Das Altpapier am 14. Januar 2019 Einseitig, das aber mehrfach
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Ist RTL der FC Bayern München unter den Medienhäusern? Übertreten einige der neuen Personality-Magazine von Guido bis JWD die "Grenze zur Schleichwerbung"? Und war die Berichterstattung über Geflüchtete 2015/16 nun, wie man lesen kann, "überwiegend richtig" oder, wie man ebenfalls lesen kann, "nicht ausgewogen"? Ein Altpapier von Klaus Raab.
Man ahnt, dass das Dschungelcamp sich nicht komplett neu erfunden hat, wenn Hans Hoff nach dem Start von "Ich bin ein Star – holt mich hier raus!" in seiner DWDL-Kolumne lieber über "Eisenbahn-Romantik-Dokus" schreibt.
Jenseits davon ist, wenn "IBES" beginnt, natürlich auch keine Neuerfindung viele Texte wert, und so werden nun wieder Tag für Tag brav Protokolle des Fernsehgeschehens erstellt. Nur die Zeiten, in denen sich die halbe Republik darüber aufregte, sind offensichtlich auch dieses Jahr wieder vorüber.
Allerdings gibt es in diesem Jahr wieder einmal einen medialen Meta-Grund, sich mit dem Dschungelcamp zu beschäftigen (Altpapier vom Freitag): nämlich die Mätzchen, die das einstige "IBES"-Hausmedium Bild, das sich nun als"IBES"-Enthüllungsmedium geriert, und RTL, das vom Drumherum nun lieber selbst auf rtl.de berichtet, veranstalten. Das Bild-kritische Bildblog schrieb am Freitag:
"Den Namen des neuen Freundes von Helene Fischer hatte die Website von RTL zuerst — die Website von 'Bild' musste nachziehen. Auch bei anderen Promi-News musste sich 'Bild' dem neuen RTL-Portal geschlagen geben. Und derart in die Ecke gedrängt, verhält sich 'Bild' eben nicht anders als ein wildes Tier im Dschungel."
Die Rolle von RTL blieb aber bislang etwas unterbelichtet. Sie wäre allerdings interessant – denn dass der Sender nun auf seiner Website am liebsten selbst über sich berichtet, kennen wir von anderen Unterhaltungskonzernen wie dem FC Bayern München. Und bei denen gilt es durchaus als kritikwürdig (Altpapier). Daniel Bouhs schrieb seinerzeit etwa über die FC-Bayern-Medien: "Kritische Fragen sind hier wohldosiert. (…) Andere Medien sind in dieser nun profitgetriebenen Konstruktion: Konkurrenten." Wann kommt – Frage an die Medienjournalismus-Kolleginnen und -Kollegen da draußen – der tatsächlich relevante Fragenkatalog an rtl.de?
Print-Influencer sind Influencer
Wollen wir aber nun ein wenig über Qualitätsdiskurse reden? Dass sie bei Twitter nicht stattfinden, hat uns Robert Habeck kürzlich beigebracht. Spiegel-Titel, FAS-Titelinterview – es nahm auch am Wochenende kein Ende mit dem Twitter-Ausstieg des Grünen-Chefs. Um einen Text herauszuheben: Claudius Seidl kommentierte in der FAS, Twitter sei besser als sein Ruf:
"Die Frage, was Twitter mit uns macht, bleibt trotzdem wichtig. Nur hat die Antwort nichts mit unseren Befindlichkeiten zu tun. Und alles mit unseren Daten auf den Servern von Twitter und den Algorithmen, die sie verarbeiten."
Aber vielleicht ist es dann auch mal wieder gut jetzt. Reden wir doch lieber mal mehr über Instagram. Instagram, meine Lieben, ist ein mega-junger Ausspielweg der dort nach NDR-Aussagen ungefähr mega-mega-erfolgreichen "Tagesschau". Es ist aber vor allem von Instagram auch nur ein kurzer Weg zu Influencern, und von Influencern sind wir dann ruckzuck beim Markt der neuen Personality-Zeitschriften, deren wundersame Vermehrung zu den Medienphänomenen des vergangenen Jahres zählte – also etwa bei Boa, Barbara, Lafer, Guido oder JWD.
