DDR in Afrika Mit einer FDJ-Freundschaftsbrigade in Angola
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31. Januar 2011, 11:23 Uhr
Karsten Heinze, 22, hatte einen guten Job beim Kühlmöbelwerk in Erfurt und träumte vom Einsatz in einem fernen Land. Die FDJ schickte ihn als Brigadist nach Angola.
Gerade einmal zwei Passagiere hatte die Iljuschin der Interflug am 14. November 1979 an Bord, als sie nach Zwischenstopps in Tripolis und Lagos endlich Richtung Zielflughafen Luanda in Angola abhob. Einer von ihnen war Karsten Heinze, der andere ein Kollege Heinzes, der ebenfalls als Mitglied einer FDJ-Freundschaftsbrigade ins südliche Afrika entsandt worden war. Die Stimmung war gut, es gab reichlich Sekt, und die beiden waren gespannt, was sie in dem unbekannten afrikanischen Land erwartete. Sie wussten nur, dass Angola sich nach der Unabhängigkeit von der alten Kolonialmacht Portugal immer noch in bürgerkriegsähnlichem Zustand befand.
Das Einsatzgebiet der Beiden aber sollte sicher sein. Außerdem hatte man ihnen mitgeteilt, dass bereits seit September 20 weitere Brigadisten am Einsatzort Gabela im Hochland südöstlich der Hauptstadt arbeiteten. Und dass es dort viele Menschen gab, die ihrer Hilfe bedurften. "Als Freundschaftsgeschenk hatte ich zusammen mit meinem Kollegen eine komplett gefüllte Werkzeugkiste dabei." Denn sie sollten vor allem Motoren reparieren und die Angolaner in die Lage versetzen, sich mit geeignetem Werkzeug am Ende selbst zu helfen.
Mit 'Nichts' Motoren reparieren
Die beiden FDJ-Helfer wurden am Flughafen von Kollegen erwartet. Karsten Heinze erinnert sich: "Bei der ersten Fahrt nach Gabela kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. In vielen Orten sah ich links und rechts der Straße alte Kühlschränke gestapelt, die nicht mehr repariert wurden." Für den Experten des Kühlmittelwerkes Erfurt unfassbare Verschwendung. Zu Hause in der DDR hätten sie solche defekten Geräte längst wieder zum Laufen gebracht.
Mit den beiden Thüringern war die FDJ-Brigade in Gabela nun vollzählig, verfügte über 22 gut ausgebildete Fachleute, alles Freiwillige. Die meisten kamen aus Betrieben des "IFA Kombinats Fortschritt Landwirtschaft" und waren mit dem Bau und der Reparatur von Motoren sowie landwirtschaftlichen Geräten vertraut. "In unserer Brigade arbeiteten Elektriker, Landmaschinenschlosser, Tischler. Einer aus der Brigade war fünf Jahre zur See gefahren, als Maschinenmaat. Der wusste am besten, wie man mit 'Nichts' Motoren reparieren kann. Er konnte über einen Schrottplatz gehen und ohne Zögern sagen: "Das und das Teil brauche ich, damit können wir den Motor zusammenbauen." Die Werkstatt der Brigade lag in einem Industriegebiet von Gabela, das Wohnhaus gut eine Viertelstunde Fahrt entfernt am Ortsrand. Gearbeitet wurde von montags bis samstags, da aber nur bis zum Mittag.
"Wir lebten wie Gott in Frankreich"
Heinze und seine FDJ-Freunde erhielten für ihre Arbeit drei US-Dollar pro Tag. Diese Devisen sparten sie für Einkäufe daheim im Intershop. Denn Unterkunft und Verpflegung waren kostenlos, auch das Gehalt zu Hause wurde weitergezahlt. Die Männer in Gabela waren nicht die einzige FDJ-Freundschaftsbrigade im Land. Andere waren rund um die Hauptstadt Luanda und weiter nördlich im Einsatz. Im Vergleich dazu war das Leben in Gabela viel angenehmer, da es im Hochland nie zu heiß wurde.
