Interview zum digitalen Radio Wie es um die Markteinführung von DAB+ steht
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06. Januar 2021, 18:06 Uhr
ARD, Deutschlandradio, Privatsender und weitere Mitglieder des Vereins Digitalradio Deutschland bewerben derzeit verstärkt den digitalen Radiostandard DAB+. Damit setzen sie erneut ein Zeichen für die digital-terrestrische Radioverbreitung. An der Aktion beteiligen sich auch die MDR-Radioprogramme u.a. mit Beiträgen, Programmtrailern oder Verlosungsaktionen. Aber wie steht es eigentlich um die Markteinführung von DAB+? Niels Schulze, Abteilungsleiter Programmverbreitung im MDR, antwortet.
Bei welchem Ausbaustand in Sachen Digitalradio befindet sich Mitteldeutschland derzeit?
Aktuell sendet der MDR sein vollständiges Hörfunkangebot von zehn Standorten in Sachsen, acht Standorten in Sachsen-Anhalt, zehn Standorten in Thüringen sowie von einem grenznahen Standort in Bayern. Insgesamt erreichen wir mit diesen 29 DAB+ Senderstandorten eine Versorgung von ca. 88 Prozent der Einwohner und ca. 98 Prozent der Fläche in Mitteldeutschland. Mittelfristig ist mit dem Aufbau weiterer Standorte das sukzessive Schließen der noch bestehenden kleineren Versorgungslücken geplant.
Wo reihen sich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen im deutschlandweiten Vergleich ein?
Dass wir bereits heute eine nahezu vollständige Flächenversorgung und eine vollständige Autobahnversorgung in unserem Sendegebiet sicherstellen können und - noch wichtiger - mehrere Programme exklusiv digital über DAB+ und Internet anbieten, wirkt sich spürbar auf die Akzeptanz von DAB+ und der damit verbundenen steigenden Anzahl an DAB+ Empfangsgeräten in den Haushalten Mitteldeutschlands aus. Dies belegt auch der Digitalisierungsbericht 2018.
So liegt Sachsen im deutschlandweiten Vergleich mit 22 Prozent nach Bayern auf Platz 2 bei der Haushaltsausstattung mit DAB+. In unseren drei mitteldeutschen Ländern verfügen im Mittel ca. 19 Prozent der Haushalte über einen DAB+ Empfänger. Mitteldeutschland liegt damit über dem deutschlandweiten Durchschnitt von 17 Prozent. Wichtig ist: Während die DAB+ Nutzung kontinuierlich steigt, ist die UKW-Nutzung in den vergangenen fünf Jahren signifikant gefallen.
Wie entwickelt sich Digitalradio in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?
DAB+ setzt sich auch international zunehmend durch. Bis zum Ende des zweiten Quartals 2018 wurden mehr als 71 Millionen DAB/DAB+ Geräte in Europa und Asien-Pazifik verkauft. Im zweiten Quartal 2017 waren es noch 58 Millionen Geräte.
Fast zwölf Millionen Empfänger wurden in Deutschland verkauft. Verglichen mit Norwegen, dessen 5,2 Millionen Einwohner über 5,6 Millionen DAB+ Radios verfügen, ist die Haushaltsausstattung Deutschlands noch relativ gering, jedoch stetig steigend. In Norwegen erfolgte 2017 die UKW-Abschaltung zugunsten von DAB+. Lediglich einige private Sender verfügen dort nur noch über eine lokale Restversorgung mit UKW.
In Großbritannien besitzen rund 64 Prozent der Haushalte ein DAB+ Radio und die Netzabdeckung erreicht 97 Prozent der Bevölkerung. Die Regierung will demnächst über einen möglichen Starttermin für die rein digitale Verbreitung beraten. Schon heute sind auf der Insel mehr als 500 Radiostationen über DAB und DAB+ zu hören. In keinem anderen Land gibt es ein so vielfältiges Digitalradio-Angebot.