Wir hatten in einem unserer Altpapier-Jahresrückblicke geschrieben, es handle sich quasi um gedruckte Influencer-Magazine. Nun entnehmen wir der Süddeutschen Zeitung: Da könnte was dran sein. SZ-Artikel tl;dr: "Viele der Promis, die hinter den Zeitschriften stehen, sind zugleich Unternehmer. In manchen dieser Magazine werden ihre Produkte auf redaktionellen Seiten vorgestellt."
Durchgezählt hat die SZ etwa die Mercedesse, die in JWD auftauchen, während Joko Winterscheidt Werbung für Mercedes macht.
Von der SZ als Experte aufgefahren wird dabei Benno Pöppelmann, Justiziar des Deutschen Journalisten-Verbands. Der nennt auch ein paar Kritikpunkte, die viele Instagram-Influencer gut kennen. Einige von ihnen befinden sich in juristischen Auseinandersetzungen darüber, ob nicht direkt bezahlte Produkthinweise auf ihren auch werblichen Accounts werblich sind (siehe das besagte Jahresrückblicks-Altpapier). Abgemahnt wurden sie zum Teil aus wettbewerbsrechtlichen Gründen.
Pöppelmann zitiert nun a) den Pressekodex: "Eine Übertretung der Grenze zur Schleichwerbung liegt dem Kodex zufolge nahe, 'wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird'".
Und er bezieht sich auf das b) Wettbewerbsrecht: "Wenn sich ein Unternehmen im Verhältnis zu den Mitbewerbern nicht an das Presserecht hält, ist das ein Vorteil, der wettbewerbsrechtlich problematisch ist."
Interessant also, dass sich auch im Printbereich juristische Fragen stellen, die eigentlich fürs Neuland reserviert sein sollten.
"Die Medien" in der Flüchtlingsdebatte
Interessant war auch, wie unterschiedlich Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung über eine neue Studie geschrieben haben, in der es um die Medienberichterstattung während der sogenannten Flüchtlingskrise geht (die, mit einem zugespitzten Schlagwort, das wohl auch in der Wissenschaft nicht fehlen darf, "Auf den Spuren der Lügenpresse" heißt).
An der Universität Mainz hat sich ein Team von Publizistikwissenschaftlern um Marcus Maurer mit der Frage beschäftigt, ob "die Medien" zwischen Mai 2015 und Januar 2016 richtig und ausgewogen über das Thema – also über Geflüchtete und alles, was sie in der deutschen Debatte betraf – berichtet haben. Weil "die Medien" nicht fassbar sind, haben sie sich ausgewählte tagesaktuelle Publikationen vorgenommen: die SZ, die FAZ und die Bild sowie aus dem Fernsehen die Hauptnachrichtensendungen von ARD, RTL und ZDF.
Und was soll man sagen? Unter der Überschrift "Lügenpresse-Vorwürfe sind nicht haltbar" begann sueddeutsche.de den Text vom 9. Januar (Altpapier) so: "Deutsche Medien haben während der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen 2015 und 2016 Fakten überwiegend richtig dargestellt." Bei faz.net dagegen stieg man am Freitag, auf einen in der Zwischenzeit erschienenen epd-Text zurückgreifend, unter dem Titel "Nicht ausgewogen genug" so in den Text ein: "Die Berichterstattung führender deutscher Medien während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 ist einer neuen Studie zufolge nicht ausgewogen gewesen."
Klingt, als würden sie über unterschiedliche wissenschaftliche Ergebnisse berichten. Die Frage "Hä, und wer lügt jetzt?" ist allerdings die falsche Frage, und das ist die eigentliche Erkenntnis: Die eine Wahrheit gibt’s halt nicht, auch wenn sie noch so sehr verlangt wird. Die Aussagen beider Zeitungen kämen wohl problemlos durch den Faktencheck. Die Forscher schreiben selbst: "Die Medienberichterstattung stellte die relevanten Fakten überwiegend korrekt dar. Sie war zwar meist einseitig, diese Einseitigkeiten fielen jedoch nicht durchweg zugunsten der Zuwanderer aus. Zudem waren im Zeitverlauf deutliche Veränderungen in der Berichterstattung erkennbar."
