Kirchen in der DDR: Hat die Kirche einen politischen Auftrag?
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09. Dezember 2010, 16:56 Uhr
Rolf-Michael Turek und Hans Wilhelm Ebeling waren in den 80er-Jahren Pfarrer in Leipzig. Während der eine seine Kirche der Bürgerbewegung öffnete, hielt der andere Politik und Kirche für unvereinbar.
Noch im Sommer 1989 musste sich Rolf-Michael Turek, Pfarrer der Markus-Gemeinde im Leipziger Stadtteil Reudnitz, bei einer "Vorladung zur Klärung eines Sachverhaltes" von einem Vernehmungsoffizier der Staatssicherheit vorhalten lassen: "Seien Sie doch vernünftig, Herr Turek, und nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihrem Kollegen, dem Pfarrer Ebeling."
Rolf-Michael Turek war seit Jahren fest in der Oppositionsbewegung integriert. Er war einer der Organisatoren der Kontrolle der Stimmenaus-zählung bei den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 gewesen und hatte sogar ein Zimmer in seinem Pfarramt der Bürgerbewegung zur Verfügung gestellt, in dem unbehelligt von der Staatssicherheit Flugblätter gedruckt und Aufrufe verfasst werden konnten. "Kirche hat auch einen politischen Auftrag", lautete Tureks Credo. Aber das war nicht unumstritten. Einige Leipziger Pfarrer waren gegen sein politisches Engagement. Einer der Wortführer war Pfarrer Ebeling.
"Ebeling hatte immer eine loyale Haltung zu unserem Staat"
Hans Wilhelm Ebeling war ein ernst zu nehmender Würdenträger in Leipzig - immerhin war er Pfarrer der weltberühmten Thomaskirche. 1976 hatte er das prestigeträchtige Amt angetreten. Probleme mit der Staatspartei hatte er nie gehabt. "Der Ebeling war ein Typ, mit dem konnte man Pferde stehlen", erinnert sich der für Kirchenfragen im Bezirk Leipzig zuständige SED-Funktionär Walter Jakel in einem Interview mit dem "SPIEGEL". "Ebeling hatte immer eine loyale Haltung zu unserem Staat." Die Staatssicherheit sah das genau so - sie stufte Ebeling als "nicht observierungsbedürftig" ein.
Kirche als politisches Instrument?
Ebeling war der Überzeugung, dass Politik in der Kirche nichts zu suchen habe. Die Kirche sei ein "heiliger Ort". Zudem schienen ihm große Teile der Bürgerbewegung nur aus Ausreisewilligen zu bestehen, die die Kirche für ihre Zwecke missbrauchen wollten. "Ich habe immer den Eindruck gehabt, wir werden benutzt", rechtfertigt sich Ebeling heute. "Ich kann es nicht verstehen, wenn man die Kirche zu einem politischen Instrument umwandelt. Und das hat man gemacht. Und dagegen habe ich mich gewehrt." Doch noch aus einem weiteren Grund war Ebeling politisches Engagement von Kirchenleuten suspekt - es störte die scheinbare Harmonie von Kirche und Staat. "Einige Leipziger Pfarrer setzen alles aufs Spiel, was wir in 20 Jahren an Privilegien für die Kirche erarbeitet haben", hielt er Rolf-Michael Turek und dem Pfarrer der Nikolaikirche, Christian Führer, vor. "Ihr treibt die Menschen in eine Situation hinein, die ihr nicht überschaut."
Die Thomaskirche "geregelter Weise geschlossen"
Im August noch hatte er drei Theologiestudenten, die in der Thomaskirche in einen Hungerstreik getreten waren, ultimativ zum Verlassen der Kirche aufgefordert. Als die Polizei am 2. Oktober 1989 vor der Thomaskirche Montagsdemonstranten niedergeknüppelte, war Pfarrer Ebeling zwar in seiner Kirche, jedoch die Tore waren um "18.30 Uhr geregelter Weise geschlossen" worden. Keiner der Hilfe suchenden Demonstranten fand Schutz im Gotteshaus.
Der Pfarrer unter der Rotkreuzfahne
Erst am 9. Oktober, unter dem Druck des Kirchenvorstandes, öffnete Pfarrer Ebeling die Tore seiner Kirche. Am Portal hatte er eine große Rotkreuzfahne anbringen und im Innern der Kirche eine kleine Sanitätsstation einrichten lassen. Und so ließ er sich dann auch fotografieren: Vor den Toren seiner Kirche, unter der Fahne des Roten Kreuzes. Das Foto ging weltweit durch die Presse. Und die Rede war stets vom heldenmütigen Pfarrer der Thomaskirche.
"Katastrophe von 40 Jahren Kommunismus"
In den Wochen nach der Grenzöffnung am 9. November gab Ebeling seine politische Zurückhaltung auf. Er begründete die DSU, die Deutsche Soziale Union, die sich für einen schnellen Anschluss der DDR an die Bundesrepublik aussprach. In flammenden Wahlreden sprach Ebeling jetzt von der "Katastrophe von 40 Jahren Kommunismus". Im Januar 1990 wurde Ebeling Entwicklungshilfeminister im Kabinett der letzten DDR-Regierung.
"Das sind alles Heiden und sie werden Heiden bleiben"
Zu seiner damaligen Haltung steht Hans-Wilhelm Ebeling, der heute als Rentner in der Nähe von Berlin lebt, unverdrossen: "Ich habe immer gesagt: Das sind alles Heiden und sie werden Heiden bleiben. Und wenn sich die Situation geändert hat, werden sie nicht mehr kommen. Und ich habe recht behalten. Heute sitzen bei den Gottesdiensten in der Nikolaikirche fünfzig Gläubige, während in die Thomaskirche bis zu 400 Besucher kommen." Pfarrer Rolf-Michael Turek, der im Herbst 1989 am "Runden Tisch" saß und heute als Seelsorger in einem Leipziger Krankenhaus arbeitet, konstatiert:
"Ebeling hatte sich aus der Solidargemeinschaft der Leipziger Pfarrer herausgelöst."
(Zitate aus: "Das Wunder von Leipzig", MDR 2009; "Immer loyal", DER SPIEGEL 11/1990; "Ohne soziale Gerechtigkeit keine geistige Einheit", Neuss-Grevenbroicher Zeitung, 02/2002.)