Aber auch in Bezug auf die Versorgung ging es den Männern in Gabela besser. So hatten sie zum Beispiel die Versorgung mit Trinkwasser perfekt organisiert: "Wir haben einen W50-Kesselwagen für 5.000 Liter zu einem Wassertransporter umgebaut. Damit sind wir jeden Tag mehrere Stunden zu einer Thermalquelle in die Berge gefahren. Das Wasser, das dort ganz klar war, trat mit einer Temperatur von 60 Grad Celsius an die Oberfläche." So hatten die Brigadisten immer genug sauberes Wasser zum Trinken, aber auch zum Waschen und Duschen. Auch sonst ging es den Männern in Gabela gut. "Die anderen hatten zum Teil nur Fisch und Reis. Wir hingegen lebten wie Gott in Frankreich." Im Hochland gab es nämlich Südfrüchte in Hülle und Fülle. Ananas, Limonen, Bananen - alles war reichlich vorhanden. Aber letztlich ausschlaggebend für das paradiesische Leben war ein anderer Glücksfall.
Das Bier, das Leben und die Schweine
Die Freundschaftsbrigade erhielt 90 Kästen Bier aus einer Brauerei - jede Woche, immer mittwochs. Sie mussten es nur abholen und das Leergut zurückbringen. Die Brauerei lag in Dondo, die Fahrt dorthin mit dem LKW dauerte mehrere Stunden. Natürlich waren 90 Kästen pro Woche zu viel für die 22 Männer. Aber sie hatten genau geplant, wie sie dieses allwöchentliche Geschenk optimal verwenden konnten. Zum einen erhielt jeder Brigadist zum Abendbrot Tag für Tag drei Flaschen Bier. Darüber hinaus half die regelmäßige Bierlieferung, die allgemeine Versorgung der Gruppe deutlich zu verbessern: "Wir haben Bier vor dem Haus an Einheimische verkauft oder getauscht gegen Hühner, Ziegen, Ferkel und sonstiges, was wir zum Essen brauchten."
Hinter ihrem Wohnhaus hielten sie zwei Schweine, die bei festlichen Gelegenheiten geschlachtet wurden. Manchmal stellten die Männer sogar ihre eigene Wurst her. Einziges Problem: Wie schlachtet man ein Hausschwein ohne geeignetes Gerät? Die Experten aus der DDR wussten sich zu helfen: "Da wir unbewaffnet waren, aber auch kein Bolzenschussgerät hatten, haben wir uns vom örtlichen Polizeichef eine Pistole geliehen, um ein Schwein zu 'schlachten'. Das heißt: Wir haben es erschossen." Manchmal wurde auch ein Ferkel am Spieß gegrillt.
Wenn solche Feste im Hof des Wohngebäudes gefeiert wurden, verhängten die Brigadisten den Blick zur Straße mit Planen. Die in ärmlichen Verhältnissen lebenden Angolaner in der Nachbarschaft sollten durch diese "Völlerei" nicht gedemütigt werden. Das reichlich vorhandene Bier wurde auch zur Bewirtung von Gästen genutzt. Ob es nun angolanische Mitarbeiter waren oder Helfer aus anderen befreundeten sozialistischen Staaten wie etwa Kuba.
Kubaner und Kalaschnikows
Die Männer aus der DDR lebten nur rund 400 Meter von einer Gruppe Kubaner entfernt. Diese arbeiteten überwiegend als Lehrer. Es entstanden freundschaftliche Kontakte, man feierte gemeinsam, sang Lieder, redete aber auch über die gemeinsame Aufbauarbeit im Land. Im Unterschied zu den FDJ-Helfern waren die Kubaner allerdings alle bewaffnet, was den Angolanern vor Ort nicht verborgen blieb und nicht zur Beliebtheit der Kubaner beitrug. Karsten Heinze erinnert sich an Besuche in der sogenannten "casa cubana": "Die Kalaschnikows standen in den Zimmerecken. Zum Teil hatten die Kubaner sogar Handgranaten unter den Betten liegen. Regelmäßig gingen sie mit ihren Kalaschnikows in die Wälder und haben damit Wild erlegt."
