11.12.1971: Transitabkommen Fluchthelfer Manfred Matthies
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11. Dezember 2015, 10:03 Uhr
Manfred Matthies wird aus politischer Überzeugung zum Fluchthelfer: Mit präparierten Autos, falschen Papieren oder gegrabenen Tunneln hilft der Westberliner mehr als 90 Menschen beim Verlassen der DDR. Geld hat er, anders als viele andere, damit nicht verdient. Doch 1972 wird er bei einer Aktion festgenommen und zu 13 Jahren Haft in Bautzen verurteilt. Die Folgen dieser Strafe spürt er noch heute.
Bautzen II - für Manfred Matthies ein Ort, der ihn nie wieder los lässt. Vor 42 Jahren war der heute 74-Jährige dort inhaftiert. Drei Jahre Isolationshaft, die er mit Ängsten und Panikattacken bezahlt - bis heute.
"Nach meiner Entlassung hab ich manchmal in meiner Wohnung gesessen und bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, da mal die Tür aufzumachen. Das waren alles diese Sachen, dass wenn so viele Menschen da sind – dass ich da panische Anfälle kriege, angefangen habe zu Schwitzen, das Herz raste. Ich wusste gar nicht wie mir geschieht."
Manfred Matthies wird 1941 in Magdeburg geboren. Er macht eine Lehre als Schiffsbauer, will ein Studium beginnen. Doch ohne den Eintritt in die SED und ohne eine Zeit bei der NVA bleibt ihm eine berufliche Weiterbildung verwehrt.
1959 flieht er mit seiner Familie nach West-Berlin. Gerade mal 18 Jahre ist Manfred, er genießt seine neue Freiheit, trampt durch Europa und studiert Design. Der Bau der Mauer 1961 trifft Manfred.
Fluchthelfer aus Überzeugung
Im August beteiligt er sich an der Gründung einer studentischen Fluchthilfegruppe an der Meisterschule für Kunsthandwerk. Zusammen mit anderen Studenten beteiligt sich Matthies an verschiedenen Fluchthilfeaktionen. Er fälscht Pässe, schachtet Tunnel aus. Seit dem Transitabkommen von 1971 baut er Autos für den illegalen Personentransfer um.
Manfred Matthies verdient an diesen Aktionen nichts, er handelt aus Überzeugung und verhilft er so etwa 90 Menschen in die Freiheit.
"Ich hab ja im Westen gestanden. Das war eine wahre Freude, wenn ich gesehen habe, der Wagen kommt durch die Grenzkontrolle. Einmal war so ein Fall, da sprang das Auto nicht an. Und ich dachte: 'Scheiße, was macht denn der jetzt?' - Aber nee, die Grenzer haben den angeschoben. Haben das Auto praktisch noch über die Grenze gebracht. Ja, sowas ist natürlich unheimlich witzig, wenn du da stehst und sagst: 'Kieck mal einer an'".
Verhaftung und Isolationshaft
Doch Ende Dezember 1972 läuft es anders: Matthies muss selbst ans Steuer, der eigentliche Fahrer ist ausgefallen. An der Grenze wird der junge Mann plötzlich angehalten und verhaftet. Nach einem dreiviertel Jahr U-Haft in Berlin-Hohenschönhausen fällt das Urteil: Für 13 Jahre soll er in den gefürchteten Stasiknast Bautzen II. Besonders schlimm sind für ihn die Monate in Isolationshaft.
"Bei so 'nem Knast da denkt man immer, das ist mit Gewalt und so Sachen. Nee, die haben keine Gewalt gemacht. Die haben einfach die Tür nicht aufgemacht. Wenn du hier in so einer Zelle monatelang hockst, ja – das ist die Strafe. Das ist die Härte - ja. Und du kannst nichts machen – nichts machen, gar nichts. Du kannst klopfen, du kannst schreien – nichts. Es passiert nichts."
Späte Ehrung
Doch Manfred Matthies muss nicht die komplette Strafe absitzen, er kommt im Zuge des innerdeutschen Häftlingsfreikaufs nach drei Jahren frei. Sein Engagement hat er nie bereut. Am 17. November 2014 hat er für seine Verdienste bei einem Festakt in Prag den "Memory of Nations Award" überreicht bekommen. Bis heute gibt Manfred Matthies in der Gedenkstätte Bautzen seine Erfahrungen als Besuchsreferent an die jüngeren Generationen weiter.
Stichwort Transitabkommen Es war der erste Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Das Transitabkommen erleichterte Bundesbürgern die Reise nach Westberlin und den Westberlinern einen Besuch in Ostberlin. Ab sofort durften nur noch bei begründetem Verdacht auf Schmuggel oder Devisenvergehen das Gepäckt kontrolliert werden. - Die Bundesrepublik zahlte die Gebühren für Visa und Schienennutzung ihrer Bürger - zwischen 1972 und 1975 knapp 250 Millionen DM. Insgesamt überwies die Bundesregierung bis 1989 über zwei Milliarden DM für die Instandhaltung der Transitwege - regelmäßige Deviseneinnahmen für den Staatshaushalt der DDR.
Memory of Nations Awards Die Memory of Nations Awards werden den Menschen verliehen, welche die umwälzenden Augenblicke des vergangenen Jahrhunderts wirklich auf der nackten Haut verspürten und durch ihre Handlungen bewiesen, dass Ehre, Freiheit und menschliche Würde keine leeren Worte sind. Die diesjährigen Memory of Nations Awards hatten erstmals internationalen Charakter. Nominiert waren zwanzig Persönlichkeiten aus Tschechien, der Slowakei, Deutschland, Ungarn und Polen. Die Auszeichnung erhielten fünf von ihnen, unter anderem Manfred Matthies. Alle nominierten Persönlichkeiten verbindet der 25. Jahrestag nach dem Fall des Kommunismus in Mitteleuropa, die Erfahrung des Lebens in der kommunistischen Totalität und der aktive Widerstand gegen diese.