Die Schweizer hören Radio inzwischen zu 63 Prozent rein digital, knapp die Hälfte (34 Prozent) via DAB+. Die Radiomacher planen, die analoge Radioverbreitung über UKW schrittweise ab 2021 aufzugeben.
In Frankreich baut man das DAB+ Netz schrittweise aus. Nachdem DAB+ bereits in den Großräumen Paris, Marseille, Nizza und - seit Juni 2018 - auch in Lille on air ist, sollen bis Ende 2019 weitere Regionen folgen.
In Österreich, Slowenien, Tschechien und Polen wurden DAB+ Ausstrahlungen gestartet. In Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Ungarn, der Slowakei gibt es Feldversuche. Nahezu alle europäischen Länder setzen mittlerweile bei der terrestrischen Digitalradioverbreitung auf DAB+. Außerhalb Europas gibt es DAB-Aktivitäten in Algerien, Australien, Indonesien, Kuwait, Südafrika, Tasmanien, Thailand, Tunesien, Türkei, Ukraine und in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
In Deutschland befinden wir uns mit DAB+ in der Phase des regulären Betriebes mit hoher Flächendeckung; das Sendernetz und das Programangebot werden kontinuierlich ausgebaut. Die deutschlandweite DAB+ Versorgung liegt aktuell bei 93 Prozent "mobile outdoor" und 82 Prozent "portable indoor". Über 500 weitere Sender sind für den DAB+ Ausbau in Deutschland bis Ende 2024 geplant. Mit der Aufschaltung des zweiten bundesweiten Multiplexes im Herbst 2019 wird ein noch größeres Programmangebot in Deutschland ermöglicht.
Nach welchen Prioritäten erfolgt hierzulande der DAB+ Ausbau?
Beginnend bei der Versorgung von Ballungsgebieten und der Inbetriebnahme hochgelegener leistungsstarker Flächensender liegt der Fokus des weiteren DAB+ Ausbaus dort, wo bestehende Versorgungslücken geschlossen werden müssen, wo die Empfangsstabilität verbessert werden muss und auf Standorten zur lückenlosen Bundesautobahnversorgung Deutschlands. Für uns ist natürlich eine quasi flächendeckende Versorgung das Ziel. Private Anbieter werden sich, wie man am ersten bundesweiten Multiplex sieht, wohl zunächst eher auf eine Ballungsraumversorgung beschränken.
Wie viel Geräte gibt es mittlerweile am Markt und wie sind diese ausgestattet?
Aktuell gibt es über 500 DAB+ Geräte in verschiedenen Preisklassen. Die Modelltypen unterscheiden sich in der Bedienung und Ausführung.
Es gibt sowohl Geräte mit einem einfachen Textdisplay als auch mit einem größeren Farbdisplay, häufig auch mit Touch-Funktion. Neben Songtiteln und Programmnamen können auf letzteren Geräten auch Grafiken und Bilder dargestellt werden. Diese sogenannten Slideshows visualisieren bei MDR-Programmen aktuell das Programmlogo, die Titelliste, eine Wettervorhersage und die News-Headlines.
Tragbare Geräte können je nach Modell sowohl über Netzteil als auch Batterie oder Akku betrieben werden. Einige Geräte verfügen über eine Bluetooth-Schnittstelle sowie Weck- und Alarmfunktionen, ermöglichen das Anhalten und Zurückspulen oder Mitschneiden einer Sendung oder sind auch wasserfest. Je mehr Ausstattung und Funktionen ein Empfangsgerät bietet, desto höher ist in der Regel natürlich der Preis.
Stichwort: DAB+ im Auto. Ab wann kommt die DAB+ Einbaupflicht für alle Neuwagen in Deutschland?
Mit der Umsetzung des Europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (EECC) wird sichergestellt, dass jeder in der EU betriebene Neuwagen ab 2021 einen digital-terrestrischen Empfänger enthält, über den DAB+ empfangen werden kann. Schon jetzt sind aber auch für viele Automodelle DAB+ Radios entweder serienmäßig oder als Ausstattungsvariante verfügbar.
