Das Altpapier am 7. Juni 2018 Auf Krawall getalkt
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Haben Talkshows tatsächlich ausgedient? Oder ist das ganze Maischberger/Plasberg/Will/Illner-Bashing nicht auch etwas eindimensional? Betreiben Sie selbst eigentlich auch Rundfunk? Dann Vorsicht vor den Medienanstalten. Und dürfen ORF-Journalisten künftig neben reitsportlichen und schusterlichen Diensten auch weiter Journalismus machen? Ein Altpapier von Nora Frerichmann.
Gestern Abend konnte man sich zum zweiten Mal in dieser Medienwoche die Frage stellen: Wird es wieder ein feuchter Traum (eines AfD-Wählers)? Zum ersten Mal wurde dieses Negativ-Qualitätssiegel am Dienstag dem "hart aber fair"-Talk über Geflüchtete und Kriminalität zugesprochen (hier und hier im Altpapier nachzulesen). Und auch für die Ankündigung der "Maischberger"-Runde von gestern Abend gab’s ja schon vor der Ausstrahlung einiges an Kritik, denn der Titel lautete zunächst: "Sind wir zu tolerant gegenüber dem #Islam?", was dann nach Kritik noch in "Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?" umgemodelt wurde.
Spoiler: Ja, auch diesmal gab es wieder Potenzial für feuchte Träume von AfD-Anhängern. Islam = Bedrohung, Islam = Gegensatz zur "abendländischen Kultur", auch solche Gleichungen durchzogen erneut die gestrige Gesprächsrunde. Nicht zuletzt, weil der Titel der Sendung und die Gästeauswahl wohl darauf ausgelegt waren. Die "Runde diskutiert vor allem Fallbeispiele, die Vorurteile schüren", heißt es bei der Süddeutschen und bei SPON, es sei so "krawallig" gekommen, "wie es kommen musste".
"Wirklich Erhellendes, gar eine Annäherung blieb wie zu erwarten aus. Die Toleranz endet – wie so oft – bei der eigenen Meinung",
schreibt Heike Manssen für die Madsack Medien.
Ähnlich provokant und unversöhnlich, wie zuvor befürchtet wurde, sei die Diskussion dann auch tatsächlich verlaufen, kritisiert Carolin Gasteiger bei SZ.de:
"Klöckner verteidigte vehement die Rechte der Frauen ('Das ist ein krudes Geschlechterbild') und ließ dafür jegliches Verständnis für die islamische Religion sausen. In der türkeistämmigen Soziologin Necla Kelek fand sie in ihrer Islamkritik eine Gleichgesinnte ('Der Islam ist eine Herrenreligion'). Beide beharkten sich zwischendrin so lautstark mit Haluk Yildiz, Vorsitzender der Migrantenpartei BIG, dass Maischberger die Diskutanten nur mit Mühe wieder einfangen konnte. Gut, dass Bettina Gaus in der Runde saß. (…) Sie halte all das für eine 'überflüssige, symbolisch aufgeladene Debatte', sagte sie, als es ausufernd lang darum ging, wie verwerflich es nun gewesen sei, dass ein Imam CDU-Frau Klöckner nicht die Hand geben wollte."
Politische Prophetie vs. Satire auf Männerfantasien
Aber nochmal zurück zur Kritik, die der Sendung schon vor der Ausstrahlung entgegenschlug: SZ-Redakteurin Dunja Ramadan bemängelte z.B., die bisherigen Diskussionen über Flucht und Islam erinnerten teilweise immer noch
"an die Arroganz und Einfältigkeit ehemaliger Kolonialherren: Menschen und Ländern wird auf erschreckend ignorante Weise ihre Vielfältigkeit abgesprochen. Man spricht nicht mehr über Einzelfälle (…) man unterscheidet nicht in Kultur, Tradition und Religion – sondern vermischt alles zu einer Brühe, die nun schon seit Jahren vor sich hin köchelt."
Auch die Häufigkeit und der alarmistische Ton der Debatten seien unverhältnismäßig.
"Wer am Abend den Fernseher ausschaltet und am nächsten Tag zur Arbeit fährt, sieht nur noch Kopftücher und Salafistenbärte. (…) Deshalb ist es kein Wunder, dass der Durchschnittsdeutsche davon ausgeht, dass 20 Millionen Muslime in Deutschland leben – dabei sind es nur 4,4 bis 4,7 Millionen, wie Studien belegen. Es ist auch kein Wunder, dass die Angst vor dem Islam so hoch ist, wenn gefühlt jeden zweiten Abend über 'den' Islam diskutiert wird – in einer Brisanz, in der man denkt, in Deutschland herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Diese Brisanz wünscht man sich, wenn es um weitaus dringlichere Debatten wie Wohnungsnot, Pflegenotstand, Krippenplätze oder auch das Rentensystem geht. Denn das treibt wirklich alle Menschen in diesem Land um."