Abenteuer Helfen
Die FDJ-Freundschaftsbrigade in Gabela hatte einen klar umrissenen Auftrag: "Unsere Aufgabe war vor allem die Wartung der LKW vom Typ "W50", außerdem die Reparatur der Hinterlassenschaften der Portugiesen. Die notwendigen Ersatzteile besorgten wir uns meist auf riesigen Schrotthalden an den Ortsrändern, wo wir alte Autos, aber auch ausgebaute Motoren fanden." Der Reparaturbedarf war groß. Denn viele LKW, die als Hilfslieferung ins Land gekommen waren, standen nach kurzer Zeit still. Weil sie entweder nicht gut gewartet wurden, kein Ersatzteil zur Reparatur vorhanden war oder die Angolaner einfach nicht wussten, wie man sie wieder in Gang bringen konnte. Die Experten der FDJ reparierten aber nicht nur Motoren und LKW, sie bildeten auch fähige Angolaner aus, diese Arbeiten selbständig durchführen zu können.
Das Kinderheim von Gabela
Neben der täglichen Arbeit in ihrer Werkstatt oder in den umliegenden Gemeinden kümmerten sich die Brigadisten besonders um das Kinderheim von Gabela, in dem vor allem Waisen lebten. Jeweils 40 Kinder waren in großen Schlafsälen ohne Licht untergebracht. Karsten Heinze und seine Kollegen sorgten für Abhilfe: "Wir haben im Kinderheim erstmal einen Generator zusammengebaut, damit sie Strom hatten und in jedem Zimmer zumindest eine 25-Watt-Lampe brennen konnte." Aber sie kümmerten sich auch sonst täglich um die Kleinen: "Was wir an Wasser zuviel hatten, lieferten wir im Kinderheim ab." Sauberes Wasser war für die Einrichtung ein unbezahlbares Geschenk.
Zurück in die DDR
Für Karsten Heinze war sein Einsatz in Gabela 1980 zu Ende. Er musste zurück nach Erfurt. "Am 14. August 1980 bin ich zurück nach Berlin geflogen. Ich wollte sehr gerne wieder nach Angola, aber man versprach mir eine Tätigkeit in der Weltraumforschung, da konnte ich nicht Nein sagen." Es ging um eine Stelle beim VEB Carl Zeiss Jena. Erst nachdem er den Vertrag unterschrieben hatte, sagte man Karsten Heinze, dass es sich dabei um "Rüstungsforschung" handelte. Und das bedeutete das Aus für seinen Traum von Afrika. Denn wer in der Rüstung arbeitete, durfte nicht mehr ins sogenannte "nicht-sozialistische Ausland" reisen. Und dazu zählte die DDR auch Angola.
Stichwort: "Brigaden der Freundschaft" der FDJ
1964 entsandte der FDJ-Zentralrat erstmals "Brigaden der Freundschaft" ins afrikanische Mali. Staatstreue und eine gute fachliche Qualifikation waren Voraussetzungen für die Entsendung. Die Brigaden waren ein Instrument der DDR-Außenpolitik. Die Mitglieder hießen deshalb auch "Botschafter im Blauhemd". Zwischen 1964 und 1989 schickte die FDJ insgesamt 60 Brigaden der Freundschaft in 26 Länder, unter anderem nach Angola, Simbabwe, Jemen, Nicaragua, Laos und Tansania. Hauptaufgabe war Expertenhilfe vor Ort und Ausbildung von Lehrlingen.
1984 waren rund 300 Helfer mit 16 Brigaden in neun Ländern tätig. Die Brigaden wurden 1991 abgewickelt, einige ihrer Projekte führen bundesdeutschen Entwicklungseinrichtungen fort.
Buchempfehlungen:
Ostalgie international: Erinnerungen an die DDR von Nicaragua bis Vietnam
Autoren: Thomas Kunze, Thomas Vogel;
Broschiert: 256 Seiten; Ch. Links Verlag; 1. Auflage (September 2010); ISBN-10: 3861536005
"Es geht um unsere Existenz" Autor: Hans-Joachim Döring; Broschiert: 352 Seiten; Verlag: Links (1999); ISBN-10: 3861531852
Alternative deutsche Außenpolitik?: DDR-Außenpolitik im Rückspiegel (II) Hrsg.: Siegfried Bock, Ingrid Muth, Hermann Schwiesau; Taschenbuch: 264 Seiten; Verlag: LIT; 1. Auflage (April 2006); ISBN-10: 3825892786