Georgien Bürgerkrieg und Wirtschaftskollaps
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11. Juli 2016, 10:01 Uhr
Georgien geht einen weitere Schritt auf die EU zu. Am 1. Juli 2016 ist das vollständige Assoziierungsabkommen zwischen der einstigen Sowjetrepublik und der Europäischen Union in Kraft getreten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte Georgien - einst eine der reichsten Unionsrepubliken - den schwersten Wirtschaftskollaps erlitten. Nationalismus und Separatismus stürzten das Land zudem in einen blutigen Bürgerkrieg.
Zu Sowjetzeiten galt Georgien als eine der reichsten Unionsrepubliken - die "Schweiz des Kaukasus". Neben der offiziellen staatlichen Wirtschaft florierte schon damals eine private Schattenwirtschaft, denn in dem subtropischen Klima des Landes gediehen Zitrusfrüchte, Gemüse, Tee und Wein - begehrte Ware auf dem notorisch unterversorgten sowjetischen Markt. Georgische Bauern flogen regelmäßig nach Moskau, um ihre Erzeugnisse mit hohem Gewinn an den Mann zu bringen.
Auch der Tourismus blühte. An der Schwarzmeerküste und im Gebirge entstanden Ferienheime und Sanatorien. Seit dem Zweiten Weltkrieg expandierten zudem die Schwer- und die Rüstungsindustrie, außerdem wurden Steinkohle, Mangan- und Kupfererze in großem Stil abgebaut. Ein äußeres Zeichen des georgischen "Wirtschaftswunders" war die hohe Dichte privater Kraftfahrzeuge im Land, die deutlich über dem sowjetischen Durchschnitt lag.
Wirtschaftskollaps nach dem Zerfall der SU
Nach dem Zerfall der Sowjetunion erlitt Georgien von allen Unionsrepubliken den schwersten Wirtschaftskollaps. Die Absatzmärkte brachen weg, die großen Kombinate wurden stillgelegt, Industriebrachen prägten nun das Bild. Zudem machte eine beispiellose Energieknappheit dem Land zu schaffen. 1990 wurden die Stromlieferungen aus den benachbarten Ex-Sowjetrepubliken für mehrere Jahre gestoppt, die inländischen Kraftwerke bekamen keine Brennstoffe mehr. Die ständigen Stromausfälle schädigten die ohnehin geschwächte Industrie noch weiter.
Auch der Tourismus lag am Boden. Ein in den ersten Jahren der Unabhängigkeit tobender Bürgerkrieg und Kämpfe in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien schreckten viele Touristen ab, die traditionellen Skigebiete, Kurorte und Naturparks zu besuchen. Kamen früher bis zu vier Millionen Gäste jährlich ins Land, waren es gegen Ende der Neunziger nur noch etwas über 300.000.
Minderheitenfeindlicher Kurs
Der erste demokratisch gewählte Präsident Georgiens, Swiad Gamsachurdia, enttäuschte schnell die in ihn gesetzten Hoffnungen. Außenpolitisch ging er auf Konfrontationskurs mit Russland, was zu einer Wirtschaftsblockade von Seiten Moskaus führte. Im Inneren ließ er sich mit diktatorischen Vollmachten ausstatten und verhaftete Oppositionsführer. Gleichzeitig war er nicht in der Lage, die wachsende Macht verschiedener Warlords zu brechen, die das Land unsicher machten. Ein Militärputsch mit einem anschließenden Bürgerkrieg waren die Folge. Die Zahl der Todesopfer ging in die Hunderte, wenn nicht gar Tausende. Gamsachurdia wurde vom früheren georgischen Parteichef und sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse abgelöst.