Wir diskutieren also nicht nur viel über den Islam (was ja an sich nichts Schlechtes ist), sondern auch mit völlig negativistischer Themensetzung. Ständig werden irgendwelche Bedrohungen heraufbeschworen.
Warum sprechen wir nicht auch mal über positive Aspekte wie Offenheit, Zusammenhalt und Gastfreundschaft, die jedenfalls mit persönlich schon in vielen muslimisch geprägten Ländern und auch hier in Deutschland von Geflüchteten besonders begegnet sind. Oder über die Musliminnen und Muslime, die ihren Glauben nutzen wollen, um für die Rechte von Frauen einzutreten (soll’s ja auch geben), statt das immer per se als Gegensatz darzustellen? Oder warum wird nicht mal darüber diskutiert, was "der Islam" denn überhaupt sein soll, statt die Ängste von Menschen weiter zu befeuern, denen es wohl zumeist an grundlegendem Wissen und alltäglichen Berührungspunkten mit Muslimen fehlt?
Und warum sitzen in den Runden nicht mal Gäste, die neue Standpunkte und andere Sichtweisen einbringen würden, statt altbekannte, polarisierende Thesen wiederzukäuen? Ich denke da z.B. an die jungen Berliner "Datteltäter" (Funk). Klar, das knallt nicht so, da könnte man sich nicht so öffentlichkeitswirksam ankündigen, wie mit denen im Hauptprogramm altbekannten Verdächtigen und mit traditionell boulevardesken Talkshow-Headlines:
"'Kopftuch und Koran – hat Deutschland kapituliert?' Einen Monat später heißt es: 'Schleier und Scharia: Gehört der Islam zu Deutschland?' Und nochmal einen Monat später wieder: 'Die Sarrazin-Debatte: Ist Deutschland wirklich in Gefahr?' Das Ganze lässt sich in Monatsabständen weiterdeklinieren – bis heute." (SZ)
Was die Diskussionen über Flucht und Islam angeht, ist das nischige, als irgendwas für junge Leute abgetane Funk-Angebot den Talk-Runden aber um einiges voraus (besagte Datteltäter, oder z.B. Die Frage, Jäger & Sammler). Das könnte man als Indikator dafür sehen, dass das Modell der politischen Talkshow, so wie es aktuell praktiziert wird und ja nicht erst seit dieser Woche in der Kritik steht (Gedankenstützen z.B. in Altpapier y und z), tatsächlich ausgedient hat.
Auch Matthias Dell zeigte sich bei Zeit Online nicht gerade euphorisiert von der Verbindung der Diskussion mit der Verfilmung des Houellebecq-Romans "Unterwerfung":
"aus der angstgetriebenen Wollust am Schreckensszenario, das im Buch ja gar keines ist, bastelt sich nach dem Theater nun die ARD ihren 'Themenabend'. Die Bereitwilligkeit, mit der das öffentlich-rechtliche Fernsehen jener gefühlsbasierten Panikmache Vorschub leistet, die eigentlich ins Ressort der AfD und ihrer rechtsradikalen Freunde fällt, ist erstaunlich."
In dem Text klingt an, dass die Ausrichtung der Maischberger-Diskussion einen wichtigen Punkt von "Unterwerfung" außer Acht lässt: Die Betrachtung des Protagonisten François, als "erschlafften, gelangweilten, an Politik und Gesellschaft desinteressierten und nur mit dem Schwinden seiner Lust beschäftigten, durch Sex überhaupt fürs Leben erregbaren Literaturwissenschaftler" und die Lesart des Romans als "Satire auf Männerfantasien".
Damit zeichnet Houellebecq ja im Prinzip nicht nur ein Schreckensszenario einer islamischen Republik in Europa, sondern thematisiert gleichzeitig auch Probleme, vor denen "unsere westliche Gesellschaft" steht: eine gewisse Politik- und Gesellschaftsverdrossenheit, Sexualisierungen verschiedenster Art und eine Gleichgültigkeit gegenüber allem, was die Menschen nicht persönlich betrifft. Man hätte also auch ein bisschen mehr meta sein können und über diese gesellschaftlichen Faktoren diskutieren können, die ja Extremismus und Populismus jeglicher Art hervorbringen können.
So werde "Unterwerfung" mit der Maischberger-Diskussion nicht mehr
"als zynischer Scherz eines lächerlichen Mannes rezipiert, sondern zu politischer Prophetie umgedeutet".
