Kolumne: Das Altpapier am 11. April 2025: Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab 6 min
"Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren im aktuellen Altpapier die wichtigsten Medienthemen des Tages. Bildrechte: MDR | MEDIEN360G
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Vom Koalitionsvertrag sind die Verleger underwhelmed, die Produzenten aber angetan. Beim NDR ist immer noch unklar, wie man die Intendanz besetzt.

Fr 11.04.2025 09:43Uhr 05:33 min

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Kolumne: Das Altpapier am 11. April 2025 Die Meinungsvielfalt ist um eine Einfalt reicher

11. April 2025, 09:20 Uhr

Vom Koalitionsvertrag sind die Verleger underwhelmed, die Produzenten aber angetan. Beim NDR ist immer noch unklar, wie man die Intendanz besetzt. Und das neue Fernsehformat "Klar" scheint den Wahlkampf komplett verpasst zu haben. Heute kommentiert Klaus Raab die Medienberichterstattung.

Porträt des Altpapier-Autoren Klaus Raab
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Das Altpapier "Das Altpapier" ist eine tagesaktuelle Kolumne. Die Autorinnen und Autoren kommentieren und bewerten aus ihrer Sicht die aktuellen medienjournalistischen Themen.

Zur Medien- und Netzpolitik im Koalitionsvertrag

Da bildet man eine Koalition, stellt einen Vertrag vor – und dann landet man bei den großen deutschen Journalismusportalen trotzdem nur hinter den erratischen Idiotien des US-Präsidenten. Ganz oben: Trump, Trump, Tesla, Zölle, Trump, Duschkopf, Trump. Erst darunter: der Koalitionsvertrag von Union und SPD.

Aber natürlich wird das, was da zu lesen ist, dann nicht direkt wieder weggepackt, sondern bleibt auch an Tag zwei Thema für die Redaktionen. Ralf Heimann hat hier im Altpapier gestern schon auf die Passagen geschaut, die Kultur und Medien betreffen. Im Lauf des Tages folgten diverse weitere Analysen.

Michael Hanfelds Exegese der medienpolitischen Vorhaben im "FAZ"-Feuilleton (Abo) (ausnahmsweise nicht auf der Medienseite) fällt verärgert aus. Denn eine Zustellförderung für Tageszeitungen, in deren Sinn Hanfeld seit Jahren kommentiert, wird zwar im Koalitionsvertrag erwähnt, aber nicht angekündigt. "Erläutert" soll sie werden (das seltsame Wording fiel Ralf Heimann gestern hier schon auf), aber was heißt das? Jedenfalls nicht, dass sie kommt. Hanfeld hat statt der gewünschten Förderung sogar noch eine Verschlechterung festgestellt für "die unabhängige Presse, die mit Journalismus Geld verdienen muss und Steuern zahlt" – also Verlagsmedien wie Zeitungen und Zeitschriften, deren Verband sich ebenfalls underwhelmed äußert (horizont.net, Abo). Durch eine Auflage fürs Telefonmarketing werde es, so Hanfeld, für sie

"noch ein wenig schwerer; sollen Verträge, die auf diesem Wege angebahnt werden, doch der schriftlichen Bestätigung bedürfen. Darauf haben Verbraucherschützer mit Blick auf Glücksspielanbieter gedrungen, doch trifft es auch Verlage."

Sicher ist, diesmal werden es nicht die Grünen sein, die es für die Verlage verbockt haben.

Zufriedener sind wohl die deutschen Filmproduzentinnen und -produzenten (dwdl.de). Eine "zeitnahe Reform der Filmförderung" ist angekündigt, "bestehend aus einem steuerlichen Anreizsystem sowie einer Investitionsverpflichtung". Genau das, was die Produktionsallianz wohl wollte. Mit einem Dank wird Björn Böhning zitiert, der Filmbranchenlobbyist und Produktionsallianz-Vorstand (sowie, nicht irrelevant in dem Kontext, ehemalige SPD-Staatssekretär).

Wer sich für einfach alles interessiert, was die kommende Bundesregierung im Bereich der Netzpolitik plant, ist bei netzpolitik.org gut aufgehoben (ein Fleißige-Lieschen-Sonderlob geht heute dorthin). Zwischen dem Einstiegssatz "In Sachen Bürgerrechte und Überwachung erwartet uns eine harte Zeit" und dem Schlusszitat "Wir setzen uns für den Erhalt des freien, fairen, neutralen und offenen Netzes ein" ist dort ausführlich eingeordnet, was digital- und netzpolitisch zu erwarten ist.

Das "Social Media Watchblog" ordnet ein wenig anders, nämlich nach "The Good", "The Bad" und "The Ugly". Beim Thema "Ugly" sind wir da, wo wir gerade bei netzpolitik.org auch schon waren: bei der Inneren Sicherheit als Argument für ansatzlose Massenüberwachung. Unter den guten Dingen listen Martin Fehrensen und Simon Hurtz das Bekenntnis zum Digital Service Act der EU.

