Kolumne: Das Altpapier am 15. April 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels 6 min
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Ums neue ARD-Format "Klar" mit Julia Ruhs tobt aufschlussreicher Streit. Die ARD-Kultursendung "titel thesen temperamente" bekommt erst mal keinen neuen Moderator, aber eine Federführung.

Di 15.04.2025 12:26Uhr 05:39 min

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Kolumne: Das Altpapier am 15. April 2025 Alle fühlen sich bestätigt

15. April 2025, 10:23 Uhr

Ums neue ARD-Format "Klar" mit Julia Ruhs tobt aufschlussreicher Streit. Die ARD-Kultursendung "titel thesen temperamente" bekommt erst mal keinen neuen Moderator, aber eine Federführung. Der Washingtoner Prozess, ob der Facebook-/ Instagram-/ Whatsapp-Konzern Meta zerschlagen wird, bewegt auch hierzulande. Heute kommentiert Christian Bartels die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

"Klar" provoziert mit großem Erfolg

Klarheit und das Gefühl, klar zu sehen, sind etwas Schönes. Viele Menschen sind davon überzeugt, klar zu sehen und Klartext zu sprechen (oder zu schreiben). Doof nur, dass das, was sie klar sehen und beschreiben, in anderer Augen oft ziemlich anders aussieht ...

Das neue ARD-Format "Klar" mit der jungen Journalistin Julia Ruhs will provozieren, und das gelingt gut. Erwartungsgemäß finden so ziemlich alle in den klassischen Medien die Startfolge "Migration: Was falsch läuft" unisono schlecht und falsch. Das zeigte sich vorige Woche nicht nur einmal im Altpapier. "Die Meinungsvielfalt ist um eine Einfalt reicher", überschrieb Klaus Raab es am Freitag. So ging es weiter: Am späten Abend legte ZDF-Entertainer Jan Böhmermann nach (dwdl.de). Am Samstag kuratierte der uebermedien.de-Newsletter (Abo) all die Kritik erneut, zitierte auch noch mal die auch hier schon zitierten Gilda Sahebi und Samira El-Ouassil aus "taz" und "Spiegel" sowie den u.a. im Donnerstags-Altpapierkorb zitierten Threads-Post, in dem der NDR-Journalist Daniel Bröckerhoff sich von der NDR-Produktion "Klar" distanzierte. Klar, wenn alle sich gegenseitig bestätigen, sind alle bestätigt und können zufrieden sein.

Was für die andere Seite ebenfalls gilt. Wer denkt, dass der deutsche Journalismus stark von links geprägt ist, erst recht im Öffentlich-Rechtlichen, und ganz anders als seit vielen Jahren die Wahlergebnisse überall in Europa, und dass es schon daher eine gute Idee des NDR ist, im großen Angebot mal einen Gegenakzent zu setzen, kann sich mindestens genauso bestätigt fühlen. "Welt"-Chefreporterin Anna Schneider, zu deren Aufgaben das Austeilen gehört, teilte multimedial aus, allerdings mal nicht gegen die ARD. Sie nimmt auch die bislang wohl schärfste "Klar"-Kritik, einen Instagram-Post der "Neuen deutschen Medienmacher:innen" ("Tiefpunkt in der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks"), gerne mit, schon weil sich über Bundes-geförderten Nichtregierungsorganisationen ja auch klickstark streiten lässt. Sie referiert auch Böhmermann-Scherze und formuliert dann (Abo)

" ... den Eindruck, dass die Realität in zumindest diesen Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Einzug gehalten hat, was im Grunde eine ausgezeichnete Nachricht ist. Das sehen freilich die anders, die bis dahin die diskursive Hoheit für sich beansprucht hatten, und vielleicht auch Jette Nietzard, die Chefin der Grünen Jugend. Sie kam in besagter Reportage ebenfalls zu Wort, es kann also nicht einmal behauptet werden, die Sendung sei sonderlich unausgewogen. Auf die Frage von Julia Ruhs, was Nietzard Eltern oder Angehörigen sagen würde, deren Kinder durch Migranten getötet worden waren, druckste die Politikerin zunächst herum. 'Ich finde es dumm, auf die Frage zu antworten', sagte sie, um es dann doch zu tun: 'Natürlich ist es schlimm, wenn Kinder ermordet werden. Aber Kinder werden nicht mehr von afghanischen Attentätern ermordet als von deutschen Vätern.' Dazu fiel offensichtlich nicht einmal mehr Böhmermann etwas ein."

