Zurückgeschaut: Motorsport in der DDR
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17. August 2020, 12:24 Uhr
Den Startschuss gab ein Hochstapler: Er nannte sich Dr. Ernst Ring, kam aus dem Westen und fuhr im Oktober 1950 immerhin lässig genug Auto, um in Dessau ein Rennen der 1,5-Liter-Sportwagenklasse zu gewinnen. Ring gewann den Preis des Präsidenten Wilhelm Pieck - und dessen Sympathie. Er sei ein bekennender Freund der DDR, und das brächte ihm im Westen Schwierigkeiten ein, ließ Dr. Ring das Staatsoberhaupt wissen und stellte ein Asylgesuch für sich und seine Familie. Schließlich gelang es ihm, die Oberen der jungen Republik vom Motorsport zu überzeugen. Wenn es internationale Erfolge der DDR im Motorsport gäbe, würde das gut sein für die Bewohner des Landes und seine Reputation im Ausland. Also wurde ein Rennkollektiv gegründet, und Ring als Leiter eingesetzt.
Dr. Ring stapelt hoch und fällt ... nur wohin?
Inzwischen bewohnte er eine stattliche Villa in Karlshorst, protzte mit dem vermeintlichen Adelstitel seiner vermeintlichen Frau und fuhr in den Westen, um Teile für vier neue Rennwagen zu kaufen. Nach oben meldete er, die schnell erreichten Geschwindigkeitsrekorde der Renner seien dem Material aus der volkseigenen Industrie zu verdanken. Ein halbes Jahr ging die Hochstapelei gut, so lässt sich in Horst Ihlings Buch "Autorennsport in der DDR" nachlesen, dann verschwand Dr. Ring in den Fängen der Stasi und ward nie mehr gesehen. Was blieb, war das Rennkollektiv, zugleich Entwicklungsschmiede und Fahrerlager einer motorbegeisterten Nachkriegsjugend.
Die großen Jahre der schnellen Flitzer
In den 50er-Jahren hatte der Motorsport in der DDR seine Hochzeit. Die Begeisterung der Massen knüpfte an die Vorkriegsrennen an und zu den legendären Gesamtdeutschen Motorrad-Meisterschaften in Schleiz etwa kamen eine Viertelmillion Zuschauer. In Eisenach und Berlin Johannisthal wurde an Sportwagen gefeilt, die selbst Porsche und BMW in den Schatten stellten, auch die Motorräder aus Zschopau machten im internationalen Vergleich eine gute Figur. Fahrerfiguren wie Paul Greifzu oder Heinz Melkus wurden zu Legenden des Motorsports.
Mangel und Maschinen
1957 wurde der ADMV gegründet, der Allgemeine Deutsche Motorsportverband. 700.000 Mitglieder in 500 Klubs hatte der Verband, er bekam staatliche Zuschüsse in Millionenhöhe – und dennoch wurde Motorsport in der DDR zunehmend stiefmütterlich behandeltet. Das lag zum einen daran, dass mit zunehmendem technischen Rückstand der ostdeutschen Fahrzeugindustrie keine Medaillen mehr zu gewinnen waren, zum anderen fürchteten die Funktionäre, die ohnehin große Motorbegeisterung noch weiter anzufachen, getreu dem Motto: Wer keine Apfelsinen hat, kann auch keine anbieten.
Motorsport? Privatvergnügen!
Und so war Motorsport in der DDR vor allem ein Privatvergnügen. Mit großem Aufwand wurden Motoren frisiert, Rennpappen konstruiert, Straßenflitzer improvisiert.
Der Motor vom Lada, die Bremsen vom Polski Fiat, das Gestell vom Wartburg - wer mithalten wollte bei den Rennen in der Republik, der musste findig sein. "Das hier ist noch richtiger Sport" ließ Jürgen Grimm, der Pressechef des Rennens am Schleizer Dreieck 1986 den "Spiegel" wissen. Und weiter: "Das ist die absolut größte Sportveranstaltung der DDR, so viele Zuschauer an einem Tag bringen weder Fußball noch die Spartakiade auf die Beine." Die Popularität des Rennsports lag auch daran, dass an den Pisten und Kurven ein Lebensgefühl fernab des offiziellen, stets um die Grandiosität der DDR bemühten Sportsgeistes gepflegt wurde. Man ging auf Urlaub von Partei und Propaganda – inclusive Campen, Bier und ein bisschen Remmidemmi.
(zuerst veröffentlicht am 12.06.2009)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: Rennfieber - Motorsport in der DDR | 28.03.2005 | 19:00 Uhr