keinen Platz für andere Facetten der ostdeutschen Gesellschaft lässt. Die Leipziger Autorin Greta Taubert hat sich nach der Wahl 2017 auf Spurensuche begeben und ihre Erkenntnisse im Buch "Guten Morgen, Du Schöner" aufgeschrieben.
Angefangen hat alles mit einem Anruf eines westdeutschen Chefredakteurs, damals, nach der Bundestagswahl 2017. "Der fragte mich dann plötzlich: Greta, was ist denn eigentlich mit den ostdeutschen Männern los?!" Das hat Greta Taubert nicht mehr losgelassen und die Leipziger Autorin hat sich auf die Suche gemacht nach einer Antwort auf die Frage: Warum hat der ostdeutsche Mann eigentlich so einen schlechten Ruf?
Der ostdeutsche Mann = AfD-Wähler?
Denn eines war durch den Anruf des Chefredakteurs klargeworden: "Ostdeutsche Männer", das war in seiner Definition vor allem die Gruppe, die zu knapp einem Drittel AfD gewählt hatte. Selbst die New York Times titelte damals: "Verärgerte ostdeutsche Männer befeuern den rechten Rand." Medien wie taz, Berliner Zeitung oder Die Welt versuchten sich an Analysen des ostdeutschen Mannes an sich: "Er steht mit getunnelten Ohrläppchen, kurzen Hosen und Totenkopftattoo an der Havel und angelt Zander, ungebildet, brutal und schlecht gekleidet. Lange war der Ostdeutsche die Witzfigur westdeutscher Salons, seit der Wahl ist er ihre Hassfigur."
Junge Ossis sind mit emanzipierten Müttern aufgewachsen
Greta Taubert schaute sich in ihrem Freundeskreis um. Diese Beschreibung wollte so gar nicht auf die Männer dort passen. Im Gegenteil: "Die Männer Mitte 30, das ist die erste Generation, die mit vollkommen emanzipierten Müttern aufgewachsen ist. Und das hat Spuren hinterlassen. Die übernehmen Verantwortung zu Hause und im Beruf und reden gar nicht groß darüber."
Tatsächlich unterschieden sich Frauenbiografien in Ost und West in den 1980er Jahren massiv. Ostdeutsche Frauen waren zum überwiegenden Teil voll berufstätig, ihre Kinder gingen in Krippen und Kindergärten, Männer und größere Kinder mussten zu Hause mithelfen. In einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts von 1990 sagten 72 Prozent der ostdeutschen Väter, ihre Partnerin sollte die gleichen beruflichen Chancen haben, Haushalt und Kinderbetreuung müssten daher auf beide gleich verteilt werden. Westdeutsche Männer stimmten seinerzeit nur zu 46 Prozent zu und dieses Verhältnis hat sich quasi bis heute gehalten. Im Jahr 2013 erhob das Statistische Bundesamt: Lebt eine Frau im Westen mit einem Partner zusammen, ist ihr Zeitaufwand für unbezahlte Hausarbeit 74 Prozent höher als bei einer Singlefrau. Bei einer Frau im Osten sind es dagegen nur 26 Prozent.
"Guten Morgen, Du Schöner"
Taubert beschloss, ein anderes Männerbild zu zeichnen, und tourte quer durch die Republik, um sich mit ostdeutschen Männern zu unterhalten. Zusammengefasst hat sie die Geschichten in ihrem Buch "Guten Morgen, Du Schöner". "Alle Männer, egal, wie alt sie waren, hatten eines gemeinsam: Alle sind in einem Land geboren, das es heute nicht mehr gibt und alle hatten zu dem Jahr '89/90 eine Geschichte zu erzählen."
Bei einigen war es eine Geschichte vom Scheitern, etwa bei Jens, 58, der in einem Call-Center in Berlin arbeitet. Vor der Wende war er im Ministerium für Staatssicherheit, war gelernter Facharbeiter für elektronische Datenverarbeitung. Später hat er nie wieder richtig Fuß gefasst: "Nach der Wende gab eigentlich niemanden, mit dem ich über meine Erfahrungen tiefergehend sprechen konnte. Es war schlichtweg niemand mehr da. Ein anderer Aspekt ist das Geld. Das spielte ja damals keine Rolle. Da konnte man für 15 Mark ein schönes Abendessen haben und so viel Bier trinken, dass du am Ende wusstest, dass du viel Bier getrunken hast. Ich bin im Moment nur darauf ausgerichtet, zu arbeiten, um unseren Lebensstandard wenigstens etwas halten zu können."