Das beschreibt im Kern korrekt, was so ab Minute 20:50 im eingangs verlinkten Video zu sehen ist. Sich dazu eine eigene Meinung zu bilden, lohnt.

Schade ist, dass es, seit Elon Musk Twitter runtermodelte, keine gemeinsame Plattform mehr gibt, auf der solch Streit zumindest partiell sinnvoll ausgetragen wird, sondern alle in ihren Filterblasen vor allem Bestätigung finden. Wo Streit am ehesten funktioniert, ist halt doch noch X, das Ex-Twitter.

"Wenn du für dein Format damit wirbst, wer dich alles doof findet, bist du entweder innerlich noch ein Teenie, oder dein Vertrauen in dich und dein Produkt ist nicht besonders groß",

schrieb da die ZDF-Journalistin Nicole Diekmann (die es auf X sicher nicht leicht hat) Ruhs Bescheid. Die reagierte ebendort mit

"Das finde ich jetzt aber ein wenig unfair, liebe Kollegin. Wir erschließen hier gerade für den ÖRR sehr engagiert eine verlorene Zielgruppe!"

sowie einem Herzchen-Emoji. In welchem Post mehr öffentlich-rechtliche Qualität steckt ... liegt wahrscheinlich in den Eyeballs, die überhaupt darauf stoßen. Sehr viele sind's bei X nicht.

Ahmad Mansour adressierte ebd. wiederum die NDM. Übrigens bestreitet der auch oft angefeindete Mansour mit dem Bayerischer-Rundfunk-Journalisten Oliver Mayer-Rüth seit einigen Monaten einen Podcast namens "Kaffee, extra schwarz", dessen Titelfarbe offenkundig auch programmatisch gemeint ist ("was Deutschland bewegt: Migration, Islamismus, Kriminalität, Verteidigung, Wirtschaft und gesellschaftliche Spaltung ... "). Offenbar bemüht die ARD sich inzwischen, ein etwas größeres Meinungsspektrum abzubilden als sie und die Öffentlich-Rechtlichen überhaupt es lange taten. Das kann man selbstverständlich so oder so finden. Ich finde es absolut sinnvoll.

"ttt" nun mit Federführung

"Nun hat die ARD die Aufarbeitung der Sache", also der, wie heißt das Trend-Fremdwort?.. Causa Thilo Mischke "offenbar abgeschlossen", berichtet dwdl.de. Mischke wurde ja erst unter mittelgroßem Hallo als neuer Moderator der Kultursendung "titel, thesen, temperamente" angeheuert und dann nach größerer Aufregung unter noch größerer abgeheuert. "Das Fazit fällt ernüchternd aus", schreibt dwdl.de. Was zumindest angemessener erscheint, als wenn es berauschend ausgefallen wäre ...

Eines der Probleme bestand bekanntlich darin, dass für die unter dem einheitlichen Titel am späten Sonntagabend ausgestrahlte Sendung mehrere ARD-Anstalten wöchentlich abwechselnd zuständig sind. "Die über Jahre bewährte Zusammenarbeit verschiedener ARD-Häuser bei 'ttt' hat im Jahr 2024 einen kritischen Punkt erreicht, den wir sehr bedauern", heißt es dazu in der breit (z.B. auch zeit.de/dpa) zitierten Mitteilung. Daher wurde, so nun wieder dwdl.de

"entschieden, dass 'ttt' eine Federführung erhält, die in den kommenden zwei Jahren beim MDR liegt. Das passiere, um 'Entscheidungsprozesse zu bündeln und Verantwortlichkeiten eindeutig zu regeln'".

Werden also bald die Kulturschaffenden Florian Silbereisen oder Ross Antony... nein!

"Gegenüber DWDL.de teilte der MDR am Montagnachmittag auch direkt mit, dass man vorerst nach keinem weiteren Moderator für die Sendung suche. 'Wir setzen auf Siham El-Maimouni als Moderatorin und planen erst einmal kein Casting zur Besetzung eines weiteren Moderators', so eine Sprecherin des Senders".

Der altertümlich anmutende Begriff "Federführung" ist wieder im Kommen. Was genau er bedeuten wird, also ob er mit dem Verlust von inhaltlicher Einfalt einhergeht, weil etwa alle ARD-Radioprogramme bald dieselbe Besprechung desselben Buchs senden werden, muss scharf beobachtet (bzw. gehört) werden.