Sich jetzt aber auf’s Maischberger/Plasberg/Will/Illner-Bashing zu verlassen und deren Redaktionen allein die Schuld zuzuschustern für alles was falsch läuft im gesellschaftlichen Diskurs über Zusammenleben und Religion wäre wiederum eine weitere unverantwortliche Vereinfachung. Denn auch andere Medien reiten ja bereitwillig auf der Welle der Aufmerksamkeit mit, die sich durch die Empörung über solche Runden und die Inhalte der Diskussionen auftürmt. Es bleibt also kompliziert.
Landesmedienanstaltinische Provinzen
Kompliziert bleibt es auch in der nerdigeren Medienpolitik, z.B. bei den Medienanstalten. Welche Kriterien wenden die eigentlich bei der Wahrung von Recht und Ordnung im Reich des privaten Rundfunks an? Die Frage kommt heute in der taz-Kolumne "Flimmern und Rauschen" auf.
Steffen Grimberg bezeichnet darin die rundfunkpolitischen Regelungen, die Springers Bild einen Bescheid der Medienanstalt Berlin Brandenburg (mabb) eingebracht haben, man möge sich doch für die live im Internet gesendeten Angebote "Die richtigen Fragen" und den "Bild Sport-Talk" um eine Rundfunklizenz bemühen, als "unzeitgemäß". Denn:
"Nach den illyrisch-lyrischen Kriterien der Medienpolitik werden bewegte Bilder im Netz als Rundfunk eingestuft, wenn sie linear werden, redaktionell gestaltet sind und technisch von mehr als 500 Zuschauern/Usern gleichzeitig gesehen werden können. Das ist zwar nach der Brecht’schen Radiotheorie der schönste Beweis, dass wir alle kleine IntendantInnen sind und Rundfunk betreiben, aber mehr als ein bisschen aus der Zeit gefallen."
Die illyrische Komponente der Kritik geht übrigens auf eine Kritik Lutz Hachmeisters zurück, der 2008 mit dem Vergleich der Bedeutung von Rundfunkregulierung und illyrischer Provinzen im 19. Jahrhundert den Stolz einiger Medienpolitiker gekränkt hatte.
Angesichts der Springer-Sache werde er den Eindruck nicht ganz los, dass bei den Medienanstalten
"zumindest immer noch das 20. Jahrhundert in voller Blüte steht und dem digitalen 21. Jahrhundert mal zeigt, dass seine brav fortgeschriebenen medienrechtlichen Staats- und andere Verträge auch heute noch viel Freude bereiten können. Vorausgesetzt, man wendet sie an."
Das mit dem aus der Zeit gefallen sein
"wissen natürlich auch die Medienanstalten, die tapfer darauf hinweisen, dass sie ja nun nicht diese lustigen Gesetze machen, sondern die Politik verantwortlich ist. Weshalb Springer auch gegen den MABB-Bescheid geklagt hat und die MABB den Vollzug erst mal bis Ende Juni aussetzt."
Zur Rettung der tapferen Schneiderlein, äh, Medienanstalten komme aus dem Norden Hamburgs oberstem Medienpolitiker Carsten Brosda,
"der seiner Zunft ins Stammbuch schrieb, doch mal darüber nachzudenken, ob es künftig nicht auch statt einer rundfunkrechtlichen Zulassungspflicht mit einer 'qualifizierten Anzeigepflicht' getan sein könnte."
Hm, gute Idee, aber wohl nicht mal eben so umsetzbar. Denn die Moral aus der Geschicht: Medienpolitik bleibt in Deutschland weiter ein schwerfälliges Ungetüm, irgendwie nerdig, das von kaum einem normalen Menschen verstanden wird und dem Jetzt dennoch ziemlich hinterherhinkt. Ein bisschen ärgern darf man die Damen und Herren Medienregulateure mit dieser Erkenntnis also schon.
Steigbügeldienste in Österreich
Gespannt sein darf man auch in Österreich auf weitere Entwicklungen in Sachen Medienpolitik. Da steht heute und morgen die schon vielbeschworene Medienenquete an, bei der die nebulösen Pläne der ja gar nicht mehr ganz so neuen, euphemistisch als populistisch zu beschreibenden Kurz-Regierung nun endlich konkreter werden sollen.
Im Wahlkampf hatte die FPÖ versprochen, die Gebühren für den ORF abzuschaffen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle aus dem Budget des Staates finanziert werden. Bei Übermedien schreibt die österreichische Journalistin und Buchautorin Eva Weissenberger darüber:
"Was die Regierung tatsächlich plant, vielleicht niedrigere ORF-Gebühren als Kompromiss – man weiß es nicht. Es hieß: Erst warten wir eine Arbeitstagung ab, die so genannte Medienenquete, dann schauen wir mal."
