PR-Desaster zur Währungsunion "Der kluge Ludwig": Zeichentrick-Serie sorgt für Ost-West-Zoff
Hauptinhalt
31. Juli 2020, 12:24 Uhr
Sie sollte die "Krönung" einer 25 Millionen D-Mark teuren Werbe- und Informationskampagne der Bundesregierung zum Start der Währungsunion sein. Und entwickelte sich zum kompletten Desaster: die Trickfilmserie "Der kluge Ludwig". Diese Filme seien ein Schlag "unter die Gürtellinie" jedes DDR-Bürgers, erklärte der DDR-Regierungssprecher seinen verdutzten West-Kollegen. Was war falsch gelaufen?
Alles beginnt so verheißungsvoll. Als am 29. Juni 1990 Helmut Kohls Regierungssprecher Hans "Johnny" Klein gemeinsam mit seinem DDR-Kollegen, Matthias Gehler, die PR-Kampagne zum Start der "Sozialen Marktwirtschaft" in der DDR vorstellt, preist er vollmundig das entstandene Paket an. Doch insbesondere ein Teil hat es ihm angetan.
Das Schmuckstück in dieser Kampagne ist ein Zeichentrickfilm, den wir Ihnen … ach, noch nicht zeigen können. Aber ich sage Ihnen: Das Schmuckstück ist ein Zeichentrickfilm mit dem Titel 'Der kluge Ludwig'.
Eine satte Million D-Mark lässt sich das Bundespresseamt die geplante Serie (acht mal drei Minuten) samt Comic kosten. Hier geht es schließlich darum, das wirtschafts- und sozialpolitische Leitbild der Bundesrepublik zu verkaufen, von dem der DDR-Bürger bislang meist nur die prägnante Formel kennt: "Wohlstand für alle". Ihr Erfinder ist zugleich Hauptfigur der Serie "Der kluge Ludwig": Ludwig Erhard, mythenumwehter Bundeswirtschaftsminister, Bundeskanzler und einer der Architekten des berühmten "Wirtschaftswunders". Eine Leitgestalt der Westdeutschen und ihres Erfolgsmodells. Und so scheint es aus Bonner Sicht nur folgerichtig, dass es der "kluge Ludwig" sein muss, der den Ostdeutschen das historisch überlegene Prinzip "Soziale Marktwirtschaft" erklärt.
Ein dramaturgischer Fehlgriff - oder wie sehr "dackelt" der Ostdeutsche
In der Serie steht Ludwig eine Assistentin zur Seite: Dackeldame Helene. Eine Kreation, die sich schon bald als ganz großes Eigentor erweist. Denn an ihr demonstriert der Trickfilm-Ludwig seine ganze paternalistisch-bräsige Überlegenheit. Mit einem Fingerschnips wirft er der hechelnden Dackeldame ein Mark-Stück zu. Und die dümmliche Assistentin - ganz Dackel - beißt zu. "Aua, ist die aber hart." - Darauf entgegnet Ludwig: "Ja, die D-Mark ist eine harte Währung, auf die man gut aufpassen muss."
Dialog im Film "Der kluge Ludwig"
Ludwig: Wenn Staat, Unternehmer und Verbraucher mehr ausgeben, als sie erarbeiten, also zu viele Schulden machen, dann stimmt das Verhältnis von Geld und Wirtschaftskraft nicht mehr. Dann wird die D-Mark weniger wert.
Dackel Helene: Wenn ich aber trotzdem weiter so viel Hundefutter kaufen will, wäre es nicht einfacher mehr Geld zu prägen? Damit ich mehr verdiene und mir mein Hundefutter ohne Schulden leisten kann?
Der kluge Ludwig: Halt. Das darf die Bundesbank nicht. Dann gibt es Geldentwertung. Und die D-Mark wird weich. Nur eine harte Mark führt zu mehr Wohlstand.
Aua, macht es an dieser Stelle sofort bei den Journalisten - ob Ost- oder West-Medium. Noch haben sie nicht einmal den Film gesehen, sondern nur Zeichnungen und diesen Dialog, da macht sich schon die Ahnung breit: Hier droht etwas ganz gehörig in die Binsen zu gehen. In der Berliner Zeitung etwa schüttelt man ob des "infantilen Streifens" den Kopf und fühlt sich an Zeiten plattester Propaganda zurückerinnert, "die zudem eine wenig schmeichelhafte Bewertung des geistigen Horizonts der DDR-Bürger verrät." Ganz ähnlich geht es DDR-Regierungssprecher Matthias Gehler, als er eine erste Probe des "Schmuckstücks" zu Gesicht bekommt:
Die kamen in mein Büro, haben den Film eingelegt und waren ganz erwartungsvoll, wie ich wohl darauf reagiere. Und ich wusste erst mal gar nicht: Wollen die mich verscheißern? Aber es war wirklich von denen ganz ernst gemeint. Das hat mich emotional schon sehr bewegt. Denn das war unter der Gürtellinie. Für uns, die wir ernst genommen werden wollten.
"Öl ins Feuer" seitens Bonn
Der Plan des Bundespresseamtes, die Serie in mindestens acht Folgen nach den Sommer-Ferien im DDR-Fernsehen auszustrahlen, direkt im Anschluss an die Aktuelle Kamera, erscheint als nicht hinnehmbarer Affront. Merken die Bonner Kollegen nicht, was sie da für "Öl ins Feuer" gießen?
Wir sind ja nicht blöd gewesen. Und diese Serie, die hätte sowas von ins Gegenteil umgeschlagen. Die war geeignet, eine Revolution anzuzünden. Ich hab dann Lothar de Maiziere gesagt, was da auf uns zukommt.