"Das Federführungsprinzip zum Beispiel vertraut einzelnen Anstalten wichtige Teilbereiche der Bereitstellung der Infrastruktur an, ein Mittel, um Kosten und Leistungen wesentlich transparenter und effizienter zu steuern und am Ende auch zu senken",

informierte gerade das Powerhouse der ARD-Gremienvorsitzendenkonferenz in einer ansprechend (fünf Zeilen Überschrift, grooßen Porträtfotos ...) gestalteten Pressmitteilung. Es geht ungefähr darum, noch vor dem für Dezember erwarteten "möglichen Inkrafttreten des Reformstaatsvertrags" proaktiv einen "Fahrplan zur weiteren Umsetzung der eigenen Anstrengungen um mehr Effizienz und Innovation" anzukündigen. Nicht ganz leicht zu lesen. Dafür überrascht am Ende der Mitteilung ein (relativ) flottes Lars-Eidinger-Zitat.

Wird der Meta-Konzern zerschlagen?

Donald Trump handelt erratisch, gegenüber denen, die sich für seine Freunde halten, wie gegenüber denen, die es nicht tun. Der Chef des Facebook-Instagram-Whatsapp-Konzerns Meta, Mark Zuckerberg, hatte sich dem neuen, alten US-amerikanischen Präsidenten zwar eher noch eilfertiger angebiedert als manche seiner Oligarchen-Kollegen. Darauf vertrauen, dass ihm das hilft, kann er nicht, wenn nun in Washington "der Prozess um die Klage der US-Regierung gegen Meta, der mit einer Zerschlagung enden könnte" (spiegel.de), läuft. Darauf verlassen, dass das Gericht nach bestem Wissen und Gewissen oder zumindest nach im Rechtsstaat USA bewährten Gesetzen ein Urteil finden und verkünden wird, kann der Rest der Welt sich freilich auch nicht. Der neue Vorsitzende der Wettbewerbsbehörde Federal Trade Commission (FTC), deren Klage verhandelt wird, "hat bereits durchblicken lassen, dass er einer Anordnung von Trump folgen würde", schreibt Simon Hurtz in der "Süddeutschen" unter der Überschrift "Dieser Prozess bedroht Metas Existenz".

Die "FAZ" berichtet im Wirtschaftsressort (Abo), wie der Meta-Konzern bei seiner Verteidigung auch auf solche geopolitischen Faktoren setzt, die Trump wahrscheinlich mit bewegen:

"Es ist absurd, dass die FTC ein großartiges amerikanisches Unternehmen zerschlagen will, während die Regierung gleichzeitig versucht, Tiktok zu retten, das Chinesen gehört",

zitiert sie die Meta-Chefjuristin Jennifer Newstead. Erste, nicht überraschende Prozess-Aussagen Zuckerbergs zitieren die Agenturen am Morgen. Und gestern Abend eröffnete das Thema gar das "heute-journal" im ZDF – mit einem auch aufschlussreichen Aufeinandertreffen des Moderators Christian Sievers, den dabei wenig mehr zu besorgen schien als die Frage, ob auch künftig alle Apps wie gewohnt funktionieren, und Markus Beckedahl, der am Ende des Kurzinterviews dann der nächsten Bundesregierung die Förderung von gemeinwohlorientierten Alternativen und allen sowieso Signal statt Metas Whatsapp als Messenger empfahl.

Auf seiner "Digitalpolitik"-Webseite äußerte der netzpolitik.org-Gründer weitere Vorschläge, wie Deutschland – das schon deshalb mit betroffen ist, weil Metas Marktmacht hierzulande mindestens so groß wie in den USA ist, eher noch größer – reagieren sollte. Unter anderem:

"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte mit gutem Beispiel vorangehen: Warum muss ich zum Kommentieren von Sendungen zu YouTube oder Facebook wechseln? Warum geht das nicht datenschutzfreundlich ohne dass mein Nutzerverhalten komplett überwacht und kontrolliert wird - in der Mediathek oder auf gemeinwohlorientierten Plattformen, die mich nicht überwachen?"


Altpapierkorb (Angriffe auf Journalisten/ NDR-Streit/ "Paypal-Mafia"/ Andree in Perugia/ evangelische Publizistik/ Abschaffung des geistigen Eigentums??)