Dass aber keine erkennbare starke Reaktion auf die Macht der US-Plattformen herauszulesen ist, ist tatsächlich irritierend und daher Teil von "The Bad": "Der Satz 'Die Entwicklung offener europäischer Plattformmodelle begrüßen wir' ist zu dünn", schreiben Fehrensen und Hurtz. Das stimmt.

Wie geht’s weiter beim NDR? (Fortsetzung)

Die ehemalige Bertelsmann-Managerin Sandra Harzer-Kux ist vergangene Woche bei der Wahl zur NDR-Intendantin durchgefallen, obwohl – oder weil? – sie die einzige Kandidatin war, die der Verwaltungsrat vorgeschlagen hatte (Altpapier). Seitdem ist ungewiss, wie es weitergeht. "Wie geht’s weiter beim NDR?", fragte schon der Altpapier-Kollege Christian Bartels am Dienstag. Heute nochmal dieselbe Frage: Wie denn nun?

Stefan Fischer weist in der "Süddeutschen Zeitung" (Abo) darauf hin, dass der Verwaltungsrat dem Rundfunkrat keineswegs nur eine Person vorschlagen müsse, nur weil er das bislang immer so gehandhabt habe. So interpretiere zwar der Verwaltungsrat den Staatsvertrag. In dem, so Fischer, sei

"das so eindeutig aber gar nicht formuliert. Dort heißt es: 'Der Intendant oder die Intendantin und der Stellvertreter oder die Stellvertreterin werden vom Rundfunkrat auf Vorschlag des Verwaltungsrats für die Dauer von fünf Jahren gewählt.' Auch eine Liste, die zwei oder drei Namen enthält, ist schließlich ein Vorschlag."

Mögliche Optionen für die Wahl, die Fischer nun anreißt:

  • Sandra Harzer-Kux stellt sich noch einmal zur Wahl.
  • Eine neue Kandidatin / ein neuer Kandidat muss aus dem Kreis der bereits geprüften Kandidaten vorgeschlagen werden, weil es eine Ausschreibung gegeben hat, "(w)oraus sich die Frage ableitet, ob nun formal überhaupt Personen in Erwägung gezogen werden könnten, die an der Ausschreibung nicht teilgenommen haben".
  • Es gibt eine andere, NDR-interne Lösung. Das sei "(w)ahrscheinlicher", schreibt Fischer.

Die nächste Runde "Wie geht’s weiter beim NDR?" kommt bestimmt.

"Klar" sagt, was Julia Ruhs für falsch hält

Wenn jemand "Klartext", "Klarsprech" oder eine Ansprache an "Klardenker" ankündigt, folgt erfahrungsgemäß nichts als eine starke Meinung. Ob sie empirisch gedeckt ist, ist nicht unbedingt relevant. Entscheidend ist, dass die Performance nicht von Zweifeln und Grautönen getrübt sein darf. Man erfährt deshalb in der Regel einiges über die Meinungswelt der Person, die "klar" gesprochen hat. Aber weniger über die Sache, über die sie spricht. Zu der hat sie nämlich unter Garantie nur das beigetragen, was ihre Meinung stützt.

Angelehnt an den Gebrauch des Wortfelds "Klar…" ist der Titel der neuen Reihe, die NDR und BR aufgesetzt haben. Sie heißt nämlich "Klar" (und wurde gestern hier schon kurz erwähnt). "Klar" folgt der Devise: "Wir von Klar sagen, was falsch läuft". Die Presenterin, Julia Ruhs, kündigt das in Minute eins des neuen, zunächst auf drei Folgen ausgelegten Formats an. Wie in Kolumnen, die "Klares" in verschiedenen Nuancen versprechen, sieht man aber auch hier nicht das, was objektiv "falsch läuft". Sondern das, was aus Sicht derer falsch läuft, die behaupten, dass es falsch läuft, und glauben machen wollen, dass es außer ihnen niemand sagt.

In der ersten Folge geht es um die Migrations- und Asylpolitik. Und es spricht nichts dagegen, sich damit immer wieder journalistisch auseinanderzusetzen. Position zu beziehen. Aber auch einzuordnen. Verbreitete Thesen zu überprüfen. Genauigkeit in die Diskussion zu bringen. Klarheit zu schaffen, wo doch gerade bei dem Thema so viel gemeint und geraunt wird. Dass so kontrovers darüber gestritten wird, wie Julia Ruhs in ihrer Anmoderation behauptet, stimmt ja: "Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen, aber es ist eines der ganz großen Streitthemen dieser Zeit."

Aber was nicht unwidersprochen hinnehmbar ist, ist die Behauptung, es würde in der Debatte über Migrations- und Asylpolitik irgendetwas ausgeblendet, was nicht in einer linken oder wenigstens merkelianischen Tradition stehe. Zitat Julia Ruhs bei X:

"Das gefällt vielleicht nicht jedem, aber NDR und BR starten ein neues Format – für mehr Meinungsvielfalt. Wir haben in den letzten Jahren zu oft unliebsame Themen + Meinungen ausgeblendet."

