Kolumne: Das Altpapier am 16. April 2025 Trump lügt, aber nicht über seine Grausamkeit
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16. April 2025, 12:47 Uhr
Die widerlichste Pressekonferenz im Oval Office seit dem Tag, an dem Wolodymyr Selenskyj dort erniedrigt wurde, wird von hiesigen Journalisten kaum angemessen eingeordnet. Dass Donald Trump bei dem Termin Reporter als "sick people" bezeichnet hat, erwähnt nur ein deutsches Medium. Heute kommentiert René Martens die Medienberichterstattung.
Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.
Wenn Staatsterroristen ihre Opfer "Terroristen" nennen, sollten Medien es nicht tun
Annika Brockschmidt hat in einem Text für den "Volksverpetzer" gerade deutlich gemacht, dass sich die Frage ob man Trumps Bewegung "faschistisch" nennen sollte, unter Experten nicht mehr stellt. Selbst jene, die die Bezeichnung lange kritisiert hatten, tun es jetzt nicht mehr.
Während das also klar ist, wäre über eine andere Begrifflichkeit noch zu reden: Ist für das Lager, in das die USA staatlich gekidnappte Personen deportieren, der Begriff "Gulag" oder eher "Konzentrationslager" angemessen? Die bereits erwähnte Annika Brockschmidt spricht von "Gulag", "The Atlantic" auch, der für die NGO Media Matters for America arbeitende Andrew Lawrence verwendet dagegen den Begriff "Konzentrationslager". Und der in den Medien oft erwähnte und zitierte US-Historiker Timothy Snyder (Altpapier, Altpapier) nutzt in seinem aktuellen Substack "State Terror. A brief guide for Americans" beide Begriffe, "Konzentrationslager" aber häufiger.
Bei Journalisten, die die Kunst des Sich-Dumm-Stellens perfektioniert haben, ist dagegen die Rede von "Mega-Knast" ("Berliner Morgenpost") oder "berüchtigtem Gefängnis für Schwerverbrecher" (ZDF mit diversen Agenturen). Dem demokratischen Senator Scott Wiener gelingt gewissermaßen eine Fusion, er verwendet in einer Pressemitteilung die Begriffe "prison concentration camp" und "mega-prison concentration camp".
Timothy Snyder schreibt:
"Lassen Sie uns mit der Sprache beginnen, denn die Sprache ist sehr wichtig."
Der Kontext ist aber ein etwas anderer:
"Wenn der Staat verbrecherischen Terror gegen seine eigene Bevölkerung ausübt, nennt er sie 'Verbrecher' oder 'Terroristen'. In den 1930er Jahren war dies die übliche Praxis. Wenn wir zurückblicken, sprechen wir von Stalins 'Großem Terror', aber damals waren es die Stalinisten, die die Sprache kontrollierten. Heute steht in Berlin ein bedeutendes Museum mit dem Titel Topographie des Terrors; in der Zeit, die es dokumentiert, waren es die Juden und die auserwählten Feinde des Regimes, die als 'Terroristen’ bezeichnet wurden. Gestern hat es der salvadorianische Präsident im Weißen Haus vorgemacht, indem er Kilmar Abrego Garcia ohne jede Grundlage als 'Terrorist' bezeichnete. Die Amerikaner behandelten ihn wie einen Kriminellen, obwohl er keines Verbrechens angeklagt war."
Welche Lehre sollten Medien daraus ziehen? Wenn ein Terrorregime die Menschen, gegen die es Terror ausübt, als Terroristen oder Kriminelle bezeichnet, sollte man dessen Demagogie nicht perpetuieren. Da reicht es keineswegs, Zitate mit "mutmaßlich" o.ä. abzuschwächen (manchmal geschieht ja nicht einmal das).
Snyder bezieht sich in seinem aktuellen Text konkret auf das, was Adam Keiper, der Executive editor des konservativen Mediums "The Bulwark" als "die abstoßendste Pressekonferenz im Oval Office seit dem 28. Februar" bezeichnet. Gemeint ist: die abstoßendste seit der, auf der Wolodymyr Selenskyj erniedrigt wurde (Altpapier).
Während hiesige Medien die Pressekonferenz mit Selenskyi noch rauf unter runter analysierten (auf welchem Niveau, ist eine andere Frage), wurde die Dimension dessen, was Trump und Nayib Bukele sagten, nicht angemessen in den Blick genommen.
