Zum 100. Geburtstag von Karl-Eduard von Schnitzler Vom Adelsspross zum Kommunisten
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11. Juni 2021, 10:45 Uhr
In der DDR nannte man den Chefkommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler, "Sudel-Ede". Der Grund: Schnitzlers Sendung "Der schwarze Kanal", in der er von 1960 bis 1989 hasserfüllt gegen die "menschenverachtende" Bundesrepublik polemisierte. Schnitzler wurde am 28. April 1918 geboren.
"Der Kapitalismus kann nicht die letzte Weisheit der Menschheit sein. Es kann nur der Sozialismus sein. Wir befinden uns im Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, auch wenn manche das heute noch nicht sehen." Diesen Standpunkt äußerte Karl-Eduard von Schnitzler zu seinem 80. Geburtstag am 28. April 1998. Wohlgemerkt: acht Jahre nach der deutschen Einheit! Es offenbart die Haltung eines überzeugten Kommunisten, der er bis zu seinem Lebensende blieb.
Feier zum 80. Geburtstag
Seinen letzten runden Geburtstag feierte er 1998 unter Gleichgesinnten in einem bodenständigen Lokal in Berlin-Zeuthen. Die anwesenden Gratulanten waren ihm wohlgesonnen, es gab viel Schulterklopfen und Anerkennung für das, was Schnitzler in ihren Augen geleistet hat – für ihre gemeinsame Sache, den Antifaschismus und die kommunistischen Ideale bis in die Gegenwart einzustehen. Auf dieser Geburtstagsfeier wurde gefilmt. Der Dokumentarist und bekannte Regisseur Winfried Junge ("Die Kinder von Golzow") wollte seinen filmischen Ziehvater und den Nestor des DEFA-Dokumentarfilms Karl Gass mit der Kamera für ein Porträt über ihn begleiten, als dieser Schnitzler zum 80. gratulierte. Denn Schnitzler und Gass waren beruflich seit Jahrzehnten miteinander verbunden. Sie kannten sich seit Ende der 1940er-Jahre, als sie beim Nordwestdeutschen Rundfunk ihre Karrieren begannen, bevor sie aus Überzeugung nach Ost-Berlin übersiedelten.
Bekanntester Journalist der DDR
Auf seiner Geburtstagsfeier sagte Schnitzler zu seinem Gratulanten Karl Gass den launigen Satz: "Mir hat eine ungarische Zigeunerin geweissagt, ich werde 103. Und ich werde in meinem 103. Lebensjahr von einem dummen, eifersüchtigen Ehemann erschossen." Ganz so weit schaffte er es nicht, er starb 2001 mit 83 Jahren in Berlin-Zeuthen. Vielen ist der Chef-Kommentator des DDR-Fernsehens jedoch bis heute in Erinnerung. Denkt man an Schnitzler, haben die meisten ein ganz bestimmtes Bild vor Augen - wie er Woche für Woche mit grauem Spitzbart, Brille und strenger Miene in seinem "Schwarzen Kanal" aus der Röhre blickte und gegen den Westen polemisierte. Wohl kaum ein zweiter Journalist der DDR erreichte den Bekanntheitsgrad Schnitzlers.
Auf dem Weg zum Kommunisten
Schnitzlers Lebenslauf ist nicht geradlinig und vor allem weniger schwarz-weiß, als er die Welt in seinem "Schwarzen Kanal" gern malte. Geboren wurde Schnitzler am 28.04.1918 in Berlin-Dahlem. Als jüngster Sohn von Julius Eduard von Schnitzler, einem Generalkonsul und königlich-preußischen Legationsrat, kommt Karl-Eduard zum adeligen "von" im Nachnamen, auf das er späterhin gern verzichtet hätte. Sein Bruder Hans ist zehn Jahre älter, fühlt sich zu den Kommunisten hingezogen und wird ideologischer Ziehvater des jüngeren Bruders. Karl-Eduard von Schnitzler trat mit 14 in die SAJ (Sozialistische Arbeiterjugend), 1937 dann in die verbotene KPD ein. Diese frühen ideologischen Prägungen blieben für ihn immer aktuell, er wurde Kommunist aus tiefster Überzeugung. "Ich habe die Entscheidung schon 1932 und 1937 getroffen, als ich in die SAJ und die KPD eingetreten bin, da war mir klar, ein anderes Deutschland muss her", sagte Karl-Eduard von Schnitzler auf seiner Geburtstagsfeier 1998.
