Bautzner Senfspezialitäten stehen in der Bautzner Senfladen Manufaktur + Museum, 2016
Bautz'ner Senf Bildrechte: picture alliance / ZB | Arno Burgi

Kochen im Osten Die Ostdeutschen und ihr Senf

08. September 2021, 16:58 Uhr

Durchschnittlich anderthalb Kilogramm Senf verzehrte jeder DDR-Bürger im Jahr. Eine gewaltige Menge. Doch Senf wurde zum Würzen von verschiedensten Speisen verwendet, auch weil andere Gewürze rar waren. Am beliebtesten war der "Bautzner Senf mittelscharf". Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Ganz gleich, ob zur Thüringer Rostbratwurst, zu Fleischgerichten oder zu Kartoffelsalat mit Würstchen: Senf gehört als Gewürz im Osten Deutschlands einfach dazu. Und zwar nicht irgendein Senf, sondern sehr häufig doch der ostdeutsche Klassiker: der "Bautz'ner Senf mittelscharf".

Hoher Senf-Verbrauch in der DDR

Im Osten Deutschlands haben die Menschen offenbar seit jeher ein besonders inniges Verhältnis zum Senf. Durchschnittlich verzehrte jeder DDR-Bürger pro Jahr fast anderthalb Kilogramm Senf. Eine durchaus beträchtliche Menge. In der Bundesrepublik lag der Verbrauch dagegen bei lediglich 90 Gramm pro Jahr. Über die Gründe dafür lässt sich trefflich spekulieren. Sicher ist wohl, dass andere Gewürze in der DDR häufig rar oder schlicht nicht verfügbar waren. Senf hingegen war stets und in ausreichender Menge da. So kam es, dass Senf bei etlichen und unterschiedlichsten Gerichten als Gewürz Verwendung fand. In vielen Kochbüchern aus der DDR wurde Senf als Gewürz von Fleisch- und Wurstgerichten empfohen. Es waren sogar Gerichte wie Senfsuppen oder gar ein Senf-Dessert zu finden. Ein beliebtes Gericht damals: Eier in Senfsoße. Manche aßen Senf aber auch einfach als Brotaufstrich.

Senf war in der DDR ein Grundnahrungsmittel

Senf war in der DDR ein Grundnahrungsmittel und wurde daher staatlich subventioniert. Ein Gläschen "Bautz'ner Senf" etwa hätte cirka 55 DDR-Pfennige kosten müssen, um profitabel zu sein. Stattdessen kam das Gläschen für lediglich 37 Pfennige in den Handel. Den Rest schoss der Staat dazu. Und das über Jahrzehnte.

Ostdeutscher Klassiker: "Bautz'ner Senf"

Der beliebteste und meistverkaufte Senf in den Tagen der DDR war fraglos der "Bautz'ner Senf mittelscharf". An seiner Beliebtheit im Osten hat sich bis heute nichts geändert. Der Senf mit der blassen Farbe, die durch das sehr feine Mahlen der Senfkörner entsteht, und dem leichten Meerrettich-Geschmack ist der ostdeutsche Klassiker schlechthin. Zu DDR-Zeiten galt er mitunter sogar als Bückware. So etwa Anfang der 1980er-Jahre, als die Gläser, in die der Senf gefüllt wurde, plötzlich nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung standen. Viele Kunden hatten, so die Vermutung damals, die Pfandgläser nicht wie vorgesehen zurückgegeben, sondern als Trinkbecher in den Hausrat einsortiert. So gab es zwar Senf, aber keine Verpackung für ihn. Das allerdings stellte die Ausnahme dar. Für gewöhnlich war auch der Bautz'ner Senf jederzeit verfügbar.

"Bautz'ner Senf" mit langer Geschichte

Die Geschichte der Senf-Produktion in Bautzen begann allerdings lange vo der DDR - bereits 1866 in einer kleinen Manufaktur, die sich relativ zügig und vor allem dauerhaft am Markt behaupten konnte. Fast neunzig Jahre später, 1953, wurde aus der alten Manufaktur der VEB Essig- und Senffabrik Bautzen, der wiederum einige Jahre später in VEB Lebensmittelbetrieb Bautzen umbenannt wurde. Der "Bautz'ner Senf mittelscharf" jedenfalls avancierte in diesen Jahren zum beliebtesten Senf in der gesamten DDR. Die Senfkörner wurden überwiegend aus der UdSSR importiert. Heute werden sie vor allem von lokalen Landwirten geliefert.

Auch in anderen Städten wurde Senf hergestellt

Senf wurde damals in der DDR nicht allein in Bautzen produziert. Insgesamt existierten mehr als ein Dutzend kleinerer oder größerer Senf-Fabriken im gesamten Land, so etwa in Jüterbog, in Erfurt, in Altenburg oder im brandenburgischen Tutow, wo ein anderer DDR-Kultsenf hergestellt wurde. Beim Tutower Senf sorgte kanadisches Senfmehl für die nötige Schärfe. Jede dieser Senf-Fabriken bot mehr oder weniger spezielle Geschmacksrichtungen an. Viele dieser kleinen Unternehmen überlebten die DDR allerdings nicht. Sie gingen entweder bereits im Zuge der Deutschen Einheit oder später ein. In Erfurt, Jüterbog und Altenburg wird aber weiterhin erfolgreich Senf produziert.

"Bautz'ner Senf": Erfolgreich auch nach dem Ende der DDR

Mit dem Ende der DDR schien auch das Ende der Bautzner Senffabrik gekommen zu sein. Selbst der Absatz des mittelscharfen Senf-Klassikers ging beträchtlich zurück. 1992 übernahm schließlich das Traditionsunternehmen Develey Senf & Feinkost aus dem bayerischen Unterhaching das ostdeutsche Unternehmen und errichtete eine neue Senffabrik. Nach nur wenigen Jahren griffen die Ostdeutschen plötzlich wieder auf ihr vertrautes und einst so geliebtes Produkt zurück. Der "Bautz'ner Senf" war gerettet. Der Absatz stieg an und erreichte fast wieder das Niveau aus DDR-Tagen. Heute werden jährlich fast 36 Millionen Becher "Bautz'ner Senf mittelscharf" verkauft, das sind 90 Prozent der Gesamtproduktion des Unternehmens. In Ostdeutschland erreichen sämtliche Produkte der Bautzner Senffabrik insgesamt 70 Prozent Marktanteil. Die Bautzner sind damit absoluter Marktführer. Aber auch im gesamtdeutschen Vergleich liegen sie mit einem Marktanteil von immerhin 23 Prozent klar an der Spitze.

Senf ist in ostdeutschen Küchen noch immer unverzichtbar

In den ostdeutschen Küchen wird jedenfalls nach wie vor viel mehr Senf verwendet als im Westen. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist seit dem Ende der DDR kaum zurückgegangen. Laut einer statistischen Erhebung von 2007 beträgt er stolze 1,30 Kilogramm pro Jahr. Daran wird sich seitdem wenig geändert haben, wenn man die Verkaufszahlen betrachtet. Im Westen ist der Verbrauch hingegen relativ konstant geblieben. Senf ist also nach wie vor ein sehr häufig verwendetes Gewürz im Osten der Republik. Und so werden wohl auch Weihnachten wieder etliche Gerichte im Osten traditionell mit Senf gewürzt sein.

Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell | 15. August 2017 | 17:45 Uhr