Gunter Böhnke in der MDR-Sendung "Warum in die Ferne schweifen" im Jahr 2001
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gunter Böhnke im Interview "Lene Voigt hat die Sachsen wirklich geliebt"

15. Februar 2011, 15:51 Uhr

Mit den "academixern" präsentierte der Leipziger Kabarettist Gunter Böhnke 1984 das erste "Lene-Voigt-Programm" in der DDR. Die Gedichte der sächsischen Dichterin hatte Böhnke aber schon als Kind gehört, bei seinem Großvater ... Was er über die Mundartdichterin denkt, hat er uns im Interview verraten.

Wann haben Sie zum ersten Mal Gedichte von Lene Voigt gehört?

"Lene Voigts Gedichte lernte ich bei meinem Großvater in Dresden kennen. Dort traf sich immer die ganze Familie zu Geburtstagen und Feiertagen und es wurde gefeiert, getrunken und getanzt. Es wurden Lieder gesungen, aber immer auch sächsische Gedichte vorgetragen. Und als ich dann älter war, fragte ich meinen Großvater: 'Sag mal, von wem stammen denn die schönen sächsischen Gedichte?' Und er sagte zu mir: 'Da gibt es keinen Dichter. Das sind Volksdichtungen.' Tatsächlich waren es Gedichte von Lene Voigt. Aber das wusste keiner mehr."

Eigentlich das, was sich jeder Dichter erträumt: dass seine Dichtungen im Volk lebendig sind.

"Ganz genau. Lene Voigt war in diesem Sinne tatsächlich 'Volkseigentum'."

Was ist für Sie das Besondere an Lene Voigts Gedichten?

"Was mich am meisten beeindruckt an Lene Voigt, ist die Art, wie sie über die Menschen spricht. Sie hat die Sachsen wirklich geliebt. Und es gibt ja von ihr neben den witzigen, humorvollen Texten auch sehr nachdenkliche Sachen, die nicht so bekannt sind - Gedichte, die sie anlässlich des Todes ihres kleinen Sohnes geschrieben hatte, oder als sie von ihrem Geliebten verlassen wurde. Es gibt nicht nur die berühmten sächsischen Gedichte, die 'Sächsischen Balladen' und die 'Sächsischen Klassiker', sondern es gibt ganz anrührende Gedichte über Gegenstände des Alltags, übern Spielplatz oder über die Jahreszeiten ... Hinzu kommt: Es gibt keinen Dichter sächsischer Zunge, der so genial Märchen und Stücke aus der klassischen Literatur von Wilhelm Tell bis zum Hamlet ins Sächsische übersetzt hat, ohne die Stücke zu beschädigen. Sie macht sich auch nicht lustig, sondern sie holt diese Dichtungen für den sächsischen Theaterbesucher oder Leser herüber."

Der sächsische Humor ist immer geprägt von einer gewissen Selbstironie. Die haben nur wir Sachsen.

Gunter Böhnke

Wie kam Lene Voigt dazu, klassische Literatur ins Sächsische zu übertragen?

"Angeregt wurde sie zu diesen Arbeiten, so erklärte sie es selbst einmal, durch einen Theaterbesuch in Leipzig, wo ihr vor der Vorstellung eine Leipzigerin das ganze Stück, es waren Schillers 'Räuber', auf sächsisch erklärte. Das hatte sie tief beeindruckt."

Gibt es einen speziell sächsischen Humor?

"Der sächsische Humor ist, etwa im Gegensatz zum Berliner Humor, den ich als brachial empfinde, oder dem bayerischen Humor, der sehr in sich ruht, immer geprägt von einem Um-die-Ecke-Denken, einer eigentümlichen Nachdenklichkeit und einer gewissen Selbstironie. Und diese Selbstironie, die haben nur wir Sachsen."

Warum wurde Lene Voigt in der DDR nicht publiziert?

"In den ersten Nachkriegsjahren wurden Texte von Lene Voigt mitunter noch bei Veranstaltungen vorgetragen. Aber dann war sie bis in die 1980er-Jahre hinein absolut vergessen. Das Sächsisch galt damals als anrüchig. Sie wissen ja, Walter Ulbricht war der unbeliebteste Sachse. Und so war und ist der sächsische Dialekt für viele auch heute noch ein rotes Tuch. Viele sind ja durch 'den Vopo' (den Volkspolizisten) und SED-Chef Walter Ulbricht zur Auffassung gelangt, das ist Sachsen oder das Sächsische: der Vopo und Walter Ulbricht. Andererseits durfte etwa im Kabarett kein Funktionär sächseln, weil man immer argwöhnte, dass könnte als Ulbricht-Parodie aufgefasst werden."

1983 erschienen dann zum ersten Mal in der DDR in einem schmalen Heft Gedichte von Lene Voigt ...

"Damit begann die vorsichtige Renaissance Lene Voigts in der DDR. Aber Probleme gab es immer noch. Wir wollten damals zum Beispiel eine sächsische Schallplatte machen, unter anderem mit Texten von Lene Voigt. Und da kam ein Brief vom Chef der Plattenfirma 'Litera' aus Berlin, der uns unmissverständlich schrieb: 'Sie können erst eine sächsische Schallplatte machen, wenn es eine Berliner Platte gibt.' Lene Voigt und Sächsisch waren nicht erwünscht."

Ein Jahr später gab es einen mittlerweile legendären "Lene-Voigt-Abend" in Leipzig …

"Ja, das war im März 1984, im 'academixer'-Keller. Das Programm hieß 'Unverwüstlich'. Ein Lene-Voigt-Programm mit Bernd-Lutz Lange, Katrin Hart, Gisela Oechelhäuser und mir. Die Leute waren absolut begeistert. Und alle weiteren Programme waren stets bis auf den letzten Platz ausverkauft ..."