Griechen von Görlitz "Χαίρετε" – Griechen in Görlitz
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02. März 2017, 13:46 Uhr
"Χαίρετε" - "Seid gegrüßt!" - das stand auf einem großen Transparent zur Begrüßung der rund 6.500 griechischen Soldaten und Offiziere des 4. Armeekorps, die im September 1916 auf dem Görlitzer Hauptbahnhof von den deutschen Einwohnern erwartet wurden. Der Schriftsteller Gerassimos Alexatos hat dieses fast völlig in Vergessenheit geratene Kapitel der deutsch-griechischen Geschichte erforscht.
Als "Gäste der Reichsregierung für die Dauer des Krieges" sollten sie sich behandelt fühlen: Mit Parade und Musikkapelle wurden die rund 6.500 griechischen Soldaten und Offiziere des 4. Armeekorps damals im September 1916 vom Görlitzer Bahnhof zu einem Kasernengelände geleitet, das östlich der Neiße im heute polnischen Teil der Doppelstadt, in Zgorcelecz, liegt. Dort befindet sich nunmehr ein weitläufiger Park, nichts was erinnern könnte an dieses Kapitel der deutsch-griechischen Geschichte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.
Wieder ans Licht gebracht hat die Geschichte der "Griechen von Görlitz" der in Berlin lebende Autor Gerasimos Alexatos, der Jahre lang dazu forschte. Publiziert hat er seine Erkenntnisse in einem gleichnamigen Buch, das in seinem Heimatland ein Bestseller wurde.
Er recherchierte, wie es die Griechen mitten im Ersten Weltkrieg in die damals schlesische Stadt verschlug und wie sich der Alltag der internierten "Gäste" in diesen unruhigen Zeiten entwickelte.
Er erkundete, wie sich viele der Griechen von Görlitz in kurzer Zeit als Geschäftsleute, Handwerker oder Fabrikarbeiter niederließen, aber auch welche Umstände "zu der auffällig energischen Teilnahme der griechischen Internierten" am Spartakusaufstand 1918 und "zur anschließenden ungeordneten Massenflucht" aus der Kaserne in Görlitz führten.
Aber der Reihe nach ...
In zehn Zügen nach Deutschland
Seine Spurensuche startete Gerasimos Alexatos in Athen, im Archiv der griechischen Heeresführung. Dort recherchierte er die absonderliche Geschichte rund um das 4. Armeekorps, das im nordgriechischen Kavalla stationiert war und im Ersten Weltkrieg zwischen die Fronten der Großmächte geriet. Um der Vernichtung zu entgehen, suchte das 4. Armeekorps, abgeschnitten von der eigenen Führung in Athen, um deutsche Hilfe und bekam von Reichsmarschall Paul von Hindenburg das Angebot, das gesamte Korps vor Vernichtung bzw. Gefangenschaft zu bewahren, indem es nach Deutschland expediert würde.
So begaben sich dessen Angehörige von Kavalla nach Drama. Von dort erfolgte die "Ausreise" nach Deutschland per Bahn: in zehn Zügen mit 6.100 Soldaten, 430 Offizieren, 95 Offiziersfrauen und fünf Kindern. Die Fahrt dauert zwölf Tage.
Die "Gast-Gefangenen"
Den "Gast-Gefangenen" sollte es in Görlitz - nur dort bot sich der Platz für ein gesamtes Korps - an nichts fehlen. Das Lager besaß einen exterritorialen Status mit eigener Verwaltung und Polizei. Die Offiziere durften privat Quartier nehmen und bezogen ihren Sold weiter, gingen ins Casino und ins Badehaus. Die Soldaten konnten nach ihrem Dienst in die Stadt, abends mussten sie wieder in die Kaserne gehen. Sie lernten Berufe wie Schneider oder Schuster, wurden als Arbeitskräfte genutzt, schließlich waren viele der deutschen Männer im Krieg. Da die Lebensmittel rationiert waren, bauten sie selber Gemüse auf dem Gelände der Kaserne an. Die Griechen von Görlitz gaben bald eine eigene Zeitung heraus, die freilich der deutschen Zensur unterlag.
Sie eröffneten Geschäfte, auch ein Cafe, veranstalteten Feste. Aus den ersten Kontakten zu den Görlitzern wurden Freundschaften. Auf die ersten Verlobungen folgten Hochzeiten. Der Filmemacher Jannis Karayannakos erkundete diese deutsch-griechischen Familiengeschichten in einerm Film, der auch auf Youtube zu sehen ist.
