Die Leipziger Baumwollspinnerei ab 1993
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06. Juni 2011, 16:32 Uhr
Die Leipziger Baumwollspinnerei hat in den letzten 20 Jahren eine rasante Entwicklung erlebt, ist mittlerweile weltweit als Kunstzentrum berühmt. Die britische Tageszeitung "The Guardian" bezeichnete sie in einem Artikel gar als "hottest place on earth".
Noch 1993 gelang der Verkauf der Leipziger Baumwollspinnerei an einen Investor aus Köln. Er versuchte, die alte Produktion zumindest in Teilen durch die Fertigung von Reifencord aufrecht zu erhalten. Dafür benötigte er nur einen kleinen Teil des Geländes. Seinen Industriebetrieb führte er bis ins Jahr 2000 fort, zuletzt nur noch mit 40 Mitarbeitern. Da er das riesige Firmengelände mit vier großen Spinnereihallen und 16 Funktionsgebäuden nicht selbst nutzen konnte, versuchte er schon früh, neue Mieter zu gewinnen. Bei der Auswahl ging er behutsam vor, zeigte vor allem Interesse daran, Künstler auf das Fabrikgelände in Plagwitz zu locken. Alles begann im Gebäude Nr. 18, wo 1994 die ersten Ateliers eingerichtet wurden. Hier ließ sich der Künstler Peter Bux nieder. Ihm folgten bald Rosa Loy, Peter Krauskopf, Volker Kriegel, Neo Rauch.
Ich habe sie das erste Mal betreten, als wir hier nach Räumen suchten. Das muss '92 gewesen sein, da wurde auf einigen Etagen noch gesponnen, da rotierten hier auf unserer Etage noch die Maschinen.
Kunst statt Industriefertigung
Im Jahr 2001 wurde das Gelände neuerlich verkauft, an zwei kunstinteressierte Investoren mit einem umfassenden Konzept: Kreative, Künstler, aber auch Gewerbebetriebe, die zusammenpassten, sollten angesiedelt werden. Auf eine Luxussanierung wurde bewusst verzichtet. Für viele Künstler boten sich große Vorteile, gerade hier Ateliers einzurichten. Bertram Schultze, gelernter Architekt und seit 2001 Geschäftsführer der neuen Betreibergesellschaft der Spinnerei: "Man hat früher für die Ewigkeit gebaut. Das heißt, man muss eigentlich relativ wenig Geld investieren, um eine neue Nutzung zu ermöglichen. Niedrige Mieten sind die Basis für die Künstler und die Kreativen, dass sie hier Räume mieten und arbeiten können. Das ist auch heute noch so, nachdem die Spinnerei ein relativ nachgefragter und bekannter Ort geworden ist." Dem Standort kam überdies die sich fast zeitgleich entwickelnde internationale Anerkennung der "Neuen Leipziger Schule" um ihren Star, den Maler Neo Rauch, zugute.
Schultze fungiert heute fast wie ein Bürgermeister auf dem weitläufigen Gelände. Natürlich wollen die Besitzer auch Gewinne erzielen. Schultze erreicht das durch eine kluge Mischung von Gewerbebetrieben und Kunsteinrichtungen auf dem ehemaligen Fabrikgelände. Damit wird eine Art Quersubventionierung ermöglicht. Die Besitzer haben einen Komplex allerdings ganz bewusst aus der kommerziellen Nutzung ausgenommen: Die Halle 14 wird als gemeinnütziger Kunstraum genutzt. Für die dort vertretenen Stiftungen übernehmen die Besitzer die Betriebskosten und bezuschussen die Modernisierung.
Die Bedeutung des Raumes
Bertram Schultze kann Künstlern etwas Besonderes bieten: "Wir haben die Möglichkeit, mit dem sogenannten Luxus der Leere umzugehen und Ausstellungsflächen zur Verfügung zu stellen, wo einem schon ein bisschen die Kinnlade runterklappt." Diese Anziehungskraft hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich mittlerweile mehr als 100 Künstler auf dem Gelände der Baumwollspinnerei heimisch fühlen. Schultze bietet ihnen teilsanierte großzügige Räume an, "veredelte Rohbauten". Nur mit Wasseranschluss, Heizung und Elektroinstallation.
Seit 2005 sind insgesamt sechs Galerien aus der Innenstadt auf das Fabrikgelände umgezogen, das öffentliche Interesse wurde dadurch noch einmal erheblich gesteigert. Das Konzept, mit dem sich die Baumwollspinnerei auf den internationalen Kunstmärkten präsentiert, ist mittlerweile auch in New Yorker Kunstkreisen geläufig: "From cotton to culture". Zweimal jährlich wird in Leipzig zum sogenannten "Rundgang" geladen, bei dem Galerien und Ateliers den Besuchern offenstehen. Rund zwei Drittel der Besucher kommen von auswärts, viele sogar aus dem Ausland.
Neo Rauch, der unumstrittene Star auf dem Gelände der Baumwollspinnerei, fühlt sich hier trotz des eher ungewohnten Trubels noch wohl. Wenn es ihm zu laut wird, steigt er einfach drei Stockwerke zu seinem Atelier hoch und schließt die Tür hinter sich. Für ihn hat die Großzügigkeit des Ateliers auch Einfluss auf seine großformatigen Gemälde. "Es ist nicht von der Hand zu weisen", so Rauch, "dass die räumlichen Gegebenheiten, unter denen man produziert, auch in die Arbeit selbst hineinwirken. Gerade wenn es darum geht, größere Formate zu bewältigen [...], dann ist es wichtig, mindestens zehn Meter zurücktreten zu können."
Fakten zur Baumwollspinnerei:
* 70.000 qm Nutzfläche, davon 60.000 qm genutzt
* 25.000 qm für den Bereich Bildende Kunst
* 350 Mietverträge (Ballettstudio, Bandprobenraum, Künstlerateliers, Computerfachhandel)
* mehr als 100 Künstlerateliers (zwischen 20 und 200 qm)
* 13 Galerien und Ausstellungsräume