Allein vor Bier und Bauernfrühstück Nach Einführung der D-Mark: Kneipen ohne Kunden
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26. Juni 2020, 15:38 Uhr
In der Nacht vor der Währungsumstellung waren in den Gaststätten der Republik noch große "D-Mark-Partys" gefeiert worden. Als die D-Mark dann aber da war, blieben die Leute lieber zu Hause.
"Ich wollte 'Asbach' haben und natürlich auch in D-Mark bezahlen. Aber was kriege ich? 'Goldkrone'!", maulte ein Gast in einem Ostberliner Ausflugslokal. "Und det Bier, der olle Henkeltopp, kostet 3 Mark West, wie es heute so ist", schimpfte eine Frau und setzte hinzu: "Also wenn das so weitergeht, sieht’s schlimm aus." Es war Sonntag, der 1. Juli, und die "Speisen und Getränke" waren seit einigen Stunden mit D-Mark-Preisen versehen.
Für einen halben Liter Bier, der bis zum vorhergehenden Tag um die 90 Pfennige gekostet hatte, wurde nun mehr als das Dreifache verlangt. Eine Tasse Kaffee kostete nicht mehr wie gewohnt um die 80 Pfennige, sondern 1,60 D-M und für ein Bauernfrühstück, einst schon für 2,30 DDR-Mark zu haben, mussten jetzt 9,90 D-Mark hingeblättert werden. Andernorts waren die Preissteigerungen jedoch noch weit kräftiger ausgefallen.
Zufrieden zeigten sich in dem Ostberliner Ausflugslokal nur die Gäste aus dem Westen der Stadt – für sie waren die Preise vergleichsweise günstig. Und genau so sah es auch die Chefin des Lokals, wie sie es 1990 in der DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera" sagte: "Die Preise sind nicht zu hoch. Vorher waren wir nur zu billig. Und da wollen wir uns auch anpassen."
"D-Mark-Partys" überall in der Republik
In der Nacht zum Sonntag, dem Tag der Währungsumstellung, war in den Gaststätten der Republik der Abschied von den "Aluchips" ausgiebig gefeiert worden. Geld spielte keine Rolle mehr und Wirte und Gaststättenbetreiber, die die Sperrstunde weitestgehend ignoriert hatten, machten noch einmal ein gutes Geschäft. Stark besucht waren auch die "Währungspartys" in Jugendclubs und Diskotheken. Und statt Bier gab es überall Sekt, Marke "Rotkäppchen". Bis Mitternacht versuchten die Ostdeutschen alles Geld auszugeben, das sie nicht für den automatischen Umtausch auf dem Konto gelassen hatten. Denn am nächsten Tag sollte es nur noch seinen Materialwert haben.
"Bei uns brannte die Hütte"
Volles Haus meldete auch das Restaurant im Berliner Fernsehturm, einem Spitzenrestaurant der DDR-Hauptstadt. "Der Laden war proppevoll", erinnert sich die Kellnerin Brigitte Lichtenberg an die Nacht, bevor die D-Mark in den Osten kam. "Die Westdeutschen und Westberliner hatten unten auf dem Alexanderplatz ihr Westgeld in DDR-Geld umgetauscht und aßen und tranken bei uns für Pfennige. Nie hab ich so viel Krimsekt und Kaviar serviert. Der Malossol, ein Beluga-Kaviar, kostete bei uns 18,90 Mark der DDR. Für die Gäste aus dem Westen waren das bei dem damaligen Schwarzmarktkurs nicht einmal zwei D-Mark." Doch auch die DDR-Bürger hielten sich nicht zurück - es wurde alles Geld auf den Kopf gehauen. "Die Hütte brannte", sagt Brigitte Lichtenberg. Am Sonntag aber blieb unser Laden leer. Kein einziger Gast!"
Es war schrecklich. Alles lief zum Chinesen, zum Italiener, zu McDonalds. Keiner wollte mehr unsere klassische Spitzengastronomie. Nicht für seine neue D-Mark jedenfalls.
Westgeld eine Art Heiligtum
Ab dem Tag der Währungsumstellung blieben nicht nur die Gäste im Restaurant im Fernsehturm aus – in der gesamten Republik warteten die Wirte mehr oder weniger vergeblich auf Kundschaft. "Das Geschäft ist sehr zurückgegangen", klagte die Besitzerin der Kneipe "Am Töpferberg" im Kurort Bad Schmiedeberg, obwohl sie ihre Preise "sehr moderat" gestaltet und das Lokal in den Monaten zuvor renoviert hatte. "Die Leute halten ihr Geld fest, und das kann man ihnen sicher auch nicht verdenken", sagte sie 1990 in DDR-Fernsehen.
"Früher ist man schnell mal in eine Gaststätte rein oder hat sich 'ne Bockwurst am Imbissstand gekauft. Das hat man mit der D-Mark dann lange Zeit nicht mehr gemacht", erinnerte sich eine Verkäuferin aus Stralendorf in Mecklenburg in einem Hörfunkbeitrag von Deutschlandradio Kultur im Jahr 2005 an die Währungsunion.
Jeder hat gedacht: Du kannst doch nicht vom Westgeld essen gehen! Denn das Westgeld war ja immer so eine Art Heiligtum gewesen.
Wochen der Einsamkeit
Statt "eines kollektiven Freudenfestes folgten dem großen Tag Wochen der Einsamkeit", schrieb der Journalist Jan Wätzold 2005 in der "Mitteldeutschen Zeitung". "In meiner zuvor stets überfüllten Stammkneipe saß ich an manchen Abenden allein vor Bauernfrühstück und Bier. Für Dienstleistungen wollte niemand Westgeld berappen – keiner meiner Landsleute schien sich von der Intershop-Mentalität trennen zu können."
Dieses Thema im Programm: MDR ZEITREISE | 28. Juni 2020 | 22:10 Uhr