Alpines Bergsteigen in der DDR
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11. März 2020, 17:05 Uhr
Alpines Bergsteigen in der DDR? Schwierig... und da in dem Extremsport keine prestigeträchtigen Goldmedaillen winkten, blieb er ein Randphänomen. Doch es gab Alpinisten, die fern der kleinen Heimat Großes leisteten.
Alpines Bergsteigen war in der DDR eine Exotensportart. Doch es gab begeisterte Kletterer, die sogar unglaubliches leisteten. Solche wie Ralf Brummer, Jahrgang 1950.
Der hat 1988 eine schier wahnsinnige Idee: Er wolle einen gewaltigen Berg im Pamirgebirge besteigen und ihm den Namen Leipzig geben, schreibt Brummer in einem Brief an den damaligen Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. Die überraschende Antwort kommt im April 1989. Die Genehmigung der sowjetischen Behörden liege jetzt vor und es könne losgehen mit dem Projekt "Pik Leipzig". Der einzige Haken: Irgendjemand muss die Teilnehmergebühren für die Expedition zahlen.
Die horrenden Pauschal-Gebühren für die Unterbringung im Basislager und den Transport zum Berg werden letztendlich beglichen, offenbar vom Deutschen Turn- und Sportbund der DDR (DTSB). Das Geld ist schlicht übrig, weil ein Trainingslager von DDR-Athleten in der Sowjetunion ausgefallen ist, erinnert sich Brummer.
Mit Eigenkreationen und Spezialequipment ins Unbekannte
Um das Spezial-Equipment für das Hochgebirge müssen sich die Bergsteiger allerdings selbst kümmern. Und das in einem Land, wo der Kauf von normalen Rucksäcken und Schuhen schon ein Problem darstellt.
Das Zelt organisiert sich Brummer aus dem Westen, die Bergschuhe sind eine Spezialanfertigung aus der ČSSR. Doch viele Ausrüstungsgegenstände sind auch Eigenkreationen: die Eisbeile, Pickel und ein selbst genähter Rucksack. Auch Klettergurte gibt es damals nicht zu kaufen. Die baut sich Brummer aus Auto-Sicherheitsgurten.
Alpin-Bergsteigen in der DDR:
Mit 1.214 Metern ist der Fichtelberg die höchste Erhebung in der DDR. Doch wie auch andere sozialistische Staaten will sich die DDR mit prestigeträchtigen Expeditionen präsentieren. Ihr erstes großes Ziel: der höchste Berg des Kaukasus. Im Sommer 1958 besteigt eine DDR-Auswahlmannschaft den vergletscherten Vulkan Elbrus mit einer Höhe von 5.642 Metern. 1961 wird beim SC Einheit Dresden eine eigene "Leistungssektion" Bergsteigen gegründet, mit dem Ziel, eine Nationalmannschaft Alpinistik aufzubauen. 1972 erklimmen die Auswahl-Kletterer den höchsten Berg der Sowjetunion, den Pik Kommunismus (7495 Meter).
Doch die Expeditionen sind teuer und internationale Medaillen gibt es auch nicht zu gewinnen. Der Stellenwert der Nationalmannschaft Alpinistik bleibt also gering. Beschleunigt wird ihr Bedeutungsverlust, als am 21. Juli 1967 vier Kader-Bergsteiger an der Eiger-Nordwand in der Schweiz verunglücken. Zwei Jahre später beschließt die SED-Führung, die Förderung radikal zu kürzen und sich auf ausgewählte, medaillenintensive Sportarten zu konzentrieren. In der Folge spielt die DDR im internationalen Bergsport keine Rolle mehr.
Abenteuer in Tadschikistan
Als alles beisammen ist, machen sich Ralf Brummer und drei Leipziger Alpinisten im Sommer 1989 auf ins Pamirgebirge. Sie lassen alles hinter sich - die Arbeit und die Freunde.
Bei mir war es so, dass ich alles geregelt habe, für den Fall, dass ich nicht wiederkomme. Das sollte man auch tun, wenn man es ernst meint. Denn es ist immer ein objektives Risiko bei solchen Aktionen dabei.
Was noch erschwerend hinzu kommt: Die Bergsteiger haben kein vernünftiges Kartenmaterial. "Ich konnte nicht sagen, da ist der Berg, da fahre ich hin. Ich bin in den Pamir gereist ohne zu wissen, was der Pik Leipzig ist und wo der steht", erzählt Brummer mit einem Lächeln. Vor Ort in Tadschikistan umkreisen sie in einem sowjetischen Hubschrauber die Gipfel des Pamirgebirges. Dann zeigt der sowjetische Guide auf eine Bergkuppe und versichert: Dieser Berg ist unbestiegen.
Auf einem Plateau in 4.000 Metern Höhe werden die vier abgesetzt - vor Augen die 1.000 Meter hohe, vergletscherte Nordwand des Berges. Dann sind sie ganz auf sich allein gestellt. Doch hier oben in der weißen Weite des Pamirgebirges haben sie nur noch Glück. Das Wetter hält. Ohne Seile kommen sie schnell voran und erreichen den Pik Leipzig auf 5.725 Metern am 9. August 1989.
Endlich am Ziel
Im Oktober 1989 kommen sie zurück nach Leipzig. Hier haben sich die Ereignisse inzwischen überschlagen. Mit der politischen Wende tritt dann auch das große Abenteuer etwas in den Hintergrund. Aber bis heute trägt der Berg den Namen der Messestadt und das Expeditionsteam aus Leipzig hat ein Stück DDR-Bergsteiger-Geschichte geschrieben.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV: MDR ZEITREISE - Geschichtsmagazin: "Pik Leipzig - Träume vom Dach der Welt" | 26.07.2016 | 21:15 Uhr