In den Wirren von Krieg und Revolution
Nach der Abdankung des griechischen Königs 1917 änderte sich die Situation, die Griechen von Görlitz wurden vor die Wahl gestellt, als normale Kriegsgefangene behandelt zu werden oder sich als Fabrikarbeiter im Reich zu verdingen, ein Großteil ging damals ins Ruhrgebiet. In den Wirren der Novemberrevolution von 1918/19 kamen viele allerdings auch wieder nach Görlitz zurück. Gerasimos Alexatos' zufolge unterstützte der überwiegende Teil den Spartakusaufstand im Januar 1919 in Berlin. Als die deutschen Behörden dies unterbinden wollten, habe eine Massenflucht eingesetzt. Nur einige hundert Griechen blieben in Görlitz. Eine zweite Rückkehrwelle setzte darüber hinaus im Februar 1919 ein, als sich die politische Situation beruhigt hatte.
Nur etwa 200 Griechen entschieden sich, in Görlitz weiterzuleben. 1921 gründeten sie einen griechischen Verein, 1923 gab es rund 15 griechische Geschäfte in der Stadt. Heute leben noch etwa 40 Nachkommen in Görlitz. An ihre Vorfahren erinnern sieben Stelen auf dem Görlitzer Friedhof.
Wie das 4. Armeekorps 1916 zwischen die Fronten geriet
Im Sommer 1916 erreicht der Erste Weltkrieg die nordgriechische Grenze. König Konstantin I. ist verschwägert mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. und verhält sich neutral. Nachdem im September 1915 der bulgarische König mit Deutschland und Österreich-Ungarn eine Allianz schließt, erobern die Verbündeten Serbien und Mazedonien und rücken bis zur nordgriechischen Grenze vor. Dort aber sind französische und britische Truppen der Entente stationiert. Ein Stellungskrieg beginnt. Sowohl die deutsch-bulgarischen Einheiten als auch die Alliierten verletzen die Grenzen.
Das in Kavalla stationierte 4. Armeekorps wird eingekesselt und droht aufgerieben zu werden. Oberst Ionannis Chatzopulos stimmt schließlich einer Evakuierung nach Deutschland zu.
Die Musik der Griechen von Görlitz - Überliefert von der Königlichen Preußischen Phonographischen Kommission
Während des Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland mehr als 170 Kriegsgefangenenlager. Zwischen 1915-1919 stattete die Königliche Preußische Phonographische Kommission diesen Lagern einen Besuch ab, um dort Sprach- und Musikaufnahmen auf Zylinder zu machen. Sie sollten das Material liefern für ein "Museum der Stimmen der Völker". Aufgenommen wurden. Leiter dieses Programms waren Karl Stumf von der Preußischen Phonographischen Kommmission, und Georg Schünemann. Das Ergebniss dieser Arbeit sind mehr als 1.000 Wachswalzenaufnahmen, aufbewahrt im Berliner Phonogramm-Archiv.
Das griechische Lager in Görlitz hatte einen Sonderstatus. Vom 12. bis 17. Juli 1917 wurden dort 70 Schellackplatten aufgenommen. Zu diesem einzigartigen Erbe der griechischen Musikkultur gehört auch die weltweit erste Aufzeichnung eines Rembetikoliedes mit Busukibegleitung. Die Aufnahmen gehören heute zum Bestand des Deutschen Lautarchivs der Humboldt-Universität Berlin.
Griechen in Sachsen
"Als sich Ende des 17. Jahrhunderts vor allem für Händler die Grenzen des Osmanischen Reiches wieder öffneten, entschlossen sich viele Griechen zur Emigration.
Zentrum des Auslandsgriechentums in Deutschland wurde Leipzig, das zu dieser Zeit ein bedeutendes Handelszentrum war. Neben Polen und Russen waren sie die wichtigste Gruppe von Kaufleuten in der Stadt. Um 1700 fanden im 'Griechenhaus', einem Handelshof griechischer Kaufleute, auch die ersten griechisch-orthodoxen Gottesdienste statt. Ihre gesellschaftliche Bedeutung in Sachsen nahm schnell zu. Zur Ostermesse des Jahres 1780 waren bereits 184 griechische Einkäufer registriert.
An der Universität Leipzig promovierten etwa 25 Griechen im Jahr, so etwa der Geograph Margaritis Dimitsas. Auch Goethe lernte viele griechische Kommilitonen dort kennen. Im 19. Jahrhundert wurde der Sohn des Kaufmanns Georgios Karagiannis, Theodor von Karajan, von Kurfürst Friedrich August III. für seine Tätigkeit in der Textilindustrie geadelt. Ein Nachfahre von ihm war Herbert von Karajan. 1908 gründete der Weinhändler Georg Anagnostopoulos nach seinem Jura-Studium den "Hellenen-Verein", der (bis zur Auflösung sämtlicher Vereine) im Jahr 1938 bestand. Aus einer Leipziger Pelzhändlerfamilie stammte der Dirigent Charilaos Perpessas."
(Quelle: Wikipedia)