Auch die ethnischen Spannungen spitzten sich zu. Nach der Loslösung von der Sowjetunion schlug die georgische Regierung einen minderheitenfeindlichen Kurs ein. Das sollte sich schon bald rächen. Im August 1992 eskalierte ein Konflikt mit separatistischen Kräften in Georgiens Autonomer Republik Abchasien, die sich für unabhängig erklärt hatte. Tiflis entsandte die Nationalgarde, um die Separatisten in die Schranken zu weisen. Doch die konnten ein Jahr später mit russischer Hilfe die Oberhand gewinnen. Im September 1993 erlitten die Regierungstruppen eine Niederlage. Fast alle Georgier, die bis dahin fast die Hälfte der dortigen Bevölkerung stellten, wurden aus Abchasien vertrieben. Rund 200.000 Menschen mussten fliehen, mehrere Zehntausend starben.
Ethnische Gewalttätigkeiten flammten auch in Südossetien auf - auch dort mussten mehrere Hundert Menschen den Konflikt mit ihrem Leben bezahlen. Viele Georgier und Osseten flohen aus dem umkämpften Gebiet. 1992 wurden UN-Friedenstruppen mit starker russischer Beteiligung in die abtrünnige Provinz entsandt. Im Südwesten Georgiens löste sich außerdem die Autonome Republik Adscharien von der Zentralregierung los und wurde von dem ehemaligen Sowjetfunktionär Aslan Abaschidse wie ein persönliches Fürstentum regiert, in dem die Zentralregierung nichts zu sagen hatte - von Tiflis toleriert, und von Moskau wohlwollend unterstützt. 2004 gelang es der Zentralregierung, die Kontrolle über Adscharien zurück zu gewinnen. Die beiden anderen autonomen Gebiete - Abchasien und Südossetien - befinden sich dagegen seit dem russisch-georgischen Krieg im Jahr 2008 unter russischer Kontrolle.
Straßenhandel und Auswanderungswelle
All das hatte dramatische Folgen für das Land und seine Bewohner. Allein zwischen 1991 und 1994 sank das Bruttosozialprodukt um 70 Prozent. Viele Menschen verloren ihre Arbeit und rutschten unter die Armutsgrenze. Selbst in der Hauptstadt Tiflis stieg die Arbeitslosigkeit auf unglaubliche 40 Prozent. Ein lebhafter Klein- und Straßenhandel war in dieser Zeit für viele die einzige Überlebenschance. Andere nutzten die gewonnene Reisefreiheit, um im Ausland Waren einzukaufen, die sich im eigenen Land wieder gewinnbringend verkaufen ließen, zum Beispiel Autos, Textilien oder Elektrogeräte. Viele Menschen kehrten dem Land für immer den Rücken und wanderten aus.
Erst Mitte der Neunziger begann sich die Lage zu bessern, nachdem die Weltbank und der Internationale Währungsfonds dem Land mit Millionenkrediten unter die Arme griffen. Das Produktionsvolumen kletterte bis 1997, wenn auch mühsam, auf etwa 30 Prozent des Niveaus zu Sowjetzeiten. Die Hyperinflation, die 1992 bei 1.339 Prozent jährlich lag, konnte nach der Einführung einer neuen Währung eingedämmt werden. Der Lari löste 1995 ein Notgeld ab, das seit dem Zerfall der Sowjetunion parallel zum russischen Rubel und westlichen Währungen verwendet wurde.
Georgiens Wirtschaft kam aber auch danach nur langsam vom Fleck. Eine unterentwickelte Infrastruktur, aber auch Widerstand gegen Reformen seitens korrupter Beamten und Wirtschaftsbosse behinderten noch lange den Aufschwung. Denn schon zu Beginn der Transformation hatten ehemalige Parteifunktionäre, die sogenannte Nomenklatura, das lukrative Staatseigentum unter sich aufgeteilt und für eher symbolische Summen erworben. In der Folge bildete sich eine mafiaähnliche Clanstruktur heraus, gegen die staatliche Institutionen kaum vorzugehen wagten. Die milliardenschweren internationalen Hilfen versickerten in den Taschen einiger weniger.