Ostdeutsche Männer sind an den Eliten kaum beteiligt
Es ist eine typische Lebensgeschichte, wie sie die Soziologin Sylka Scholz hundertfach gehört und analysiert hat. "Der Mann im Osten hat sich stets über den Beruf definiert. Die Arbeitermännlichkeit war ein Ideal, das die gesamte DDR über Bestand hatte." Scholz ist Männlichkeitsforscherin an der Universität Jena, hat das Männlichkeitsbild in der DDR in zahlreichen Studien unter die Lupe genommen.
"Als die DDR zusammenbrach, bildete sich ein extrem prekärer Arbeitsmarkt", sagt Scholz. Anfang der 90er Jahre habe es so eine Mentalität des "Durchwurschtelns" gegeben, wie Scholz es nennt. Der Lehrer wurde zum Autoverkäufer, der Maschinenbauingenieur zum Gärtner. "Die Bedeutung der qualifizierten Arbeitermännlichkeit wurde im Osten marginalisiert." Und ist bis heute nicht zurückgekehrt. "Es hat ein Institutionentransfer von West nach Ost stattgefunden, einen fast gänzlichen Eliten-Austausch. Und bis heute sind Ostdeutsche, insbesondere ostdeutsche Männer, an den Eliten nicht beteiligt."
Die "Leipziger Elitenstudie" von 2016 hat ergeben, dass von insgesamt 1099 Elitenangehörigen in den neuen Bundesländern - etwa Politiker, Richter, Uni-Direktoren - nur 249 eine ostdeutsche Herkunft hatten. Das heißt: Zum einen gibt es keine Vorbilder in hohen Positionen, an denen sich junge Ostdeutsche ein Beispiel nehmen könnten. Zum anderen sitzt in Schlüsselpositionen von Politik und Medien niemand, der etwa das Bild des Ostdeutschen geraderücken würde, weil die Sensibilität an der Stelle fehle, sagt Scholz.
Rostock Lichtenhagen prägt Bild des ostdeutschen Mannes
Als einen der Schlüsselmomente für das Bild des ostdeutschen Mannes sieht Scholz die Pogrome in Rostock Lichtenhagen Anfang der 90er Jahre. "Da ist ein Bild von einem männlichen jugendlichen Gewalttäter entstanden, das sich ein spezifisches Problem im Osten anschaut und sich ausschließlich darauf fokussiert." Zu dieser Gemengelage sei dann in den letzten Jahren noch der Mann gekommen, der sich bei Pegida engagiert und AfD wählt. Für andere Bilder sei da kein Platz mehr.
Dabei gäbe es so viele positive Geschichten zu erzählen, meint Greta Taubert. Etwa die von Andreas Brohm, Bürgermeister von Tangerhütte. Nach Jahren in der Schweiz und Mannheim ist er in seine Heimat zurückgekehrt und versucht nun in der Altmark etwas zu verändern. "Dass diese ostdeutsche Identität immer noch ein Thema ist, geht mir völlig auf die Nerven. Erst als ich wieder zurückgekommen bin, ist das Thema groß geworden. Als Bürgermeisterkandidat. Da war dieser gewisse Stallgeruch wichtig." Und wie die meisten Männer in Tauberts Buch hat auch Brohm eine Erfahrung aus seiner Zeit in Mannheim mitgebracht: "Dieses Selbstdarstellen ist ja nicht so ein Ossi-Ding. Das ist vielleicht etwas, das mir in anderen Teilen Deutschlands aufgefallen ist: dass die Ostdeutschen, die dort hingegangen sind, im Vergleich so schüchtern waren. Die haben vielleicht gute Arbeit gemacht, aber es nicht geschafft, für das, was sie sind oder machen, auch mal auf die Kacke zu hauen."
Und weil der Holde im Osten eben nicht aufsteht und sagt, wie toll er ist, macht das nun Greta Taubert für ihn. Es geht ihr nicht darum, Vergleiche zu ziehen, zu sagen, wer ist besser, wer ist schlechter. Es geht ihr darum, ein vielfältiges Bild der ostdeutschen Gesellschaft zu zeichnen, "zu zeigen, dass bei uns nicht alles Einheitsbrei ist". Denn davon profitiere am Ende ganz Deutschland.