Sigmund Jähn Mit Fahnen, Wappen und Medaillen ins All
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16. Februar 2010, 10:29 Uhr
Am 26. August 1978 startete im Weltraumbahnhof Baikonur die Rakete Sojus 31. Mit an Bord der "Interkosmos"-Mission war Sigmund Jähn, der erste und einzige Fliegerkosmonaut der DDR. Am 21. September 2019 starb Sigmund Jähn.
Am 26. August 1978 startete im Weltraumbahnhof Baikonur die Rakete Sojus 31. An Bord der "Interkosmos"-Mission: der sowjetische Kommandant Waleri Bykowski, Sigmund Jähn, der erste und einzige Fliegerkosmonaut der DDR, sowie der bekannteste Fotoapparat des Landes: die Multispektralkamera MKF 6. Die Entwicklungskosten der "Weltspitzenleistung" - 82 Millionen Mark - waren der Preis für das Ticket zur Raumstation Salut 6.
Doch Jähn brachte nicht nur die Kamera mit. Ein Koffer mit DDR- und SED-Devotionalien - Fahnen, Wappen, Medaillen, Wimpel, ein Porträt Honeckers, die Miniaturausgabe einer Karl-Marx-Schrift - musste mit an Bord, um den Weltraumflug auch irdisch nutzbar zu machen. Das Fernsehen der DDR übertrug live, das Zentralorgan "Neues Deutschland" jubelte vom "ersten Deutschen" im All. Das war insofern überraschend, als dass seit Jahren jeder Bezug auf Deutschland aus der offiziellen Propaganda getilgt war.
Doch das war nichts gegen das, was sich nach Jähns Rückkehr auf sozialistischen Boden abspielte. "Es gibt nur zwei anstrengendere Angelegenheiten als den Raumflug selbst: die Ausbildung davor und die Festlichkeiten danach." Die Erfahrungen, die Kommandant Bykowski mit dem Wiederkehren schon gemacht hatte, standen Sigmund Jähn noch bevor.
1976 war Jähn ins "Sternenstädtchen" Swjosdny Gorodok bei Moskau versetzt worden. Zusammen mit seiner Frau Erika und der damals 10-jährigen Tochter Grit zog er um und bereitete sich auf das größte Abenteuer seines Lebens vor. Er erinnert sich genau an den Augenblick des Starts:
Die Stimme des Flugleiters im Kopfhörer klang fast feierlich: 'Podjom - Aufstieg!'
Es war zuerst, als würde es in weiter Ferne donnern. Das dumpfe Grollen kam schnell näher und näher. Die Rakete begann zu vibrieren, als zitterte sie, so schnell wie möglich vom Krater des Vulkans wegzukommen, auf dem sie saß.
Ich sah es zwar nicht aus unserer Kapsel 50 Meter über der Erde, aber Augenzeugen berichteten mir später von diesem einmaligen Schauspiel.
Es sah aus wie ein Feuer speiender Drachen, der ein Meer aus Flammen und Rauch ausstieß. Rot, gelb, blau und violett tobten die Strahlen aus den fünf Triebwerken.
Ein faszinierender Anblick. Meine Pulswerte waren erhöht. Aber dieses Herzklopfen war keine Angst, eher anregend.
Und was ich dann sah, war totale Glückseligkeit: Unsere Erde, in leuchtendes Blau gehüllt. Einfach traumhaft.
Der erste Deutsche im Weltall
Über Nacht wurde Sigmund Jähn zum Star. Man reichte Jähn von einer Jubelveranstaltung zur nächsten weiter, überhäufte den Raumfahrer mit Orden, Auszeichnungen und Ehrentiteln. Baumpflanz-Aktionen vor fertig gestellten Neubauten gehörten dabei ebenso zum Programm wie die Umbenennung von Schulen und Straßen: viele Städte besaßen nach dem Raumflug eine "Allee der Kosmonauten." Obwohl Sigmund Jähn überall die Sympathien der Bevölkerung gewiss waren, schienen dem bescheidenen und zurückhaltenden Vogtländer die Feierorgien eher unangenehm zu sein.
Die Presse jedoch ließ sich von der Glorifizierung des Raumfluges nicht abbringen. Einige Details, die am Lack der "Interkosmos"-Mission hätten kratzen können, wurden der Öffentlichkeit verschwiegen. So war die Landung der Raumkapsel in der Steppe Kasachstans alles andere als weich gewesen. Der "sportliche Aufschlag", so Jähn später, brachte dem Fliegerkosmonauten ein bleibendes Rückenleiden und die Anerkennung als Teilinvalide ein. Die sichtbaren Spuren an der Kapsel wurden auf den Pressefotos retuschiert.
1983 flog Ulf Merbold, der erste Westdeutsche, in den Weltraum. Im selben Jahr konnten Sigmund Jähn und Waleri Bykowski schon auf den fünften Jahrestag ihres Startes anstoßen. Die SED-Bezirkszeitung "Freie Presse" berichtete stolz vom Treffen der Kosmonauten in Morgenröte-Rautenkranz. Das Foto der Szene im Wohnzimmer Vater Jähns jedoch musste erneut vom Retuscheur bearbeitet werden: zu deutlich war auf der Schrankwand die Statue "Schwerter zu Pflugscharen", das Symbol der unabhängigen Friedensbewegung der 80er Jahre in der DDR, zu erkennen.
Sigmund Jähn, der erste deutsche Kosmonaut, starb am 21. September 2019.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV:
LexiTV | 13.02.2017 | 15:00 Uhr
MDR Zeitreise spezial | 12.02.2017 | 22:30 Uhr