Im Geiseltal Ein Weinberg vom Reißbrett
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06. Januar 2022, 11:12 Uhr
Weintrauben am Berghang eines einstigen Braunkohletagebau-Restlochs? Wer bei dem Gedanken lacht und an Weingeist-Visionen denkt, liegt falsch. Lesen Sie hier die ungewöhnliche Geschichte eines ungewöhnlichen Weinbergs.
Wenn man die Gebrüder Reifert über ihren Weinberg reden hört, klingt das ziemlich alltäglich. In Wirklichkeit aber stand am Anfang eine "verrückte Idee". Vater Reifert aus der Weinstadt Freyburg besuchte 1994 das gesperrte ehemalige Braunkohletagebau-Restloch bei Braunsbedra. Ihm fiel auf, dass eines der Ufer eine Südhanglage mit 30 Grad Neigung hatte. Seiner Einschätzung nach war das ideal für einen Weinberg. Aber inmitten dieser "Mondlandschaft"?
Es bedurfte drei Jahre intensiver Bearbeitung der zuständigen Behörden und Institutionen, um "grünes Licht" zu bekommen. Die Reiferts holten verschiedene Hochschulen mit ins Boot, von der Erfurter Fachhochschule für Gartenbau bis zur Forschungsanstalt für Wein- und Gartenbau Geisenheim. Sie behaupten selbst von sich, dass sie den Behörden schlicht so lange "auf den Geist gegangen" seien, bis diese den Widerstand aufgaben.
Wissenschaft im Dienst eines Weinbergs
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass der Weinberg der Gebrüder Reifert - vielleicht der ungewöhnlichste in ganz Deutschland - nach wissenschaftlichen Erkenntnissen angelegt wurde. Nach den Empfehlungen und Berechnungen der Hochschulen wurde der Steilhang auf 25 Grad Neigung abgeflacht, um das Optimum an Sonneneinstrahlung über den Tag zu erzielen. Da der Hang als Aufschüttung über keine Schichten verfügte, die eigenes Wasser führten, brauchten die Neuwinzer ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem. Die Reben werden über lange Leitungen aus dem Tank berieselt, was der Fernsehbeitrag verdeutlicht. Diese Technik stammt aus der israelischen Wüste Negev, wo sie bei Salatpflanzungen eingesetzt wird. Eine Methode, die mittlerweile auch anderen Winzern an Saale und Unstrut im Kampf gegen die Trockenheit empfohlen wird. Aber die Bewässerung wäre da oft viel zu teuer - da ein See wie im Geiseltal fehlt, den man kostenfrei anzapfen kann.
Neben den zwei Stunden mehr Sonne pro Tag, die Jan Reifert im Video anspricht, kommt die besondere Lage auch den Trauben zugute: Die 17 Quadratkilometer große Wasserfläche reflektiert das Sonnenlicht. Und nachts gibt sie die tagsüber gespeicherte Wärme wieder ab. Ideal für das Reifen der Trauben.
Die Reiferts mit ihrem Traum vom Weinberg auf der Halde wurden viel belächelt, bis sie im Jahr 2000 tatsächlich ihren ersten Hektar Rebstöcke "Müller Thurgau" anpflanzten. Zwei Jahre später ernteten sie Trauben und lieferten erstmals an die Winzergemeinschaft Freyburg zur Kelterung. Der neue Wein vom Geiseltal erhielt den Namen "Goldener Steiger", eine Erinnerung an den untergegangenen Braunkohletagebau. Er wird in den Varianten "lieblich" und "halbtrocken" geliefert. Die Reiferts setzen mit ihrem ungewöhnlichen Wein nicht auf den Verkauf bei großen Weinhändlern, sondern sie vermarkten ihr Produkt selbst erfolgreich.
Schnäppchen: Rebstöcke aus dem Olympiastadion
Als die Reifert Brüder nach der Genehmigung durch die EU die Rebfläche um einen weiteren Hektar ausweiten durften, suchten sie nach Wegen, um preiswert an Rebstöcke zu gelangen. Vater Reifert fuhr 2005 anlässlich der Ausstellung "Weinwelt München" ins Olympiastadion, wo Rebstöcke zur Dekoration zwischen den Stuhlreihen standen. Am Ende der Veranstaltung ergatterte er 2.000 Rebstöcke der Marke "Cabernet Mitos" zum Schnäppchenpreis für seinen Hang am Geiseltalsee.
Die kreativste Weinberg-Idee Deutschlands
Insgesamt nutzen die Gebrüder Reifert 30 Hektar rekultivierte Fläche landwirtschaftlich, auf drei Hektar Land wachsen inzwischen Weintrauben. Mehr darf EU-Vorgaben zufolge nicht aufgerebt werden, um Überproduktion zu vermeiden. Der kleine Weinberg am Geiseltalsee wird dennoch nicht mehr belächelt. Bei einer Veranstaltung in Berlin wurde er in den vergangenen Jahren sogar als kreativste Weinberg-Idee Deutschlands ausgezeichnet. Aus einer geschundenen Landschaft ist ein ungewöhnliches Tourismus-Ziel für Liebhaber origineller Weine entstanden.
Literaturempfehlung
Winzervereinigung Freyburg:
Theo M. Lies,
Leben für die Reben. Porträt einer Genossenschaft
Winzergenossenschaft Freyburg-Unstrut eG 2009
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: Die Winzer | 26.07.2011 | 20:45 Uhr