Die Wissenschaftler unterscheiden also zwischen Richtigkeit und Ausgewogenheit und kommen hier zu verschiedenen Befunden. "Bei der Richtigkeit der Berichterstattung geht es um die Frage, ob die Medienberichte Fakten korrekt wiedergeben." Während in der Öffentlichkeit etwa unterstellt wurde, die Medien berichteten überproportional über Frauen und Kinder, "während es sich bei den Zuwanderern tatsächlich bei Weitem überwiegend um Männer handele", schreiben Maurer und Kollegen: "Entgegen den Eindrücken eines großen Teils der Bevölkerung entsprachen die Mediendarstellungen diesen Verteilungen in Text und Bild fast exakt." Ausnahme: die "Tagesschau", wo im Untersuchungszeitraum häufiger Frauen und Kinder als Männer thematisiert worden seien (was swr.de aus dem ARD-Kosmos – genau wie das bei MDR erscheinende "Altpapier" – hervorhob).
Die Sache mit der Ausgewogenheit dagegen: schwierig. Im Grunde machten die Forscher eher eine mehrfache Einseitigkeit aus. Nur sehr wenige Beiträge seien "in sich ausbalanciert" gewesen, heißt es in der Studie (die ich ganz gelesen habe). Und:
"Auf der Ebene der Gesamtberichterstattung zeigen sich sehr unterschiedliche Formen von Einseitigkeit: Die Berichterstattung über die Zuwanderer selbst war vor allem bis zum Herbst 2015 und vor allem in den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern konsonant und einseitig positiv. Zugleich wurde die Zuwanderung als abstrakter Sachverhalt aber in denselben Medien ebenso konsonant und einseitig als Gefahr für Deutschland dargestellt. Beim Vorrang der Bedürfnisse von Zuwanderern oder Einheimischen zeigen sich schließlich deutliche Unterschiede zwischen den hier untersuchten Medien, die weitgehend ihren redaktionellen Linien folgen. Die Medienberichterstattung war folglich nicht ausgewogen, sondern inkonsistent."
Und um diese Frage noch zu beantworten: Widersprechen die Mainzer Forscher der Studie der Otto-Brenner-Stiftung zum selben Thema, die ebenfalls 2017 erschienen ist? ("Wichtige deutsche Tageszeitungen haben während der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 bei der kritischen Berichterstattung versagt", war laut Autor Michael Haller damals eine zulässige Zusammenfassung – siehe Altpapier.) Die Autoren der neuen Mainzer Studie befinden jedenfalls, ihre Ergebnisse seien "deutlich differenzierter". Wer sich nur das herauspicken will, was ins Weltbild passt, wird sich davon aber nicht abhalten lassen.
Altpapierkorb (Neues Deutschland, HuffPost, Schnee-"Brennpunkt", daily Relotius, die Journalistenpreiskandidatin SDA)
+++ Die taz widmete der Konkurrenz vom Neuen Deutschland in der Samstagsausgabe die Reportage-Doppelseite. Es geht darum: "Zum ersten Mal seit dem Ende der Financial Times Deutschland und der Insolvenz der Frankfurter Rundschau Ende 2012 steht mit dem neuen deutschland wieder eine Tageszeitung auf der Kippe. Und wie bei der FR, die zum Teil der SPD gehörte, ist auch beim nd mit der Linken wieder eine Partei involviert."
