Das Altpapier am 2. August 2018 Berufsrisiko

Getötet in der Zentralafrikanischen Republik. Gleichgeschaltet in Ungarn. Rassistisch beleidigt in Gießen. Von der AfD verklagt in Stuttgart. Zur Kasse gebeten von der EU. #Journalisten. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Der Besuch zu vieler Jahreshauptversammlungen als Lokaljournalistin lehrt: Zunächst gedenkt man der Verstorbenen.

Auf einer Recherchereise in der Zentralafrikanischen Republik sind drei russische Kollegen getötet worden: Orhan Dschemal, Alexander Rastorgujew und Kirill Radtschenko. Sie waren im Auftrag des von Kremlkritiker Michail Chodorkowski finanzierten Zentr Uprawlenija Rassledowanijami (ZUR, auf Deutsch: "Kontrollzentrum für Investigatives") unterwegs, dessen Projektmitarbeiter "zu Korruption und ungesetzlichen Handlungen russischer Politiker und Oligarchen" arbeiten, wie Dekoder informiert, wo sich auch aus dem Russischen übersetzte Nachrufe auf die drei Journalisten finden.

Unterwegs waren sie, um der Spur russischer Söldner zu folgen.

"Kämpfer der so genannten 'Wagner'-Gruppe koordinieren in dem Bürgerkriegsland vielen Indizien zufolge russische Waffenlieferungen und bilden dort örtliche Militärs aus. (…) Kritiker beklagen, die russische Regierung schicke statt regulärer Soldaten private Söldner in gefährliche Einsätze - damit mögliche Opfer später nicht der russischen Armee zugerechnet würden",

berichtet aus Moskau für tagesschau.de Markus Sambale.

Warum mussten die drei sterben? Russland-Korrespondentin Gesine Dornblüth nennt im Gespräch mit Brigitte Baetz bei "@mediasres" im Deutschlandfunk drei mögliche Gründe:

"In der Zentralafrikanischen Republik selbst sei von einem Raubmord die Rede; die russische Nachrichtenagentur TASS mutmaße über eine muslimische Rebellengruppe als Täter; Kollegen in Russland gingen von einem Zusammenhang mit den Recherchen der Journalisten aus."

Auf der Medienseite der FAZ (€) hat Kers­tin Holm mehr Details, die für die ersten beiden Varianten, auch in Kombination, sprechen:

"Dschemal, Rastorgujew und Radtschenko waren, Agenturberichten zufolge, in der Nacht zum Dienstag in der Nähe der Stadt Sibut mit Drehausrüstung und ungefähr 8500 Dollar unterwegs, als sie von zehn Bewaffneten, die Turbane trugen und Arabisch sprachen, gestoppt und umgebracht wurden. Ihr Fahrer konnte fliehen. Sprecher der Zentralafrikanischen Republik äußerten den Verdacht, dass die Täter der muslimischen Rebellengruppe 'Séléka' angehörten. Sie wollen einen Raubüberfall nicht ausschließen."

Ihr Finanzier Chodorkowski schreibt im Gedenken auf seiner Website:

"These were brave men who were not prepared simply to collect documentary material, but wanted to 'feel' it in the palms of their hands."

Dort findet sich auch die Info, dass der ZUR-Chef sich nun auf den Weg in die Zentralafrikanische Republik gemacht hat, um selbst zu den Hintergründen der Tat zu recherchieren.

Angeschwärzt, bedroht, gleichgeschaltet: Journalismus in Ungarn

Russische Journalisten in der Zentralafrikanischen Republik - da kann die Globalisierung noch so viel machen, das fühlt sich weit weg an.

In Ungarn hingegen liegen Sie eventuell gerade am Balaton oder bewundern die Kathedrale von Esztergom (ansonsten: eine Empfehlung. Ist bestimmt auch kühl da). Was Zsolt Bogár im Interview mit Matthias Meisner im Tagesspiegel aus seinem Land erzählt, ist aber ebenfalls verstörend.

Bis vor einem Jahr war Bogár noch Journalist. Nun arbeitet er für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest, aus Gründen.

"Wer nicht die Regierungslinie verfolgt, wird als Feind angeschwärzt, der angeblich 'Fake news' verbreitet, und im Auftrag der Opposition oder von György Soros handelt. Wer über die wundersame Bereicherung von Orbáns Oligarchen berichtet, wird von Rechtsanwälten bedroht. (…)

Aber das schlimmste ist, dass Journalisten immer wieder das Gefühl haben, dass ihre Arbeit eigentlich keinen Sinn mehr hat: Korruption, Nepotismus, Hasspolitik, die Aushöhlung der Demokratie, die Krise des Bildung- und Gesundheitssystems und krasse soziale Unterschiede in der Gesellschaft bleiben weitgehend ohne Konsequenzen. (…)

Im Internetbereich gilt es noch eine eingeschränkte Vielfalt, faktisch aber ist die ganz überwiegende Zahl der Medien gleichgeschaltet. (…)

Der Journalismus kontrolliert nicht mehr die Macht, sondern soll die Regierung unterstützen. Kritik gilt quasi als Landesverrat."

Das sind nur die mir direkt ins Auge gesprungenen Passagen. Lesen Sie also ruhig den ganzen Text und vergessen Sie nicht: Das ist Europa, EU, und, wie Manche meinen: in der politischen Tendenz die Zukunft.

#MeTwo in Gießen

Damit kehren wir von unserer thematischen Weltreise nach Deutschland zurück; nicht gleichbedeutend jedoch mit guten Nachrichten.

