SED-Unrecht 17. November 1989: Letzter Jugendlicher aus Jugendwerkhof Torgau entlassen

17. November 2021, 05:00 Uhr

Wer in der DDR in einen Jugendwerkhof eingewiesen wurde, galt als schwer erziehbar. Die Einrichtung in Torgau war die letzte Station für besonders schwere Fälle. Zwischen 1964 und 1989 werden hier 4.000 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren eingewiesen. Am 17. November 1989 wird der letzte Jugendliche aus Torgau entlassen. Zum Jahrestag erinnert die Gedenkstätte Torgau an das Ende der repressiven DDR-Heimerziehung und das Schicksal der Betroffenen.

Knapp 30 Jugendwerkhöfe mit insgesamt etwa 3.000 Plätzen gibt es in der DDR. Sie sind oft in Schlössern, Herrensitzen oder auch in einem Kloster untergebracht. Doch unter den Jugendlichen gilt der "Geschlossene Jugendwerkhof Torgau" als der Härteste. Mithilfe von Essensentzug, Dunkelzellen und exzessivem Sport soll der Wille der Minderjährigen gebrochen werden und sie zu einem vollwertigen Mitglied der sozialistischen Gemeinschaft gemacht werden.

Jugendwerkhof Torgau (historische Aufnahme) 4 min
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Von hohen Mauern umgeben war Torgau der einzige Geschlossene Jugendwerkhof der DDR. "Ehemalige" wie Andreas Freund und Stefan Lauter erzählen, was Torgau bedeutete.

MDR FERNSEHEN Di 12.09.2006 22:05Uhr 04:22 min

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Die Gründe für eine Einweisung in einen solchen Jugendwerkhof sind vielfältig: Fluchtversuche, Auflehnung gegen Organe der Jugendhilfe, Schulschwänzen, "Asoziales Verhalten" oder auch ein Austritt aus der FDJ. Wer über seine Erlebnisse in dem Heim spricht, so wird es den Jugendlichen bei der Entlassung angedroht, kommt zurück nach Torgau.

Harte Arbeit in der Woche, exzessiver Sport am Wochenende

In der Woche müssen die Jugendlichen von 6 Uhr morgens bis 21 Uhr abends arbeiten. Am Wochenende geht es um 8 Uhr auf den Sportplatz, wo bis Mittag 500 Kniebeuge, 500 Strecksprünge, 500 Liegestütze gemacht werden müssen. Das alles wird am Nachmittag wiederholt. Die Ernährung ist mangelhaft. Zum Frühstück gibt es eine Scheibe Brot mit Margarine und Marmelade. 1964 beträgt der Verpflegungssatz 2,45 Mark pro Tag pro Jugendlichem. Geschlafen wird in kasernenartigen Schlafsälen. Privatssphäre gibt es keine. Suizidversuche sind die Folge, durch aufgeschnittene Pulsadern oder geschluckte Eisenspähne, die die Jugendlichen in den Werkstätten finden.

Nach 1989 kommt ans Licht, was in Torgau jahrzehntelang an der Tagesordnung stand: brutale körperliche Übergriffe, Dunkelarrest und nicht zuletzt sexuelle Misshandlungen der minderjährigen Insassen durch die Erzieher. Erst in den vergangenen Jahren haben ehemalige Insassen begonnen, das Tabu von Torgau zu brechen.

Körperliche und seelische Langzeitfolgen bis heute

Viele von ihnen sind durch die Erfahrungen physisch und psychisch beeinträchtig und beziehen SED-Opferrente, sofern eine strafrechtliche Rehabilitierung erfolgt ist. Erst 2019 bekommt durch die Novellierung des "Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR" auch die Gruppe der Heimkinder und verfolgter Schüler eine Kapitalentschädigung für rechtsstaatswidrige Haftzeit oder Einweisung in Jugendwerkhöfe oder Kinderheime.

Forderung nach bundesweiten Härtefallfonds

Die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, forderte zum 32. Jahrestag des Mauerfalls, dass noch mehr im Bereich der Entschädigung für politisch Verfolgte getan werden müsse. Sie fordert bundesweite Härtefallfonds und eine Herabsetzung der Hürden bei der Begutachtung von gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Repressionen.

Jugendwerkhof Wolfersdorf, 1987
Der Artikel mit den Fotos von Thomas Sandberg erscheint noch im gleichen Jahr unter der Überschrift "Hilfe für draußen" in der "Neuen Berliner Illustrierten (NBI)" . Obwohl die Bilder kein Idealbild des Jugendwerkhofs zeigen, werden sie nicht zensiert. Der Artikel soll im Volksbildungsministerium auf Kritik gestoßen sein. Bildrechte: Thomas Sandberg