BND sammelt in einer Geheimoperation Witze aus der DDR DDR-Witze: Darüber lacht die DDR - und der BND macht Notizen
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09. November 2021, 17:58 Uhr
Im November 1977 wandert die erste, streng geheime Akte der Geheimoperation "DDR-Witz" von Ost nach West. Pünktlich zum Karnevalsauftakt am 11. November übergibt der BND die kostbare Witze-Sammlung dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt mit dem Vermerk "Vertraulich". Zwölf Jahre lang sammeln zahlreiche Agenten DDR-Scherze, um die Welt der Witze im Arbeiter- und Bauernstaat zu erfassen und auszuwerten.
Kennen Sie den? "Was haben eine Konsumverkäuferin und ein Kosmonaut gemeinsam? Beide kennen den leeren Raum." Über diesen und andere Witze lachten die Bürger in der DDR. Doch oft nur hinter verschlossenen Fenstern und Türen, denn Witze über Staat und Staatsmänner zu erzählen, war in der DDR nicht ungefährlich.
Die DDR lacht - und der BND macht Notizen
In den Zeiten des Kalten Krieges gehört natürlich auch die DDR zu den Zielgebieten des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes. Der Geheimdienst lässt nichts unversucht, die Geheimnisse des real existierenden Sozialismus zu ergründen. Wie stehen die DDR-Bürger zu Honecker und Co.? Und was geht in den Köpfen der Menschen vor? Das herauszufinden, scheint schwieriger zu sein, als manch Militärgeheimnis zu lüften. Mitte der 70er-Jahre hat jemand in der BND-Zentrale in Pullach die verblüffende Idee, politische Witze von "drüben" nachrichtendienstlich zu erfassen und auszuwerten.
Gleichwohl offenbart der politische Witz in totalitären Systemen mitunter Missstände (...) drastischer und unmittelbarer, als ausgefeilte Analysen dies vermögen.
Die BND-Agenten sollen streng konspirativ die Welt der Witze im Arbeiter- und Bauernstaat erfassen und auswerten. So sammeln sie fast ein Jahr lang DDR-Witze, bis die streng geheime Akte erstmals im November 1977 von Ost nach West wandert. Dieses Dossier ist gerade mal zwei Seiten stark und enthält 14 Witze. Aber wie kommen die Agenten an die Witze, die der BRD-Regierung ein Stimmungsbild des sozialistischen Nachbarn liefern sollten?
Da ist ja nicht jemand aus Westdeutschland herumgereist und hat in Bars gesessen und gewartet, bis ihm Witze erzählt werden …
Eine Quelle ist die Hauptstelle für das Befragungswesen des BND. Deren Mitarbeiter befragen unter anderem in den Notaufnahmelagern der BRD Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR. Sogenannte "Zugbefrager", meist sind das Frauen mittleren Alters, horchen bei anscheinend harmlosen Schwätzchen ihre Mitreisenden aus. Auch Bundesbürger, die Besuch aus der DDR haben oder selbst auf Verwandtschaftsbesuch im Osten sind, werden nach Witzen gefragt.
Witze erzählen in der DDR - nicht immer ungefährlich
Die Befrager bekommen detaillierte Anweisungen und werden speziell geschult, um das Vertrauen der Zielpersonen zu gewinnen. Denn noch in den 50er- und 60er-Jahren landeten DDR-Bürger für politische Witze nicht selten im Gefängnis. Anklage: Verstoß gegen den Paragraphen 19 "Staatsgefährdende Propaganda und Hetze".
Was ist Glück? – In der DDR zu leben.
Was ist Pech? – Dass wir dieses Glück haben.
Jener Paragraph war es auch, der 1961 in Leipzig dem Studentenkabarett um Peter Sodann zum Verhängnis wurde. Anlass war ein Sketch, der die Mangelwirtschaft auf die Schippe nahm. Als strafverschärfend galt, dass Sodann dabei die Stimme von Walter Ulbricht nachahmte. Der Staatsanwalt forderte zehn Jahre Haft. Das Urteil lautete schließlich ein Jahr und zehn Monate. Nach neun Monaten Untersuchungshaft wurde das Strafmaß aufgrund zweier Erlasse vom damaligen DDR-Chef Walter Ulbricht in vier Jahre Bewährung umgewandelt. All das für ein paar Witze.
Auch SED-Genossen lästern über die Mangelwirtschaft
In den 70er-Jahren werden Witzeerzähler dann nicht mehr mit Gefängnis bestraft. Sonst wären vermutlich auch einige Reihen beim SED-Parteitag leer geblieben: Laut der Protokolle einer speziellen BND-Abhöraktion kursien auch unter den Genossen einschlägige Witze.
Dresdner Neufassung des Erlkönigs:
Was schleicht nachts durch Ungarns Wiesen?
Es sind die Sachsen, die wolln nach Gießen.
Eine weitere Quelle sind mitgehörte Telefonate und Briefe aus der DDR in den Westen. Hier liest der BND zwar in wesentlich geringerem Maßstab mit, als die Kollegen im Osten. Aber es konnte durchaus sein, dass ein Brief zweimal in Ost und in West geöffnet wurde, bevor er seinen endgültigen Empfänger erreicht. Insgesamt sammelt der BND zwischen 1977 und 1989 Tausende DDR-Witze, um sie aufzuklären. 657 davon gelangen auf geheimdienstlichen Wegen bis auf den Schreibtisch des Bundeskanzlers. Aus den bislang freigegebenen Akten ist ersichtlich, dass sich die BND-Auswerter in Pullach auch vom Mauerfall am 9. November nicht aus der Ruhe bringen ließen.
Die Termine müssen gehalten werden und so stellen sie, wie jedes Jahr zum 11. November, das aktuelle DDR-Witze-Dossier für Bonn zusammen. Die letzte DDR-Witze-Akte mit dem Titel "Politische Witze, Parolen und andere 'Fundsachen' aus der DDR" übergeben sie am Rosenmontag 1990 an das Bundeskanzleramt. Neben über 30 Witzen enthält die Akte auch drei Seiten mit ausgewählten Parolen der "Oktoberrevolution 1989".
Nach dieser letzten Übergabe löste der BND die Abteilung "Aufklärung DDR" auf. Im Jahr 2021 werden voraussichtlich neue Akten zur Geheimoperation "DDR-Witz" zugänglich sein.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: DDR-Witze und der BND | 09.11.2021 | 22:10 Uhr