Menschen beim einkaufen in einer Kaufhalle
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Die gute alte Kaufhalle

26. September 2017, 16:05 Uhr

Am 26. September 1957 öffnete in Köln der erste Supermarkt. Er war nach US-amerikanischem Vorbild konzipiert und besaß eine Verkaufsfläche von 2.000 Quadratmetern. In der DDR wurde erst zehn Jahre später ein erster Supermarkt eröffnet - die "Kaufhalle".

"WtB" – "Waren des täglichen Bedarfs" konnte man in der Kaufhalle erwerben: Brötchen, Butter, Obst, Milch, Drogerieartikel. Die Kaufhalle der DDR war, was heute der Supermarkt oder der Discounter ist.

Kaufhallen erobern die Republik

Von eigentlichen Kaufhallen in der DDR kann man ab Ende der 1960er-Jahre sprechen. Sie waren um die 1.400 Quadratmeter groß und hatten auch ihre besondere Architektur mit hohem Wiedererkennungswert: Eingeschossige Flachbauten mit zickzackförmigem Dach. "Die Struktur des Einzelhandelsnetzes wurde im Laufe der 1960er-Jahre schrittweise verändert. Dabei wurden die Einrichtungen in immer größeren Gebäuden zusammengefasst", schreibt der Kunsthistoriker Martin Petsch. Ab 1974 waren die Einkaufspavillons sogar standarisiert: die 'Einheitsserie Kaufhallen' in Metallleichtbauweise wurde in Serie vorproduziert und in der gesamten DDR aufgestellt.

Kaufhallen mit besonderem Angebot

Im April 1966 eröffnet die modernste Kaufhalle der DDR in Berlin-Lichtenberg. Sie hatte bereits eine Überwachungskamera und mit Marken, die man am Eingang zog, sollte sich das Warten am Fleischstand erübrigen.

Weit über die Region hinaus war auch die Kaufhalle im brandenburgischen Groß Schönebeck bekannt. Das Warenangebot war für DDR-Verhältnisse vorzüglich, vor allem wenn man bedenkt, dass es sich um ein eigentlich unbedeutendes, abgelegenes Dorf handelte. Fast immer gab es hier das wohlschmeckende Berliner Bier, frisches Obst und Gemüse, sogar Südfrüchte wie Apfelsinen, Bananen und Zitronen, zumindest in der Saison. Allesamt "Bückware", die anderswo nur über Beziehungen zu besorgen war.

Das außerordentliche Warenangebot kam durch einen Zufall zustande. Eines Tages im Februar 1976, kurz nach Ladenschluss um 18 Uhr, pochten zwei Jäger an die Glastür. Sie wurden reingelassen, fanden aber nur leere Regale vor. Die Jäger waren Erich Honecker und Günter Mittag. "Bei einem vietnamesischen Reisschnaps aus der eisernen Reserve des Kaufhallenleiters Mroncz kam man sich näher und besprach die mangelnde Versorgung dieser neuen Vorzeigehalle", berichtet das Dorfportal https://www.grossschoenebeck.de. Erich Honecker fragte angeblich, warum die Halle so leer sei und was man an Lieferungen brauchen würde. Der Kaufhallenleiter nutzte die Gunst der Stunde, trug eine lange Wunschliste vor und bat um eine bevorzugte Belieferung direkt aus Berlin und aus der modernen Fleischwarenfabrik Eberswalde. Daraufhin soll Honecker seinen Jagdfreund Mittag gefragt haben, ob das denn möglich sie. "Geht, geht", antwortete der oberste Wirtschaftslenker der Republik und die Kaufhalle wurde fortan in der Tat bevorzugt beliefert. Alles nur, weil Honecker und Mittag in der Gegend Ferienhäuser hatten.

Einen ähnlichen Fall soll es auch in Dresden gegeben haben. Im Stadtteil Johannstadt-Nord gab es eine Kaufhalle, die von den Einwohnern "Modrow-Kaufhalle" genannt wurde. Modrow, Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED in Dresden und späterer Vorsitzender des Ministerrates, wohnte in der Nähe. Die Versorgung der Kaufhalle soll deshalb besser gewesen sein als in anderen Kaufhallen der Stadt.

Versorgungsengpässe

In den anderen Kaufhallen der Republik sah es bei Weitem nicht so rosig aus wie in Groß Schönebeck. H-Milch, Apfelsinen oder süße Kondensmilch gab es. Aber selten. Versorgungsengpässe – und damit lange Schlangen – waren überall an der Tagesordnung. In Berlin weniger als in Kleinstädten. Die Bürger aus der ganzen Republik waren über die Mangelsituation verärgert und auch darüber, dass Berlin immer bevorzugt wurde. Sie schrieben deswegen Eingaben an Partei und Regierung. So schrieb eine Frau aus Dobra 1986:

Ich beantrage zum XI. Parteitag der SED, dass die Landbevölkerung besser mit Obst und Gemüse versorgt wird. Begründung: Von Januar bis November 1985 hat es bei uns auf dem Dorf keine Bananen, keine Aprikosen, keine Pfirsiche, geschweige denn Weintrauben gegeben. Die Devise, dass das Dorf für sich selbst aufkommen soll, ist nun einmal bei Südfrüchten nicht möglich. Unsere Kinder sollen die Südfrüchte nicht nur von Fotos kennen! Außerdem mussten wir noch erfahren, dass in Berlin Aprikosen stiegenweise verfaulen - da ist doch etwas nicht in Ordnung.

Juliane Schütterle, "Klassenkampf im Kaufhaus", Landeszentrale f. polit. Bild. Thüringen 2009

Luxusartikel auch in der Kaufhalle?

Überhaupt: Wer Besonderes wollte, musste in den "Deli", den Delikatladen, die es ab 1966 gab. Dort konnte man etwa Ananas in Dosen für 10,00 Mark oder Trinkfix (Kakao) für 8,00 Mark erstehen. "Die Waren kamen nach einem staatlich festgelegten Prozentsatz von 60 zu 40 aus eigener und aus westlicher Produktion", schriebt Juliane Schütterle in ihrer Studie "Klassenkampf im Kaufhaus". "Mit diesen Spezialläden begab sich die Staatsführung allerdings in ein ideologisches Dilemma, da ihre Konsumpolitik eigentlich auf soziale Gleichheit und gleichmäßig wachsenden Wohlstand für alle Bürger abzielte." Ab 1984 konnte man Delikat-Waren auch in Kaufhallen erwerben. Freilich wieder nur in Berlin. Dort hatten neun Kaufhallten Delikat-Abteilungen eingerichtet.

Kaufhalle im Westen

Gab es die "Kaufhalle" nur im Osten? Nein, keineswegs! In Karlsruhe zum Beispiel existierte eine Kaufhalle von 1958 bis 1999. Sie war eine Art Warenhaus im Niedrigpreissegment, betrieben von der Kaufhof AG. Es war nur eine einzige Kaufhalle. Im Osten Deutschlands ist das Wort als umgangssprachliche Bezeichnung für einen Supermarkt bis heute in Gebrauch.

Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im TV: 15.01.2017 | 19:30 Uhr