Lothar de Maizière reagiert und lässt Hans Bernd Czajkowski vom DDR-Medienministerium verkünden, der Dackel sei als Dialogpartner von Ludwig Erhard nicht hinnehmbar, da man ihn - ob gewollt oder ungewollt - unweigerlich mit dem DDR-Bürger gleichsetze. Überhaupt erscheine die heitere Serie über die Segnungen der Marktwirtschaft in der aktuellen Situation mehr als unpassend. In der DDR gibt es zu diesem Zeitpunkt bereits über eine Million Kurzarbeiter. Und jede Woche kommen 25.000 neue Arbeitslose hinzu.
Lieber kein Rechtsstreit ...
In Bonn nimmt man die Abfuhr verschnupft zur Kenntnis. Und teilt mit: Sicher werde die Ausstrahlung nur vertagt. Um nicht ganz entblößt dazustehen, schiebt man wenig später noch verfassungsrechtliche Bedenken vor. Bei einer DDR-weiten Ausstrahlung könnte die Opposition kurz vor den anstehenden Wahlen wegen unzulässiger parteipolitischer Werbung klagen. Einem solchen Rechtstreit wolle man lieber vorab aus dem Wege gehen.
Dass dies eine Schutzbehauptung ist, wie seinerzeit schon von vielen Medien vermutet, wird drei Jahre später der Nachfolger von Hans "Johnny" Klein im Amt, Regierungssprecher Dieter Vogel, bestätigen:
Der Dackel Helene, das war so bißchen oder sollte sein, Versinnbildlichung der Menschen in der DDR. Wir haben dann festgestellt, das habe auch ich gemerkt, dass dieser Film die Gefühle vieler Menschen in Ostdeutschland vielleicht doch etwas verletzt hätte.
Gescheiterter Versuch eines Revivals
Was 1990 trotz breiter Berichterstattung über den Eklat kaum noch jemand erinnert: Die Idee zum "klugen Ludwig" kam alles andere als aus dem medienpolitischen Nichts. Denn die Serie dockte vielmehr an erfolgreiche PR-Strategien der 1940er- und 1950er-Jahre direkt an. Hier werden die Werbe- und Symbolfiguren "Fritz und Otto" als PR für die Darstellung des erfolgreichen Aufbaus eines wirtschaftspolitischen Systems eingesetzt. In einer gleichnamigen Serie von Filmen und Comics werden die Zusammenhänge von Ludwig Erhards Politik der "Sozialen Marktwirtschaft" in "lockeren" Szenen und Dialogen vor Augen geführt. Otto übernimmt dabei stets den etwas begriffsstutzigen, späteren "Dackel Helene"-Part.
Dialog im Film "Fritz und Otto im Ruderboot" (1953)
Otto: Sag mal Fritz, was ist das eigentlich "Soziale Marktwirtschaft"?
Fritz: Ganz einfach Otto, das ist die Form der Wirtschaft, die uns seit der Währungsreform wieder hochgebracht hat.
Otto: Ja, schön und gut, aber warum ist die denn sozial?
Fritz: Weil wir alle davon den Vorteil haben. Auch du und ich. In der Marktwirtschaft kann sich ein Betrieb nur halten, wenn er immer bessere und billigere Waren rausbringt. Davon haben wir alle den Vorteil.
Otto: Falls wir das Geld haben, uns was zu kaufen.
Fritz: Das ist in jeder Wirtschaft so. Nur wer Geld hat, kann kaufen. Nur wer verdient, kann ausgeben.
Otto: Aber in der sozialistischen Planwirtschaft diktiert der Staat die Preise. Da kannste kaufen.
Fritz: Was von oben zugeteilt wird. Das ist wenig und taugt nichts. Und was es frei zu kaufen gibt, ist sündhaft teuer.
Otto: Ja, aber…
Fritz: Aber Otto, haben wir doch alles schon gehabt. Denk doch mal an die Zeit vor 1948. Schlange stehen. Schwarzmarkt. Das ist der Erfolg der Zuteilung.
Otto: Stimmt. Erst seitdem unser Geld wieder Wert hat, können unsere Frauen mit dem Inhalt unserer Lohntüte wieder etwas anfangen.
Fritz: Auch das ist in Wirklichkeit eine große soziale Leistung.
Otto: Na ja, hast ja Recht, wenn man so alles in allem nimmt.
Initiiert werden die Filme und Comic-Serien damals von einem Zusammenschluss von Unternehmern: der Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs. Offiziell nennt sie sich "Die Waage". Es ist der erste und über lange Zeit recht erfolgreiche Versuch, die Interessen des freien Unternehmertums in der Öffentlichkeit zu stärken, um propagandistisch den erstarkenden Gewerkschaften etwas entgegenzusetzen.
Die Kernbotschaft dabei ist: Verliere nie das Maß. Bedenke: Wer höhere Löhne fordert, kann dies nur, wenn der "Laden brummt", die Einnahmen stimmen. Unternehmen müssen wachsen. Im "Klugen Ludwig" kommt diese alte Botschaft vom Maßhalten noch mal neu auf den Tisch. Diesmal, so der Eindruck, allerdings weil im monetär gesattelten Westen offensichtlich einige die Befürchtung hegen, ihr Prinzip werde ausgehöhlt - wenn man nicht höllisch aufpasst oder einen "Ludwig" als Mahner in ostdeutsche Fernseh-Haushalte schickt.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR Zeitreise | Ersehnt und verflucht – die Westmark erobert den Osten | 28. Juni 2020 | 22:10 Uhr