Mehr Infos zu dieser heute und morgen anstehenden Enquete und "Vermessung der Medienwelt" gibt es beim österreichischen Standard, der zuverlässig und detailliert über die medienpolitische Lage im Land (inklusive vergangener Scharmützel zwischen Politik und Medienmenschen) berichtet.
Jedenfalls sorgen sich einige Österreicher um die Unabhängigkeit ihres Rundfunks, vor allem Medienmacher, Künstlerinnen und Intellektuelle. Die Regierung schaue im medienpolitischen Diskurs zu sehr auf den Markt und zu wenig auf die Demokratie, kritisierte die Initiative "Wir für den ORF" laut Standard am Mittwochabend bei einer Kundgebung.
Der ÖVP-Medienminister Gernot Blümel hatte nämlich bei all den unkonkreten Drohungen Richtung ORF doch noch eine einigermaßen greifbare Forderung gestellt:
"Ab sofort wird zusammengearbeitet! Der ORF solle den privaten Medienhäusern dabei 'Steigbügelhalter' und 'Schuhlöffel' sein." (Übermedien)
Wie genau diese lederaffin formulierten Forderungen aber nun umgesetzt werden sollen wird sich wohl bald zeigen. Bis dahin wünschen wir den österreichischen Kolleginnen und Kollegen, dass sie neben reitsportlichen und schusterlichen Diensten künftig auch weiter Journalismus machen dürfen.
Altpapierkorb (Streik, Facebook-Skandal, Sprache und Geschlecht, Italien)
+++ Kommt es bei den Tageszeitungen in Deutschland zum Tarifstreik der Journalisten? Verhandlungen zwischen den Journalistenorganisationen dju, DJV und dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) stocken laut Deutschlandfunk. Wissenswertes haben auch Uwe Matel für dwdl.de und Bülend Ürük für kress.de zusammengeschrieben.
+++ Ach, da war doch mal was: Erinnern sie sich noch an den Facebook-Skandal oder ist der nach verschiedensten Runden auf dem Nachrichtenkarussell (á la Vogelschiss, DSGVO und Meinungen zur AfD-Demo) evtl. etwas in Vergessenheit geraten? Laut New York Times soll das (soziale?) Netzwerk auch Nutzerdaten an chinesische Unternehmen, wie z.B. Huawei und Lenovo, weitergegeben haben. Wundert mittlerweile wohl nicht mehr übermäßig, ist aber vor dem Hintergrund, dass die USA diese Konzerne wegen Verbindungen zur chinesischen Regierung (Achtung, Achtung: kommunistische Partei) teilweise als Bedrohungen für die nationale Sicherheit einstufen, wohl eher unbequem für Zuckerberg. Der konnte sich ja nach nicer PR-Leistung vor der EU und dem US-Kongress erstmal wieder etwas entspannen. Zusammengefasst gibt’s die Infos zur Datenallianz auch bei Meedia.
+++ Und im Interview mit der FAZ (€) wundert sich Justizministerin Katharina Barley (SPD) über die doch eher verhaltene Empörung der Deutschen über den Facebook-Skandal.
+++ Geschlechtergerechte Sprache ist was für irgendwelche Feminerds? Nein, sagen dazu ganz klar der Sprachwissenschaftler Henning Lobin und die Sprachwissenschafts-Professorin Damaris Nübling im SZ-Feuilleton. Die sprachliche Berücksichtigung verschiedener Geschlechter sei nicht nur sinnvoll und wichtig, sondern auch demokratische Pflicht.
+++ Vergangene Woche ging es hier im Altpapier schon mal um das dolce far niente einiger deutscher Journalisten in der Berichterstattung über die Regierungsbildung in Italien: Stereotype übernehmen, statt gründlicher Recherche. Auch bei Übermedien gibt’s dazu nun eine ausführliche Analyse des Wirtschaftsjournalisten Sven Prange.
+++ Und worüber das Netz heut so lacht: "die bessere Hälfte (geringeres Übel) des aus zwei singenden Trainingsanzügen bestehenden Wanna-Bee-Gee-Klatschgitarren-Duos Modern Talking" (FAZ-Medienseite), auch bekannt als Thomas Anders, bekommt eine eigene Show im ZDF: (Achtung Wortspiel!) "Du ahnst es nicht" soll der Ahnenforscher-Spaß heißen. Was man anhand dieser ansonsten eher im ganz unteren Spektrum unserer Altpapiernen Nachrichtenfaktoren angesiedelten Neuigkeit aber noch beobachten kann: eine pittoreske Floskel aus der ZDF-Presseabteilung hat es in die Berichterstattung (z.B. hier und hier) geschafft: die "Reise in die Vergangenheit". Ob die mit dem feschen Oldtimer stattfindet oder mit einer shiny Segelyacht stand aber nicht dabei.
Neues Altpapier gibt’s wieder am Freitag.