+++ Die Reporter ohne Grenzen zählten kürzlich "insgesamt 89 Angriffe auf Medienschaffende" in Deutschland im Jahr 2024 (Altpapier). "Nach 69 Fällen im Jahr 2023 wurden für das Jahr 2024 insgesamt 98 Fälle von physischen Angriffen auf Journalist:innen verifiziert", vermeldet nun das Leipziger European Centre for Press and Media Freedom (ecpmf.eu). +++

+++ In den Aufsichtsgremien des NDR, zwischen denen die Wahl der neuen Intendantin kürzlich scheiterte, und drumherum herrscht doch durchaus Zeitdruck. Und zwischen den vier Bundesländern, die die Anstalt tragen, herrscht inzwischen wortklauberischer Streit zur "Gretchenfrage: Was ist eigentlich ein 'Vorschlag'?", berichtet Timo Niemeier bei dwdl.de. +++

+++ Zu den ersten größeren Digital-Konflikten der nächsten Bundesregierung dürfte die Frage zählen, ob der mutmaßlich bayerische neue Innenminister auf Palantir-Software setzt, wie sie in Bayern unter dem euphemistischen Akronym VeRA ("verfahrensübergreifende Recherche- und Analyseplattform") schon läuft ("Berliner Zeitung"). +++ Die Grünen stimmten im Bundesrat teilweise dafür, wollen auf Bundesebene aber dagegen klagen, stand gestern hier im Altpapierkorb. +++ Ausführlich der südafrikanischen Kindheit, die den Palantir-Haupteigentümer (und J.D.Vance-Unterstützer) Peter Thiel mit Elon Musk verbindet, geht "Telepolis" unter der Spitzmarke "Paypal-Mafia"nach. +++

+++ Viel frischen Stoff zur leider juristisch brisanten Frage, wie US-amerikanische Medien denn nun den Golf von Mexiko nennen müssen (oder dürfen), bietet Detlef Georgia Schulze im "Theorie als Praxis"-Blog der "taz". +++

+++ Den hier oft erwähnten Kölner Medienwissenschafter Martin Andree auf dem Journalismusfestival in Perugia, auf Europatournee quasi, wo er sein Buch "Big Tech muss weg!" vorstellte, hat der "Standard" gesehen: "Die Frage des Publikums: Sind Andrees Vorschläge aber nicht utopisch? Der Medienwissenschafter ist allerdings in diesem Fall optimistisch. 'Ich würde sagen, dass es einerseits utopisch scheinen kann. Aber vergleichen wir es mit den anderen großen Problemen, mit denen wir gerade konfrontiert sind: Im Vergleich zu Kriegen, Klimawandel und Korruption ist dieses Problem komplett selbst geschaffen durch unsere eigenen erfundenen Regeln', ist Andrees Schlussfolgerung." +++

+++ Viel Stoff, der bereits vor längerem auf einem Podium diskutiert wurde und auch gedruckt erschien, bietet nun Philipp Greifenstein in seinem eulemagazin.de. Wobei es um die evangelische Publizistik geht, die eigentlich nicht von der Echtzeit getrieben wird, sondern in deutlich größeren Zusammenhängen denkt. Allerdings: "Wir sind insbesondere auf Social-Media- und Streaming-Plattformen tagtäglich mit Branded Content, Native Advertising und einer Vielzahl von Formaten konfrontiert, die einstmals geachtete Grenzen im Interesse der Protagonist:innen und Produzent:innen überschreiten. Es stellt sich nicht zuletzt die Frage, ob wir als Medienkonsument:innen nicht längst das Gespür und die Kompetenz dafür verloren haben, wirklich unterscheiden zu können, was wir bei einem konkret vorliegenden publizistischen Produkt zu sehen bekommen: Journalismus oder PR?". Für alle, die sich für evangelische Publizistik (die ja auch im Medienjournalismus eine wichtige Rolle spielt) interessieren, ist der Essay "Die Zukunft der Flüstertüte" ein lesenswerter Longread. +++

+++ Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn die Meldung, dass eines unter ziemlich vielen Fernsehkommissars-Darsteller-Duos in mehr als anderthalb Jahren seine Rollen aufgeben wird, in vielen Medienressorts weit oben steht? +++

+++ Und dann haben Elon Musk bzw. vor allem Jack Dorsey, einst Mitgründer des guten alten Twitter, noch "die Abschaffung aller Gesetze gefordert, die geistiges Eigentum schützen", meldet golem.de.

Das nächste Altpapier schreibt am Mittwoch René Martens.

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