Todestag von Lili Elbe Medizingeschichte in Dresden: Geschlechtsangleichende Operationen
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12. September 2021, 05:00 Uhr
1930 wurde an der Dresdner Frauenklinik eine der ersten geschlechtsangleichenden Operationen der Welt durchgeführt. In der internationalen Presse sprach man von einem "medizinischen Wunder". Am 12. September 1931 starb die Patientin Lili Elvenes, die der Stadt ihrer Wiedergeburt als Frau auf ewig dankbar blieb.
Einar Magnus Andreas Wegener wurde am 28. Dezember 1882 in Vejle, Dänemark geboren und starb am 12. September 1931 in Dresden als Lili Ilse Elvenes, so ihr tatsächlicher Name. Noch im gleichen Jahr erschien posthum ihr Lebensbericht "Fra mand til kvinde" (Vom Mann zur Frau). Das Buch wurde unter ihrem Künstlernamen Lili Elbe gedruckt, den sie sich im Andenken für ihre in Dresden verbrachte Zeit gab.
Vom Mann zur Frau
Dennoch ist die Persönlichkeit Lili Elvenes‘ nur schwer zu fassen. Denn zum Zeitpunkt ihres Todes war sie eigentlich wenig mehr als ein Jahr alt: Am 26. Mai 1930 hatte der Leiter der Dresdner Frauenklinik Kurt Warnekros eine geschlechtsangleichende Operation an ihr durchgeführt – eine der ersten dieser Art.
Die Biographie von Lili Elbe wurde 2000 wiederentdeckt und floss in das Buch "The Danish Girl" ein. Das wiederum führte dann zum gleichnamigen Film.
"Die Biographie stellt Lili Elbe gar nicht als Person dar", sagt Niki Trauthwein, die Leiterin des 2013 gegründeten Lili-Elbe-Archivs, das sich der Überlieferung der eigenen Geschichte nicht-normativer Geschlechtlichkeiten widmet. Im Buch, das von den biographischen Fakten stark abweicht, würde sie reduziert auf die kurze Geschichte der Geschlechtsumwandlung.
Vom Künstler Einar Wegener zu Lili Elbe
Nach mäßigem Erfolg in der Schule studierte Einar Wegener Kunst an der königlich-dänischen Kunstakademie, wo er seine spätere Frau Gerda kennenlernte. Im Bereich der Kunst tauchte auch Lili erstmals auf: Als ein Modell Gerdas nicht zu ihrem Termin kommen konnte, sprang Einar kurzerhand ein. Absatzschuhe, Kleid und Schminke standen Einar nicht nur ausgezeichnet, sie fühlten sich auch richtig an. Fortan trug er die Frauenkleider immer öfter, bis das Ehepaar feststellte, dass es sich ein Leben ohne die "Lili" getaufte neue Person nicht mehr vorstellen konnte. Ende der Zwanziger Jahre entschied sich Einar, die Präsenz Lilis endgültig zu machen und suchte ärztlichen Rat.
Einar ließ sich von mehreren Ärzten untersuchen, die jedoch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kamen. Im Sommer 1929 lernte er schließlich den Leiter der Dresdner Frauenklinik Kurt Warnekros kennen, der sich bereit erklärte, ihn zu operieren. Das Problem war nur, dass der Professor ihn in seiner Klinik als Mann gar nicht aufnehmen konnte. Im Februar 1930 reiste Einar daher zuerst nach Berlin, um sich an Magnus Hirschfelds Institut für Sexualforschung eingehender untersuchen zu lassen. In Berlin wurde auch eine Kastration durchgeführt, die es dem Patienten ermöglichte, in der Frauenklinik der sächsischen Landeshauptstadt aufgenommen zu werden.
Eierstock-Transplantation in Dresden
Hier wurden ihm im Mai 1930 Ovarien transplantiert. Nun ist Lilis langer Wunsch endlich in Erfüllung gegangen: Ihr Körper entspricht ihrem tatsächlich empfundenen Geschlecht und sie ist eine "ganz gewöhnliche Frau", wie sie selbst schreibt. Aus Dankbarkeit, die sie gegenüber dem Ort ihrer Vollendung empfindet, legt sie sich den Künstlernamen Elbe zu.
