Mit Highspeed auf Wellen Härter als Beton: Die vergessene Weltspitze des DDR-Motorbootsports
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24. November 2021, 12:31 Uhr
Was kaum noch einer weiß: Die DDR war im Motorboot-Rennsport Spitzenreiter. Die Rennfahrer zu Wasser holten so viele Welt- und Europameistertitel wie keine anderen Motorsportler aus dem Osten. Durch DDR-typisches Einfallsreichtum und dank ihrem genialen Technikverständnis war es den Sportlern möglich, so erfolgreich zu sein. Doch die vielen Siege sind in Vergessenheit geraten. Dabei wirken die Innovationen aus DDR-Zeiten noch heute in der Motorboot-Szene.
Die Faszination des Motorboot-Rennsports
Wer mit mindestens 150 Stundenkilometern übers Wasser fährt, muss waghalsig sein, denn bei dieser Geschwindigkeit wirkt die Oberfläche härter als Beton. Ein Sturz kann dann tödlich oder zumindest mit vielen Knochenbrüchen enden. Doch für die Motorboot-Sportler überwiegt der Adrenalinkick gegenüber der Gefahr. So auch für den ehemaligen DDR-Motorboot-Sportler Olaf Koenig. Die Passion für das "Fliegen auf dem Wasser" begleitet den Dresdner bis heute:
... die Wellen vorbeihuschen und die Bojen auf sich zukommen zu sehen, um die Bojen herumfahren - das ist einfach das schöne am Motorbootrennsport, dass du irgendwo auch so ein bisschen Freiheit auf dem Wasser hast.
Die Liebe zu dieser extremen Sportart entdeckte er schon in jungen Jahren. Als 17-Jähriger wurde er 1979 zum erstem Mal Juniorenmeister. 1983, nur vier Jahre später, war er der Beste in seiner Klasse und wurde zum DDR-Meister gekürt. Neben Highspeed begeistert ihn aber auch die technische Seite am Motorboot-Sport: "Es ist dann immer ein tolles Gefühl, wenn man was gemacht hat und man sieht, es ist wieder ein bisschen schneller geworden."
Olaf Koenig
Olaf Koenig ist Rennbootfahrer und DDR-Meister. Inzwischen hat sich der Hobby-Historiker einen Namen als anerkannter Chronist der Motorbootrennsportszene der DDR gemacht. Als Sportler war er in der Klasse OA bis 250 Kubikzentimeter aktiv. Seinen ersten Titel gewann er mit 17 Jahren. Sein Motto: "Im Temporausch übers Wasser! Nur Fliegen ist schöner!"
Gemeinsam mit anderen ehemaligen Rennfahrern aus der DDR bereitet er die Oldtimer der Motorboot-Szene originalgetreu auf. Ein Name, der bei der Restaurierung immer wieder auftaucht, ist der die Bootsbauerlegende Bernhard Danisch. Er war selbst Rennfahrer und Tischler. Für seine Boote verwendete er das leichteste Bootssperrholz und sorgte somit dafür, dass die Sportler erfolgreich waren. Etwa 100 Boote pro Jahr wurden in seiner Werkstatt fertiggestellt und von dort aus in die Welt versandt. Dabei gingen über 90 Prozent in die Sowjetunion. Auch das Lieblingsboot von Olaf Koenig ist ein Boot der Marke "Danisch".
Die "Formel 1 des Ostens"
Koenigs Garage in Dresden gleicht einem Museum: Motoren über Motoren, ein Bilderarchiv und dreizehn Boote lagern dort. "Irgendwann in den 2000er-Jahren habe ich gemerkt, es ist Vieles verloren, es sind Boote weggekommen", sagt Koenig. Um doch noch einen Rest Sportgeschichte zu bewahren, entschied er sich dazu, das noch existierende Erbe zu sammeln. "Es waren tolle Menschen unterwegs, Tüftler, die diese Motoren unter teilweise großen Entbehrungen in Kellern, Werkstätten zusammengeschraubt haben". Denn neben den superleichten Materialien, die für Boote aus DDR-Produktion verwendet wurden, trug auch die Tüftelei der technikaffinen Sportler zu den Siegen bei. Trotz Materialknappheit konnten so wertige Eigenbaumotoren geschaffen werden.
Motorboot-Rennsport in Dresden...
Das "Elbflorenz" Dresden war in der DDR ein Eldorado für diesen Sport. Zehntausende Zuschauer standen jährlich auf den Elbufern, um bei den zahlreichen internationalen Rennen zuzuschauen.
Wir hatten Zuschauer rechts und links der Elbe. Man kann wirklich sagen, man sah keine Wiese mehr, man sah nur noch Leute, und das war einfach toll und auch ein internationales Flair.
Die Rennstrecke in Dresden war eine zwei Kilometer lange Gerade, die an der Brücke "Blaues Wunder" vorbeiführte. Ein "fliegender Start", entgegen der Strömung, leitete das Rennen ein. Auch der erfolgreichste Motorboot-Sportler der DDR, Bernd Beckhusen, holte einige Siege in Dresden.
... und in Dessau
Auch Dessau war ein wichtiger Standort für Motorbootsport in der DDR. An der dortigen Rennstrecke standen in den Sechzigern bis zu 25.000 Zuschauer, berichtet der Motorbootrennfahrer Benrd Mehnert, dessen Familie keine fünf Minuten Fußweg vom Elbufer gewohnt hat - kein Wunder, dass er das erste Rennen dort schon als Dreijähriger miterlebt hat. "Als unser Dessauer Rudi Königer in der Klasse 'LX 1000' (heute Formel R 1000) Weltmeister und dazu noch Helmut Weise aus Eisenach Vize-Weltmeister wurden, war in ganz Dessau und Umgebung die Stimmung auf dem Höhepunkt", erinnert er sich. An einem Sonntag an der Rennstrecke beschloss er schon mit neun Jahren, Rennbootfahrer zu werden. Sein erstes Rennen fuhr er dann 1988 natürlich in seiner Heimatstadt Dessau.
Der erfolgreichste Motorboot-Sportler der DDR
Als gelernter Kfz-Mechaniker brachte auch Bernd Beckhusen die günstige Kombination aus Sportlichkeit und Technikverstand mit. Diese Mischung brachte ihm 24 nationale Meistertitel ein. So viele hatte kein anderer in dieser Sportart. Der Pilot aus Berlin war über drei Jahrzehnte ein Aushängeschild des DDR-Motorsports. Um seine Maschinen zu pimpen, musste er auch das ein oder andere Teil über die Grenze schmuggeln.
Man ist am schnellsten, wenn das Boot kurz vor dem Abheben ist. Und dieses Gefühl muss man einfach haben. Und man darf auch keine Angst haben, das auf die Spitze zu treiben.
Doch ab 1971 waren Welt- und Europameisterschaften für ihn Geschichte, denn die DDR-Sportführung entschied, nur noch olympische Sportarten dafür zuzulassen. Bernd Beckhusen und andere Spitzensportler der DDR konnten sich bis zur Wiedervereinigung nur noch in Pokalrennen im Ostblock messen. Erst mit der Einheit 1990 stand der damals 50-Jährige wieder im internationalen Wettbewerb und verzeichnete sogar sein erfolgreichstes Jahr. Seit 1994 ist Beckhusen im "Rennboot-Ruhestand" und blickt seitdem stolz zurück.