Der oben zitierte Andrew Lawrence macht diese Dimension deutlich:
"Es ist ziemlich verrückt, dem amerikanischen Präsidenten live im Fernsehen zuzusehen, wie er im Oval Office den Bau von Konzentrationslagern in einem fremden Land plant, um Amerikaner unterzubringen."
Auf andere Art Aufschluss über die Dimension gibt der Historiker Thomas Zimmer (siehe Altpapier, Zeit Online). Er schreibt:
"Weil es mir persönlich hilft, wenn Menschen, deren Einschätzung ich vertraue, dies artikulieren, möchte ich sagen: Gestern war für mich einer dieser überwältigenden Tage, an denen ich es nicht schaffe, mich ausreichend abzugrenzen, um zu funktionieren und die Aufgaben des täglichen Lebens zu bewältigen."
Und so etwas schreiben Historiker vermutlich selten, jedenfalls nicht öffentlich.
Ein Unterschied zwischen Bush und Trump
Wir haben es bei dieser Pressekonferenz also mit einem weiteren Einschnitt nach bereits sehr vielen Einschnitten zu tun, und einen instruktiven Podcast dazu gibt es bei "The New Republic". Der Gast: Asawin Suebsaeng, Poltikreporter beim "Rolling Stone" und außerordentlicher Professor für Journalismus an der University of Cincinnati. Wer die signifikanten Passagen des Treffens mit Bukele noch einmal Wort für Wort nachhören (oder im Transkript nachlesen) möchte, wird hier fündig.
Suebsaeng zieht in diesem Podcast einen aufschlussreichen Vergleich zwischen Trumps aktueller Medienstrategie und der von George W. Bush zu Zeiten des "War on terror" - also, als "Bush und seine Bande (…) alle möglichen Dinge wie Folter und Kriegsverbrechen und andere Kleinigkeiten anstellten", aber "versuchten, dies ein wenig zu verbergen". Suebsaeng weiter:
"George Bush would go out there and say to the cameras, Mark my words, or something like that. America doesn’t torture. I do not torture. And of course, it was just complete fabrication and lies. Of course he was. What we have here with President Trump (…) is as if George W. Bush went out there in the White House briefing room and told the press, Yeah, I do torture. What are you going to do to stop me? Come and fucking get it."
Fazit: Trump lügt zwar dauernd (siehe dazu den gefühlt längsten Wikipedia-Eintrag überhaupt), aber über seine Unmenschlichkeit und Grausamkeit sagt er die Wahrheit.
Die "Tagesschau" kann leider auch flapsig
Die, sagen wir mal: Tagesthemisierung der 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" - also den Ansatz, die einst reinen Sprecherinnen oder Sprecher Teile der Sendung moderieren zu lassen - halte ich grundsätzlich für keine schlechte Modernisierungs-Idee. In der letzten Zeit sind die Moderationsabschnitte aber oft unerträglich.
In der gestrigen 20-Uhr-Ausgabe der "Tagesschau" lautete vor dem Bericht über Trumps Angriff auf die Harvard University der erste Satz in Thorsten Schröders Anmoderation allen Ernstes:
"Wer sich mit Donald Trump anlegt, muss mit Konsequenzen rechnen."
Tja, da haben sie halt selber Schuld, diese Uni-Fritzen, wird sich vielleicht mancher Zuschauer denken.
In einer Zeit, "in der die Regierung behauptet, sie habe die Macht, bewaffnete Staatsbeamte auszusenden, um jemanden auf der Straße zu verhaften und ihn dann ohne jeden Rechtsweg in einen Gulag im Ausland zu deportieren und ihn dort für immer zu belassen" (um noch einmal "The Atlantic" zu zitieren) - in so einer Zeit mit einer flapsigen Formulierung den Eindruck zu erwecken, als wäre Trump ein harter und Respekt verdienender Anführer einer Straßengang, ist mindestens instinktlos.
Einen weiteren katastrophalen Satz aus Schröders Anmoderation greift die Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier auf.
Aber es ist natürlich ungerecht, sich im Kontext der US-Berichterstattung auf die "Tagesschau" zu konzentrieren. "Abschiebungen nach El Salvador sind umstritten", teilt uns das ZDF in dem oben bereits verlinkten Artikel mit und liefert damit einen weiteren Beweis dafür, dass man den Begriff "umstritten" nicht mehr nutzen sollte. Als Quellen sind unter dem Text die Nachrichtenagenturen Reuters, AFP, AP und dpa angegeben, deren Anteil an der allgegenwärtigen Faschismus-Beschönigung möglicherweise noch stärker beleuchtet werden müsste.
