Interview zur Doku Filmemacher Lorenzen über "Mitteldeutschland unterm Hakenkreuz"
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30. März 2020, 14:44 Uhr
Es sind Hobbyfilmer, die das normale Leben während der NS-Zeit festhalten - jenseits der offiziellen NS-Propaganda. Doch bei aller Privatheit ist die Politik allgegenwärtig. Über den Filmschatz in Farbe haben wir mit Jan Lorenzen gesprochen, dem Autor der Dokumentation "Mitteldeutschland unterm Hakenkreuz", die aktuell auf unserem Youtube-Kanal MDR DOK zu sehen ist.
Was ist das Besondere an den Aufnahmen?
Die Amateuraufnahmen vermitteln ein echtes Lebensgefühl der damaligen Zeit. Das Besondere entsteht durch die Alltäglichkeit und Vielfalt. Es ist ein wirklicher Filmschatz, der in dieser Fülle einmalig ist - und vieles davon ist zum ersten Mal in Farbe zu sehen.
So gibt es interessante Kleinigkeiten, zum Beispiel eine Spielzeugautobahn der Firma Tipp Co, sozusagen die Carrera-Rennbahn der 1930er-Jahre, oder eine Familie beim Einlegen von Gemüse. Es sind auch viele Szenen dabei, die über das Alltägliche der Menschen hinausgehen und einen tiefen Einblick in das Leben in Mitteldeutschland geben, das wir so nicht kennen.
In den Aufnahmen zeigt sich deutlich, wie tief der Nationalsozialismus im Alltag und Leben der Menschen verankert ist: die Häufigkeit von Aufmärschen, die Allgegenwart der nationalsozialistischen Jugenderziehung, die vielen Fahnen in den Straßen, an Wohnungen, Ausflugsdampfern oder Faltboten.
Woher kommt das Material?
Hinter dem Material steckt eine mehr als 40-jährige Geschichte von unterschiedlichsten Sammlern. Gefunden wurde es auf Dachböden oder Flohmärkten. Vieles wurde auch Archiven übergeben, unter der Bedingung, dass das Material erst nach dem Tod genutzt werden darf. Und das ist auch der Grund, warum es erst jetzt in dieser Fülle zur Verfügung steht. Insgesamt waren es sechs Stunden Ausgangsmaterial für das Sendegebiet Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Wer hat die Aufnahmen gemacht?
Die Aufnahmen in den Dokumentationen haben fast ausschließlich Privatleute gemacht, die damals mit ihren 8-mm- und 16-mm-Filmkameras gefilmt haben, meistens in schwarz-weiß. Nur zu besonderen Anlässen wurde in Farbe gedreht.
Für den Zweiteiler "Mitteldeutschland unterm Hakenkreuz" haben wir dann ausschließlich Farbmaterial benutzt. Doch auch die Schwarz-Weiß-Aufnahmen waren für uns wichtig, vor allem, um etwas über die Protagonisten zu erfahren.
Was war die Herausforderung bei diesem Projekt?
Die eigentliche Arbeit war für mich, die Geschichte hinter den Filmaufnahmen zu finden und sie dann so in einer Reihenfolge zu verbinden, dass sich daraus eine Erzählung ergibt. Das war eine ganz andere Herangehensweise als sonst, wo man das Archivmaterial sucht, das zu einer entsprechenden Geschichte passt. In diesem Fall war es anders herum. Mit jeder weiteren Recherche wurde das fremde Material ein bisschen mehr zum Leben erweckt.
Zur Person: Jan N. Lorenzen ist Historiker und arbeitet als freier Autor und Regisseur. Von 1994 bis 2000 war er als Redakteur beim MDR im Bereich Zeitgeschichte tätig. Der 48-Jährige veröffentlichte u.a. "Erich Honecker. Eine Biographie" (Rowohlt 2001), "Die großen Schlachten" (Campus 2006) und "Zeitgeschichte im Fernsehen" (Springer-VS 2015). 2002 erhielt er zusammen mit Christian Klemke den Adolf-Grimme-Preis für "Roter Stern über Deutschland". 2008/2009 war er Projektregisseur der 60-teiligen ARD-Sendereihe "60xDeutschland".
Die Dokumentation: Der erste Teil beschäftigt sich mit der Zeit bis zum Kriegsausbruch und beleuchtet, wie sich die Katastrophe ankündigt. Im Fokus des zweiten Teils steht der Alltag während des Krieges.
Über dieses Thema berichtet der MDR in den Dokumentationen "MITTELDEUTSCHLAND UNTERM HAKENKREUZ": TV | 20.08.2019 | 22.05 Uhr