Deutsche Wirtschaftsgeschichte Die Simson-Werke in Suhl
Hauptinhalt
24. Januar 2024, 21:37 Uhr
Wer heute den Namen Simson hört, denkt zuallererst an die mittlerweile auch im Westen der Republik legendären Zweiräder "made in GDR". Kaum einem ist bewusst, dass sich hinter der Mopedmarke die wechselvolle Geschichte einer jüdischen Familie und ihres Unternehmens verbirgt.
Es ist eine typische Geschichte vom Aufstieg und Fall einer jüdischen Unternehmerfamilie in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Als die Gebrüder Simson 1856 ihr erstes gemeinsames Unternehmen Simson & Co. gründen, ist die Judenemanzipation gerade in vollem Gange. Beschränkungen zur Ansiedlungen in Städten sowie Berufsverbote für deutsche Juden werden allerorts aufgehoben. Ein christlich-jüdisches Miteinander scheint möglich.
Waffen für die Truppen im Ersten Weltkrieg
Auch die Familie Simson nutzt die Gunst der Stunde. Die Gebrüder Löb und Moses ziehen aus der Umgebung der Stadt nach Suhl, wo sie 1856 zunächst eine Waffenschmiede gründen.
Im Laufe der Jahrzehnte kommt die Produktion von Fahrrädern hinzu und Anfang des 20. Jahrhunderts werden auch erste Automobilmodelle entwickelt. Doch einen wirklich großen Einschnitt in der Firmengeschichte bringt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit sich. Simson wird zum Waffenproduzenten für die Truppen des deutschen Kaiserreichs. Um den steigenden Bedarf des Heeres zu decken, wird die Produktion massiv ausgeweitet. Die Belegschaft verdreifacht sich fast, von 1.200 Mitarbeitern im Jahr 1904 auf 3.500 Mitarbeiter 1916.
Nach Kriegsende wird die Produktion von Konsumgütern wieder angeworfen, aber auch die Waffenproduktion in Suhl geht weiter. In der Weimarer Republik avancieren die Simson-Werke sogar zum Monopolisten auf diesem Gebiet, denn nach dem Versailler Vertrag wird das Unternehmen als einziges in Deutschland mit einer entsprechenden Konzession ausgestattet.
Nationalsozialisten enteignen nach Schauprozess
So ist es kaum überraschend, dass der NS-Staat schon 1933 zum Angriff auf die Betriebe der Simson-Familie übergeht. Kurz nach Hitlers Machtergreifung hissen SA-Leute auf dem Verwaltungsgelände der Simson-Werke die Hakenkreuzfahne.
Regieführend dabei ist der überzeugte Nationalsozialist und thüringische Gauleiter Fritz Sauckel. Am 31. August 1934 richtet dieser ein Schreiben an Hitler: "Die Simson-Werke in Suhl haben für das Deutsche Reich, infolge ihrer Allein-Konzessionierung durch den Versailler-Vertrag für Heereslieferungen, auch heute noch infolge ihrer Monopolstellung größte Bedeutung. Die Inhaber, die Juden Simson, gehören zu den übelsten Vertretern ihrer Rasse. Sie haben das Deutsche Reich, das Reichswehrministerium und damit den deutschen Steuerzahler nachweislich um viele, viele Millionen durch beispiellose und skandalöse Preisspekulation übervorteilt, wenn nicht sogar betrogen", heißt es darin. Am Ende bittet Sauckel darum, Maßnahmen gegen die Eigentümer zu ergreifen, weil es "politisch unerträglich" wäre, "wenn die Juden ihre alte wirtschaftliche Machtposition wieder einnehmen könnten". Kurze Zeit später verfügt Hitler persönlich, der Angelegenheit im Sinne von Sauckel nachzugehen.
Auf Grund konstruierter Vorwürfe wird gegen die Familie Simson ein Scheinprozess geführt, an dessen Ende die Enteignung steht. Die Produktion von Kraftfahrzeugen wird bald darauf zurückgefahren und dafür die Waffenproduktion erhöht. 1939 wird das Unternehmen schließlich in "Gustloff-Werke" umbenannt. Im Gegensatz zu Millionen anderer deutscher und europäischer Juden schafft es die Familie Simson, dem Holocaust zu entkommen. 1936 gelingt ihr die Flucht in die USA, wo bis heute ihre Nachfahren leben.
Simson-Erben ausgebootet
Nach dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands 1949 beginnt für die Simson-Werke in der DDR mit der Produktion der legendären Mopeds unter der Bezeichnung Schwalbe der zweite Frühling - jedoch ohne die ursprünglichen Eigentümer und Namensgeber. Die Vorgeschichte des Unternehmens spielt dabei überhaupt keine Rolle. Aus offizieller Parteisicht handelte es sich dabei um beschlagnahmten Nazibesitz, der nun in Volkseigentum überführt wurde.
Erst als auch die DDR Geschichte wird, versuchten die Nachfahren der Familie Simson in den USA, wieder in den Besitz des Unternehmens zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt sind in Suhl zwei Simson-Sparten ansässig: Fahrzeugbau und Jagdwaffenherstellung. Die Treuhand, welche die Privatisierung regeln soll, entscheidet sich ebenfalls, die Geschichte des Unternehmens zu vernachlässigen und veranstaltet auf der Suche nach Investoren eine marktwirtschaftliche Ausschreibung. Das beste Angebot bekommt den Zuschlag. Und es ist nicht das der Simson-Erben, obwohl sie damals die einzigen sind, die ein Konzept vorlegen können, das zumindest die Produktion der Jagdwaffen und die dazugehörigen Arbeitsplätze retten soll. Ihr Plan: Die Simson-Jagdgewehre als Premiummarke auf dem US-Markt zu etablieren.
Doch daraus sollte nichts mehr werden. Der Familie blieb lediglich eine Entschädigung von 18,5 Millionen Mark aus dem Treuhandfonds. "Es war schön, dass die Familie Simson einen Teil der Entschädigung wieder investieren wollte, aber wir mussten streng nach Aktenlage entscheiden", erinnerte sich später einer der zuständigen Treuhand-Mitarbeiter: "Aber wir waren nicht für Wiedergutmachung, sondern für Privatisierung zuständig."
Das Ende einer langen Firmentradition
Das Unternehmen bleibt im wiedervereinten Deutschland chancenlos. Bereits 1993 geht die Waffensparte unter dem neuen Eigentümer insolvent. Die Simson-Fahrzeuge können immerhin noch bis 2002 produziert werden, dann kommt auch für sie das Aus. Dies bedeutet das Ende der langen Firmentradition in Suhl. Und als im Dezember 2016 die sogenannte Simson-Villa, der ehemalige Familiensitz am Suhler Domberg, nach langem Leerstand an einen Investor verkauft wird, ist das lediglich eine kurze Nachricht in den Lokalmedien wert.
(zuerst veröffentlicht am 30.06.2017)
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR Sachsenspiegel | DDR Formen | 25.06.2021 | 19:00 Uhr