Wie steht es um TPEG, den digitalen Verkehrsservice der ARD, und seine Verbreitung?
Die meisten Automobilhersteller bieten auch kombinierte Systeme mit Navigation und DAB+ Radioempfang für das Fahrzeug an. Diese nutzen derzeit in der Regel noch das TMC Verkehrssystem, das über UKW gesendet wird oder Daten aus dem Internet über eine Mobilfunkverbindung. Der ARD-Verkehrsservice TPEG (Transport Protocol Experts Group) liefert metergenaue und hochaktuelle Daten zur Verkehrslage, Gefahrenmeldungen und weitere verkehrsrelevante Informationen - übertragen mit DAB+ als digitales Rundfunksignal und damit kostenfrei.
Die digitale Rundfunktechnik erlaubt mehr Datenrate, das bedeutet: Die Meldungen kommen schneller ins Navi, die Informationen sind umfangreicher und Staus können örtlich präziser gemeldet werden. Leider unterstützt bislang nur ein Hersteller diese Technologie. Mit dem ARD-TPEG-Service wird jedoch ein deutlicher Marktanreiz für DAB+ und TPEG gesetzt. Hier geht es also auch darum, ein typisches "Henne-Ei-Problem" aufzulösen: ohne Dienste keine Geräte - ohne Geräte keine Dienste.
Im Vergleich zu anderen Technologien hat man das Gefühl, dass sich DAB+ am Markt nur langsam durchsetzen kann. Wo sehen Sie Hindernisse bei der Etablierung dieses Verbreitungsweges, und könnte die Einführung von 5G die DAB+ Marktdurchdringung behindern?
Marktforscher sprechen gelegentlich davon, dass das Radio ein "Low-Involvement-Produkt" sei. Das heißt, das Radio muss lediglich funktionieren und der Nutzer beschäftigt sich eher weniger mit der Informationsbeschaffung zu technischen Neuerungen in diesem Bereich. Somit scheint auch ein Wechsel zu einer neuen Technologie für diese Hörerinnen und Hörer nicht von oberster Priorität zu sein, obwohl diese wie im Fall von DAB+ deutliche Vorteile wie eine bessere Audioqualität, ein größeres Programmangebot und verschiedene Zusatzdienste aufweist. Durch zahlreiche Informations- und Marketingkampagnen der Rundfunkanstalten konnte die Bekanntheit und Akzeptanz von DAB+ stark gefördert werden. Ein besonders wichtiger Impuls für die weitere Entwicklung wäre die Konkretisierung von Rahmenbedingungen für eine mittel- bis langfristige Migration von UKW auf DAB+ durch die Politik.
5G steckt in Deutschland mit der aktuellen Frequenzversteigerung sozusagen noch in den "Kinderschuhen". 5G generell wird noch einige Jahre bis zur Markteinführung benötigen. Die Versorgungsvorgaben in der Versteigerung sehen keine hinreichende Flächenversorgung vor - ähnlich wie heute bei UMTS oder LTE. Künftige Dienste werden kostenpflichtig sein. Überdies steht die Übertragung von Rundfunkdiensten nicht im Fokus der 5G-Entwicklung.
DAB+ hingegen ist ein etablierter Digitalradiostandard, der bereits heute in Fläche nahezu überall in Deutschland verfügbar und kostenfrei nutzbar ist, kein Datenvolumen verbraucht und auch unabhängig von Mobilfunkanbietern ist. Somit wird zum Beispiel auch im Katastrophenfall zuverlässiger Empfang sichergestellt. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stellen mit DAB+ entsprechend ihres Auftrags eine stabile, quasi flächendeckende Hörfunkversorgung der Bevölkerung sicher, neben der es natürlich auch alternative Empfangsmöglichkeiten wie Internetradio, digitales Satelliten- und Kabelradio gibt - oder zukünftig möglicherweise Radio über 5G geben kann.