+++ Die deutsche Ausgabe der HuffPost wird Ende März eingestellt. An der Reichweite kann es nicht liegen – "Tatsächlich erreichte die deutsche 'HuffPost' im vergangenen Dezember rund 22 Millionen Visits, eine wichtige Reichweitengröße im Netz", schreibt Christian Meier in der Welt. Über die Gründe wird deshalb gerätselt – auch weil Burda selbst, also das deutsche Haus hinter der HuffPost, vage bleibt. Die Samstags-FAZ meldete, "dass sich die amerikanische Muttergesellschaft der 'HuffPost' und Burda als deutscher Lizenznehmer komplett uneins waren. Burda wollte dem Vernehmen nach weiter investieren, die amerikanische 'HuffPost' wollte dies offenbar nicht. Deshalb hat sie den Vertrag mit Burda gekündigt." Und Kress.de schreibt: "Das Mutterhaus in den USA sieht die deutsche HoffPo dem Vernehmen nach nicht als Kerngeschäft. Sie soll selbst angeblich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. In den USA soll die Huffington Post weiter betrieben werden. Das Deutschland-Engagement betrachte man dort allerdings offenbar als Randgeschäft. Wie kress.de erfahren hat, sollen die Amerikaner offenbar daher vorzeitig den Lizenzvertrag rund um die deutsche Huffington Post gekündigt und von einem außerordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch gemacht haben."
+++ Unser daily Relotius: Simon Drescher, Mario Gotterbarm und Sebastian König, wissenschaftliche Mitarbeiter an verschiedenen Seminaren der Universität Tübingen, haben in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über die Reportagenschule von Claas R. geschrieben, und es ist ein instruktiver Text mit ein paar Ausflügen in die Welt der Universitätsrhetorik herausgekommen: "Der Fehler liegt darin zu glauben, die Wirklichkeit sei die Summe aller verifizierten Fakten. (…) Ein gutes Stück Aufarbeitung des Falls Relotius wird darin bestehen, sich einzugestehen, dass vermeintlich die Wirklichkeit spiegelnde Reportagen rhetorisch-narrative Konstruktionen sind, die uns ein Sinnangebot machen. Vor allem wird es der ehrlichste Akt in der Post-Relotius-Zeit sein, nicht weiter einen Diskursstil zu propagieren, der vorgeblich vor jedes politische Meinen zuerst die Darstellung der Wirklichkeit setzt – so als seien Meinung und Wirklichkeit zwei getrennte Sphären."
+++ Öffentlich-rechtliche Sondersendungen zu Wetterphänomenen sind verlässlich ein Quell der Freude: Meedia freute sich über den "realsatirisch angehauchten ARD-"Brennpunkt". Tja, aber die Quoten halt: Die waren supi – schreibt der Tagesspiegel. Welcher der beiden Texte wohl bei der nächsten Schnee-"Brennpunkt"-Diskussion zitiert wird?
+++ Wer verdient eigentlich Journalistenpreise? Michael Furger, Leiter des Ressorts Hintergrund der NZZ am Sonntag, hat einen Vorschlag (Text nach Mailregistrierung lesbar): "Wenn 2018 wirklich jemand einen Journalistenpreis verdient gehabt hätte, dann wäre es die Redaktion der SDA", also der Schweizer Depeschenagentur. "Weil sie in ihrer spröden Art das verkörpert, was Qualitätsjournalismus sein sollte: die Wirklichkeit abbilden. Das journalistische Proletariat der SDA tat dies, während es von seinen Managern und Eigentümern gedemütigt und halbtot gespart wurde. Es ging für seinen Journalismus auf die Strasse. Aber dafür kriegt man natürlich keinen Preis. Zu wenig cool. Zu wenig sexy."
Weil das in der NZZ steht, aber noch ein kurzer (von mir nicht selbst nachrecherchierter) Schlenker zu Wikipedia. Der letzte Absatz im SDA-Artikel-Kapitel "Entwicklungen ab 2017" beginnt wie folgt: "Am 20. Januar 2018 enthüllte der Tages-Anzeiger, dass der Preisdruck von einer Gruppe von Medienhäusern unter Führung von NZZ und AZ Medien ausgegangen war, die unter der Drohung, eine Billigagentur zu gründen, eine massive Preissenkung von der sda forderten."
Das nächste Altpapier erscheint am Dienstag.