Was mittlerweile zu befürchten ist: Wenn Donald Trump einen kritischen Journalisten erschießen würde, würde es bei ARD und ZDF vermutlich heißen: "An diesem harten Umgang mit unliebsamer Berichterstattung gibt es Kritik, Mitglieder aus Trumps Partei äußerten aber auch Zustimmung."
Zu den hiesigen Kolleginnen und Kollegen, die in der hiesigen US-Berichterstattung positiv auffallen, gehört Bastian Brauns von t-online.de. Er schreibt über die Pressekonferenz mit Bukele:
"Trumps stellvertretender Chief of Staff, der rechtsradikale Stephen Miller, und seine Justizministerin Pam Bondi logen (…) über viele Minuten hinweg. Sie bezeichneten den unschuldig im Massengefängnis einsitzenden García als Schwerverbrecher. Miller beschuldigte die anwesenden Journalisten, sie würden gefährliche Menschen am liebsten in den USA behalten wollen. Trump beschwerte sich, dass die Reporter so viel nachfragten und bezeichnete sie als 'kranke Menschen'."
Meiner Wahrnehmung nach war T-Online das einzige deutsche Medium, das diesen Angriff Trumps auf Journalisten erwähnte. Wörtlich sagte Trump (siehe das erwähnte Transkript bei "The New Republic"): "Well, they’d love to have a criminal", wobei mit "they" die Reporter gemeint sind, die die Supreme-Court-Forderung, die Rückkehr des unschuldigen Kilmar Abrego Garcia in die USA zu "ermöglichen", für angemessen halten. Und: They would love it. Yeah, they’re sick. These are sick people."
Die "abstoßendste Pressekonferenz im Oval Office seit dem 28. Februar" (Andrew Keiper) macht also auch deutlich: Die Tonalität von Trumps Angriffen gegen Journalisten ist noch härter geworden.
Altpapierkorb (Leben nach dem Tod, immer noch kein Oval-Office-Zugang für AP, Sachsen gegen Medienfreiheit)
+++ "Start-ups und auch große Tech-Konzerne schaffen gerade einen unheimlichen Markt: Angehörige können mit digitalen Kopien verstorbener Angehöriger kommunizieren. Belebt werden diese Software-Geister durch künstliche Intelligenz und die Daten, die diese Menschen zurückgelassen haben." So leitet die "Süddeutsche" ein Interview mit den Regisseuren des Dokumentarfilms "Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit" ein, der heute Abend bei Arte zu sehen ist. Der Film ist mehrfach preisgekrönt, er wurde als bester Dokumentarfilm beim Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet und gewann beim Cinema Peace Award in der Kategorie Global Health, Technology, and Human Enhancement.
+++ Dass beim oben beschriebenen Oval-Office-Pressetermin mit dem salvadorianischen Präsidenten ein Reporter und ein Fotograf der Nachrichtenagentur AP keinen Zugang hatten, obwohl sie ihn gemäß einem aktuellen Richterspruch hätten bekommen müssen - darüber berichtet n.v.a. Doris Simon, die US-Korrespondentin des Deutschlandfunks, für "@medias res". Zur Vorgeschichte: siehe Altpapier, Altpapier.
+++ "Ohne viel nachzudenken, hat die aktuelle Minderheitsregierung von CDU und SPD in Sachsen im Entwurf des neuen Landeshaushalts die Gelder für zahlreiche zivile Projekte zusammengestrichen. Das betrifft auch das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig-Gohlis." Darüber berichtet die "Leipziger Zeitung". Das klingt, als wären die Streichungen versehentlich beschlossen worden - wohingegen ich zu der These neigen würde, dass es sich hier um eine ganz bewusste Entscheidung gegen eine für Presse- und Medienfreiheit einstehende Institution handelt. Das ECPMF (Altpapier) berichtet in eigener Sache: "Der Entwurf des sächsischen Doppelhaushaltes 2025/2026 sieht eine Mittelkürzung von zwei Dritteln für das European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) vor. Sollte der Entwurf verabschiedet werden, stellt dies eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität und Zukunft der Organisation dar." Der DJV Sachsen "fordert daher, die drastische Mittelkürzung, die sich unmittelbar negativ auf die Pressefreiheit auswirkt, zurückzunehmen und die bisherige Unterstützung zu verstetigen".
Das Altpapier am Donnerstag schreibt Ralf Heimann.