23. November 1989 Siedlung der DDR-Führung: Die erste Reportage aus Wandlitz
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04. Februar 2022, 12:12 Uhr
Im November 1989 strahlte das Fernsehen der DDR eine Reportage über die Waldsiedlung der SED-Politbüromitglieder in Wandlitz aus. Die Reportage gilt heute als eine der berühmtesten der DDR-Fernsehgeschichte.
Es war eine Ungeheuerlichkeit und 40 Jahre überhaupt nicht vorstellbar, was im 23. November 1989 im Programm des DDR-Fernsehens ausgestrahlt wurde:
Da stand ein junger Reporter mit einem Kamerateam vor der streng abgeschotteten und geheimnisumwitterten Waldsiedlung der SED-Politbüromitglieder in Wandlitz und begehrte forsch Einlass. Er wolle zeigen, wie hier gelebt wird, damit sich die Zuschauer selbst ein Bild machen können, erklärte er ganz selbstverständlich. Der junge Reporter hieß Jan Carpentier, die Sendung, für die er berichtete, "Elf 99". An diesem Tag wurde er noch abgewiesen, einen Tag später jedoch öffneten sich ihm die Eisentore tatsächlich und er konnte sich in der Enklave der Mächtigen umsehen. Dass ihm der Zutritt gewährt wurde, war bereits der schlagende Beweis dafür, dass es mit der Macht des SED-Politbüros nicht mehr weit her sein konnte.
Bananen und Ananas im "Internierungslager"
Carpentier machte sich also, einen wachhabenden Offizier im Schlepptau, gespannt auf Erkundungstour durch das weitläufige Areal vor den Toren Berlins. Die meisten Bewohner waren aber schon nicht mehr da und ihre Häuser standen leer. Zufällig lief ihm Kurt Hager, vor kurzem im Politbüro noch zuständig für Kultur und Wissenschaft, über den Weg und sagte, es sei hier wie in einem "Internierungslager" gewesen, womit er sicher nicht Unrecht hatte. Seine Aussage brachte den Volkszorn jedoch enorm in Wallung. In der Wandlitzer Verkaufsstelle, in der reichlich Bananen und Ananas auslagen, traf Carpentier die Chefin des Ladens an, die ihm, unschuldig lächelnd, weismachen wollte, das Angebot hier gleiche dem der "Konsum"-Verkaufsstellen in der übrigen DDR. Carpentier erwiderte: "Mit Bananen und Ananas sieht es gerade ein bisschen schlecht aus in der Republik."
Biedere Häuser mit Westarmaturen
Doch abgesehen von Bananen und Ananas gab es nicht viel Exotisches in der Wandlitzer Waldsiedlung zu entdecken. Denn nicht märchenhafte Villen mit Pool und kostbarem antiken Mobiliar, keine weißen Yachten und Chrom glänzende Oldtimer, was alles das Staatsvolk der DDR mit dem vermeintlich üppigen Leben der SED-Granden in Verbindung gebracht hatte, gerieten ins Blickfeld der Kamera, sondern stattdessen: graue und biedere Einfamilienhäuser mit Schrankwänden in den Wohnzimmern und Bierkrügen statt Büchern in den Regalen. Der einzige nennenswerte Luxus in den Häusern waren Armaturen aus dem Westen in den Badezimmern und ein paar Küchengeräte von "Miele".
Wie ein "Voyeur" und "Spanner"
Jan Carpentier wurde mit seiner Reportage aus Wandlitz berühmt. Sie gilt als "Meilenstein in der Geschichte des DDR-Fernsehens". Der junge Reporter gab sich weder empört noch schockiert über das Refugium der Politbüromitglieder, er zeigte lediglich, was er vorfand: die Biederkeit der einst mächtigsten Männer der DDR. Freilich, bekannte Carpentier, sei er sich bei den Rundgängen durch die fremden Häuser in Wandlitz gar nicht wie ein bedeutender Journalist vorgekommen, sondern eher wie ein lausiger "Voyeur" und "Spanner".