Im Juli 1930 kann sie die Frauenklinik in Dresden verlassen und kehrt mit Gerda nach Kopenhagen zurück, wo sie Zeit mit ihrer Familie und Freunden verbringt. Hier erhält sie auch ihre offiziellen Dokumente, die sie nun als Frau ausweisen und auf den Namen Lili Ilse Elvenes laufen. Ihre Ehe mit Gerda wird annulliert, da das Gesetz ausschließt, dass zwei Frauen miteinander verheiratet sein könnten.
Im Juni 1931 kehrt sie nach Dresden zurück, um sich einer Gebärmuttertransplantation zu unterziehen. Die Operation gelingt, doch scheint Lilis Körper das neue Organ abzustoßen. Am 12. September stirbt sie im Kreise ihrer Familie. Ihr Grab kann noch immer auf dem Dresdner Trinitatisfriedhof besucht werden.
Biografie nur schwer rekonstruierbar
Bereits zu Lebzeiten begann die Legendenbildung um Lili Elbe. In der dänischen Presse erschienen 1931 drei Artikel zu dem "sagenhaften Geschlechtswandel". In den Artikeln taucht auch erstmals der Kunstname Elbe auf. Sowohl die Artikel als auch das posthum erschienene Buch halten sich dabei nicht immer an die Realität: So wird im Buch beispielsweise behauptet, dass die Ehe vom dänischen König persönlich annulliert wurde. Dafür lassen sich jedoch keine Beweise finden. Auch sonst wirken die Artikel und der Lebensbericht streckenweise wie eine Aneinanderkettung von Rechtfertigungen für die Geschlechtsangleichung. So wird Lili Elbe als Frau dargestellt, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Die Operation ist schließlich die Berichtigung eines Fehlers der Natur.
Niki Thrauthwein betont den Unterschied zwischen dem in dem Lebensbericht gezeichneten Bild der Persönlichkeit Lilis und ihrer wahren Person. Während im Buch ein eher konservatives Frauenbild gezeichnet wird, lebten Lili Elvenes und Gerda Wegener ein wesentlich unangepassteres Leben. Trauthwein weist auf Gerda Wegeners Illustrationen hin, die man heute vielleicht als Pornographie bezeichnen würde und die explizite Hinweise auf abweichende Sexualitäten enthalten.
Lili Elbes Nachwirken
In ihren letzten Monaten entschied Lili Elvenes, ihre Erfahrungen als Buch für die Nachwelt zu erhalten. Sie beschließt es mit den Worten des Anarchisten Hans Jægers, die den Wunsch ausdrücken, allen Nachfolgenden die Hand drücken zu können. Als einen Aufruf zum Community-Building sieht Niki Trauthwein dies aber nicht. Diese Impulse gingen – fast zeitgleich – von England aus. In Deutschland sollte es noch bis in die 60er-Jahre dauern, bevor sich Trans-Personen vernetzten.
"Wir brauchen eine Vergangenheit, um eine Zukunft zu haben."
So gelang es Lili Elbe mit ihrem Buch nicht, einen Diskurs anzustoßen, stellt die Leiterin des Lili-Elbe-Archivs heraus: "Erst als ihre Biographie wiederentdeckt wurde, hat das etwas angestoßen. Dann hatten betroffene Personen ein erstes Rollenbild". Das liege unter anderem daran, dass Personen der eigenen Lebenszeit als Vorbild nicht besonders interessant sind. Entdeckt man jedoch eine historische Persönlichkeit, die sich ähnlichen Herausforderungen stellen musste, ist dies wesentlich interessanter. Damit lässt sich auch das anhaltende Interesse an Lili Elbe erklären. Niki Trauthwein fasst es so zusammen: "Wir brauchen eine Vergangenheit, um eine Zukunft zu haben."