Schnitzler und die BBC
Von 1940 an leistete Schnitzler Kriegsdienst bei der Wehrmacht, 1944 geriet er in britische Kriegsgefangenschaft, die allerdings einen wichtigen Karrieresprung für ihn bedeutet. Der gelernte Kaufmann, der ein Medizinstudium abgebrochen hatte, begann in London beim German Service der BBC seine journalistische Laufbahn. Unter anderem arbeitete Schnitzler für die Sendung "Hier sprechen deutsche Kriegsgefangene zur Heimat". Sein Chef, der berühmte Hugh Carleton Greene, nahm Schnitzler 1945 mit nach Deutschland. Dort brauchte Greene Unterstützung beim Aufbau eines neuen Senders nach britischem Vorbild – der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) mit Abteilungen in Hamburg und Köln entsteht.
Karriere in Westdeutschland
Greene erkannte das journalistische Talent und die Intelligenz des jungen Schnitzlers und setzte ihn ab 1946 als Leiter der politischen Abteilung und stellvertretenden Intendanten in Köln ein. Allerdings waren Schnitzlers kommunistische Überzeugungen, die er auch in manche Kommentare einfließen ließ, für Greene nicht lange tragbar. Zum 31. Dezember 1947 erhielt Schnitzler die Kündigung. Tatsächlich hatte Schnitzler während dieser Zeit gute Kontakte zum KP-Funktionär Max Reimann. Auf der Geburtstagsfeier erzählte er: "In Köln wurde ich dann von Max Reimann aufgegriffen, als ich aus England kam und ich sagte sofort: 'Ich möchte in die Partei!' Und er sagt: 'Du bist verrückt! Du untergräbst damit deine wichtige Stelle im NWDR.' Er hatte recht. Ich bin dann, als ich nach Berlin übergesiedelt bin, sofort in die SED – und heute in der DKP.“
Auf in den Osten
Seiner kommunistischen Überzeugung folgend, siedelt Karl-Eduard von Schnitzler Ende 1947 in die SBZ über, bald darauf fasst er Fuß als Moderator beim Berliner Rundfunk und dem Deutschlandsender. Mit Gründung des neuen Mediums Fernsehen macht er auch dort eine steile Karriere, bis er schließlich Chef-Kommentator des DDR-Fernsehens wurde. Den größten Bekanntheitsgrad erlangte er als Moderator und Autor des "Schwarzen Kanals", der im März 1960 zum ersten Mal auf Sendung ging und erst am 30.10.1989 eingestellt wurde.
Der "Schwarze Kanal"
Fast 30 Jahre lang moderierte er so verbissen wie scharfzüngig dieses Fernsehformat, stellte Woche für Woche die vermeintlichen oder auch tatsächlichen Fehler der "kapitalistischen und menschenverachtenden" Bundesrepublik an den Pranger. Er hielt bis zum Ende der DDR an seinem Kurs fest, obwohl sich die politischen Umstände in Zeiten von Annäherung der beiden deutschen Staaten und UNO-Mitgliedschaft der DDR auch geändert hatten. Das hatte zur Folge, dass seit spätestens Mitte der 1970er-Jahre die Zuschauerzahlen stetig sanken. Schnitzler und sein Hetzformat wurden nicht mehr ernst genommen und waren für die meisten nur noch unerträglich.
Der ewige Kalte Krieger
Bis ins hohe Alter hielt Karl-Eduard von Schnitzler an seine tiefverwurzelten Überzeugungen fest, Kritik am System der DDR oder gar an sich und seiner damaligen Rolle zu üben, gelang ihm nicht. Zu seinem 80. Geburtstag 1998 kamen viele alte Genossen und Kampfgefährten, um ihn zu feiern. Es wurde ihm sogar ein eigens für diesen Anlass geschaffener "Orden des Schwarzen Kanals" überreicht. Somit spielte seine Lebens-Sendung auch fast zehn Jahre nach ihrem Ende immer noch eine Rolle – und er selbst die Rolle des unverbesserlichen Kalten Kriegers, in der er sich sichtlich wohlfühlte: "Es kann nach dem Kapitalismus nur der Sozialismus kommen. Er muss nicht so aussehen, wie er bei uns war, aber ohne die DDR, ohne ihre Erfahrung, wird es nicht gehen. Deswegen ist die Herabsetzung der DDR – und manche Genossen haben die Neigung, auch in den abwegigsten Zusammenhängen der DDR einen Fußtritt zu verpassen, die sind im Irrtum begriffen."
Quellenhinweis und Sendehinweis: Die hier zitierten Aussagen von Karl-Eduard von Schnitzler stammen vom 28.04.1998, als er seinen 80. Geburtstag feierte. Der Dokumentarist Winfried Junge hielt die Atmosphäre dieser Feier fest. Aus Anlass seines 100. Geburtstages können Sie diese bisher unveröffentlichten Aufnahmen, die einen Blick auf den privaten Schnitzler ebenso wie auf seine politisch aufgeladene Gedankenwelt ermöglichen, am 08.05.2018, um 21:15 Uhr in der "MDR Zeitreise" sehen.
Über dieses Thema berichtet MDR Zeitreise auch im TV: 29.09.2019 | 22:25 Uhr