Das Erbe der Kombinate Rettende Alternative Mitarbeiterbeteiligung
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17. März 2020, 11:04 Uhr
In Chemnitz wehren sich die Arbeiter gegen die Privatisierung ihres Betriebes und gründen die Mitarbeitergesellschaft "UNION Werkzeugmaschinen GmbH Chemnitz".
Sie war das Kleinod im Kombinat "Fritz Heckert", hatte Produktionsstätten in Chemnitz und Gera mit insgesamt 3.600 Beschäftigten. Die Spezialität der Union: Horizontalbohr- und Fräswerke. Das Meiste ging in den Export, die Kunden saßen in Osteuropa, aber auch im Westen. Als die Treuhand sich 1991 massiv an die Aufteilung und dann Privatisierung der Kombinate machte, war die Union als "Perle" ganz oben bei "Fritz Heckert" auf der Liste.
Albtraum Privatisierung
Nach der Privatisierung ging die Union durch die Hände von vier westdeutschen und Schweizer Investoren und schlitterte von einem Debakel ins nächste. Die erste Pleite kam 1992. Danach schien es etwas ruhiger zu laufen, auch wenn es immer weniger Arbeitsplätze gab. Als die "Union" in den Verbund der "Bremer Vulkan" kam, dachten viele, nun sei das Gröbste überstanden. Die Belegschaft war an den beiden Standorten Gera und Chemnitz auf 136 Mitarbeiter geschrumpft. Doch schon 1996 kam die nächste Hiobsbotschaft: Die Pleite der "Bremer Vulkan" drohte die Chemnitzer "Union" endgültig mit in den Abgrund zu reißen. Die Belegschaft befürchtete, dass der ostdeutsche Standort geschlossen und ausgeschlachtet wird.
Betriebsbesetzung als Notbremse
Die Mitarbeiter hatten schon nach der ersten Pleite 1992 vorübergehend ihren Betrieb besetzt. Aber diesmal war es ernster und dauerte insgesamt fünf Monate. Die Beschäftigten bewachten Tag und Nacht die Tore. Stapelfahrer Steffen Kluge erinnert sich im MDR-Film "Die Erben der Kombinate" (Mai 2009): "Die Geschäftsführung wurde kontrolliert, die durften mit ihrem PKW nicht mehr in den Betrieb rein, Taschen wurden kontrolliert, um zu verhindern, dass Sachen wie CD und ähnliches aus dem Betrieb rausgetragen wurden". Zugleich lief die Suche nach neuen Investoren auf Hochtouren.
Letzte Hoffnung: Mitarbeiterbeteiligung
Als es keine Hoffnung mehr gab, nahm die Belegschaft das Heft selber in die Hand. In einem Beitrag des MDR-Regionalmagazins "SACHSENSPIEGEL" erzählt Freimut Aurich, damals schon Betriebsratsvorsitzender der Union Werkzeugmaschinen GmbH: "Wir standen vor dem Nichts, also vor dem Verlust sämtlicher Arbeitsplätze. Da haben wir uns gesagt, wenn die freie Wirtschaft die Rolle, die ihr in der Theorie zugedacht wird, nicht zu spielen bereit oder nicht in der Lage dazu ist, dann wollen wir's versuchen." Im Klartext hieß das: 100 Mitarbeiter zahlten jeweils 10.000 D-Mark ein und wurden dadurch Gesellschafter der Union. Konrad Fröhlich, einer der "100" erinnert sich: "10.000 Mark sind eine Menge Geld, da musst du schon gut überlegt haben, macht man's oder macht man's nicht. Denn zumal die Chancen zu dem Zeitpunkt halbe-halbe standen, dass es was wird. Meine Frau war auch der Meinung: 'Eh' du zu Hause rumhockst, machst du's eben." Für die Firma war das die Rettung.
Mitbestimmung bei der "Union"
Gegen den Willen der Mitarbeiter-Gesellschafter lief hier gar nichts. Das unterschied die Union von anderen Modellen der Belegschaftsbeteiligung, in der Arbeiter und Angestellte zwar ihre Ersparnisse in die Firma stecken und am Gewinn beteiligt sind, aber nichts zu sagen haben. Die Mitbestimmungsrechte bei "Union" gehen weit über die gesetzliche Regelung hinaus, selbst über die Parität der Montanmitbestimmung. Der alte Betriebsdirektor Wolfgang Becker glaubt an dieses Modell. Erst über Mitbestimmung wachse aus Miteigentum Mitverantwortung. "In jedem anderen Betrieb hat der Erfolg viele Väter, der Misserfolg nur einen. Bei uns hätte auch der Misserfolg viele Väter."
Die neue "Union" und ihr Kopf
Er wurde ihnen von der Treuhand aufgedrückt: ein West-Geschäftsführer. Wen sie nahmen, war den Unionern überlassen. Sie fanden Kurt Hermanns , einen erfahrenen Geschäftsmann mit Wurzeln im westlichen Aachen. Bis 2008 lenkte er die "Union" zusammen mit einem weiteren Geschäftsführer, den die Belegschaft als Mann ihres Vertrauens durchgesetzt hatte. Das war bis 2003 Wolfgang Becker, der auch schon zu DDR Zeiten die Zügel im Betrieb in der Hand hatte. Hermanns entpuppte sich als Glücksfall, raufte sich mit Becker zusammen. Binnen drei Jahren gelang es ihnen, dass die Firma schwarze Zahlen schrieb. 2006, holten sich die Mitarbeiter-Gesellschafter einen neuen Mehrheitseigentümer, die niederländische Finanzinvestorengruppe Nimbus, ins Unternehmen. Mit deren Kapital konnte der notwendige Ausbau der Firma vorangetrieben werden. Zugleich musste die Nimbus den anderen Gesellschaftern aber die besonderen Rechte einer Sperrminorität zugestehen.