Wie es ist, als Lokaljournalist im schönen Hessen seiner Arbeit nachzugehen, wenn man Kays Al-Khanak heißt, berichtet eben jener in der Gießener Allgemeinen:

"Dass mich extreme Rechte als 'linken Journalisten' oder wahlweise als 'Leiharbeiter der Gießener Allgemeinen Zeitung' bezeichnen: Berufsrisiko. Dass aber ein Kommunalpolitiker in einem Brief an mich einen türkischen Satz einbaut, den ich nun wirklich nicht verstehe – das muss mir erst mal jemand erklären. Dass ein Dozent an der Universität mich nach einem Test in sein Büro ruft und fragt, wie jemand mit so einem Namen so gut Deutsch sprechen kann, macht mich bis heute fassungslos."

Neben der Bitte, doch mal rasch den eigenen Alltagsrassismus zu reflektieren, bietet die Geschichte für Journalisten die Einsicht, dass wir ein echtes Problem mit unserem Berufszugang haben, wenn Menschen mit unmüllerigen Nachnamen bis heute auf der Gegenseite für große Überraschung sorgen.

Apropos Gegenseite: Warum ein wie es scheint recht engagierter Lokaljournalist wie Al-Khanak nun als Pressesprecher des Landkreises Gießen agiert, könnte man ebenso überdenken.

Streit um Hitlergruß-Emojis

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Nachtrag vom 13.11.2018:

In einer früheren Version dieser Kolumne hatten wir an dieser Stelle über einen Rechtsstreit berichtet, der zwischenzeitlich zu einem erstinstanzlichen Urteil geführt hat, in dem die Wochenzeitung kontext unterlag. Die Zeitung will gegen das Urteil vorgehen (Altpapier).

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Genau diese Haltung erklärt MDR-Kollege Steffen Grimberg in seiner Kolumne in der taz (der Kontext am Wochenende gedruckt beiliegt) zum "Arsch in der Hose".

"Das ist in Zeiten, in denen gerade kleinere Medien oder freie Journalistinnen mit der juristischen Keule teilweise schon während ihrer Recherchen eingeschüchtert werden sollen, ein wichtiges Zeichen."

Nicht von Politikern einschüchtern lassen. Unbequeme Dinge öffentlich machen. Gegenwind aushalten. War das nicht mal die Definition von Journalismus? Die Erinnerung ist dunkel, aber ich glaube schon.

Altpapierkorb (Kontrakt 18, Wörterbuch Rechts-Deutsch, Facebook transparent)

+++ "Die im 'Kontrakt 18' beschworene Bestie Regie kommt also eigentlich recht gezähmt daher. Warum also richtet sich die Kritik der Drehbuchautoren ausgerechnet dagegen?" Fragt auf der Medienseite der SZ Dominik Graf. Die Autoren-Initiative, auf die er anspielt, war zuletzt Ende Juli Thema im Altpapier.

+++ Was rechte Deppen meinen, wenn sie "Deutschland", "Facharbeiter" oder "Merkel" sagen, lässt sich dem Wörterbuch "Deutsch-Rechts/Rechts-Deutsch" in Sascha Lobos Spiegel-Online-Kolumne entnehmen.

+++ Als kleine Medienkolumne freut man sich ja über jede Art der Leserschaft. Also: Herzlich willkommen, Filipp Piatov, Redakteur der Bild-Zeitung! Sie kennen ihn vielleicht, weil er einst aufs #miomiogate der Titanic hereinfiel (Altpapier). Uns ist er seit gestern zudem ein Begriff, weil er glaubt, der MDR sei staatlich finanziert. Aber, wie gesagt, wir freuen uns über alle Leser, auch wenn Sie das Telekolleg "Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" noch vor sich haben.

+++ Warum die taz sich eher nicht strafbar macht, wenn sie zum zivilen Ungehorsam gegen Abschiebungen aufruft, erklärt Jannik Rienhoff von der Uni Marburg im Interview mit Pia Lorenz bei der Legal Tribune Online.

+++ An den am Dienstag verstorbenen ehemaligen Merkur-Herausgeber Kurt Scheel erinnert in der taz Jan Feddersen.

+++ Zahlen, bitte! Vor Ort über die Tagungen des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs berichten? 50 Euro (Michael Stabenow, FAZ Medien, ). Alle Spiele der von der zweiten Liga bis zur Champions League live im Fernsehen erleben? 860 Euro (Joachim Huber, Tagesspiegel).

+++ Endlich Transparenz bei Facebook! Also darüber, wie viel Zeit Sie heute schon wieder dort vergammelt haben. Es berichten Spiegel Online, Meedia, Horizont, Heise u.v.m.

+++ Zu 70 Jahren Nachrichtenmagazin Stern hat Brigitte Baetz bei "@mediasres" Herausgeber Andreas Petzold interviewt.

+++ Bei der Wahl zwischen "Den chinesischen Markt Baidu überlassen" und "Suchergebnisse zensieren" scheint sich Google nach vielen Jahren doch für Letzteres zu entscheiden, leakt The Intercept. Eine deutsche Zusammenfassung hat Heise.

+++ Das Funke-Portal Der Westen goes Heftig.co, hat Mats Schönauer für Übermedien beobachtet.

+++ Über die unsägliche Hartz-IV-Geldkoffershow mit Heinz Buschkowsky, die nun auch noch in eine zweite Runde geht (DWDL), kolumniere ich - kurzer Eigenwerbeblog - im Medientagebuch der Wochenzeitung Der Freitag.

Das nächste Altpapier erscheint morgen.