Anderes Zitat Julia Ruhs, nachzulesen bei dwdl.de:

"In den vergangenen Jahren wurde viel von Diversität gesprochen, doch das ging auch einher mit dem Ausblenden unliebsamer Themen und Meinungen. Viele Menschen haben das so gesehen. Ihnen möchten wir mit unserem neuen Format ein Angebot machen".

Entschuldigung, aber hat da jemand die Wahlkämpfe der vergangenen Jahre komplett verpennt?

Was passiert in Folge eins von "Klar"? Begleitet wird der Vater einer jungen Frau, die von einem Asylbewerber ermordet wurde. Es geht nach Aschaffenburg, wo nach einem Messerangriff eines Afghanen ein Kind und ein Mann starben. Zwei Unternehmer mit türkischem Background "fordern mehr Kontrolle an den Grenzen und sprechen sich für klare Maßnahmen gegen die Zuwanderer aus, die sich nicht an die Regeln halten" (ndr.de).

Was davon fände medial nicht statt, gäbe es dieses neue Format nicht? Julia Ruhs und Redaktionsleiter Thomas Berbner sprechen "Tagesthemen"-Kommentare. Der Vater des Mordopfers war zu Gast beim öffentlich-rechtlichen "Markus Lanz". Nach Aschaffenburg gab es unzählige Beiträge, Talks, Diskussionen über genau das, was angeblich ausgeblendet wird. Kontrollen an Grenzen waren schon zu Ampelzeiten Regierungsprogramm; die Union hat damit weite Teile ihres Wahlkampfs bestritten und regiert demnächst; kaum ein Wahlkampfformat kam ohne ausführlichen Block zur geplanten Asylrechtsverschärfung aus; die AfD jubelte, dass endlich ihre Politik umgesetzt werde. Wie kommt man auf die Idee, zu diesem über Wochen nur unter der Maßgabe "Verschärfung" diskutierten Thema das einfältige Narrativ von der angeblich verschwiegenen Wahrheit zu bedienen? "Nachplappern" – das ist übrigens das Wort, das Gilda Sahebi in ihrer

taz"-Rezension zu "Klar" einfällt.

Samira El-Ouassil schreibt in einer "Spiegel"-Kolumne (Abo), in der sie sich "Klar" vornimmt: Es sei "beinahe skurril, wenn ausgerechnet Migration nun als vermeintlich totgeschwiegenes Reizthema verkauft wird".

"Wenn ständig wiederholt wird, über Migration dürfe man ja nicht reden, bleibt vor allem hängen, dass man nicht darüber reden darf. Wenn ständig durch das Drübersprechen bewiesen werden muss, dass es keine Engerwerdung eines Themenkorridors gibt, dann haben wir, vorauseilend und als trotziger Beleg einer Debattenfreiheit, die notorische Auseinandersetzung mit dem, worüber angeblich zu wenig gesprochen wird. Es verkehrt die Realität ins Gegenteil: Aus permanenter Präsenz wird vermeintliche Absenz."

Klarheit, schreibt sie, entstehe "nicht dort, wo man mit Tunnelblick dieselben Fragen immer wieder stellt". Das wäre damit geklärt.


Altpapierkorb (ARD-Akzeptanzstudie, "Zeit" und "Zeit Online", türkische Journalisten festgenommen, ZDF = EÖS, Offliner)

+++ Gerade wurde die neue "ARD-Akzeptanzstudie"vorgestellt (epd Medien):"Der Aussage, dass die Angebote des öffentlich-rechtlichen Senderverbunds 'Menschen wie mir eine Stimme geben', stimmten im Rahmen der aktuellen ARD-Akzeptanzstudie 44 Prozent der Befragten zu, das waren vier Prozentpunkte mehr als im Jahr 2023." Was es heißt, dass "Menschen wie mir eine Stimme" gegeben wird, ist mir dabei nicht ganz klar. (Was würden Sie denn auf die Frage antworten? Und falls Sie nein sagen würde, wäre das dann ein Signal des Misstrauens – oder einer anderen Erwartung an die ARD?) Die ARD jedenfalls wolle, schreibt epd Medien, "mehr Menschen in ganz Deutschland eine Stimme und ihren Geschichten und Eindrücken mehr Raum" geben.

+++ "Die Zeit" und "Zeit Online" verbinden sich noch stärker und heißen demnächst beide "Die Zeit". Andere haben ihr Print- und ihr Onlinehaus auch schon verzahnt, das ist also ein kleiner Trend. Willi Winkler arbeitet in der "Süddeutschen" (Abo) das journalistische Graubrot nun allerdings zu einem süßen Teilchen um, zählt die Chefinnen und Chefs im Impressum durch – "Schon jetzt verfügt die 'Zeit' in ihrem Impressum über mehr Zierrat als jede schwäbische Barockkirche" – und mutmaßt, wo es hingehen könnte, "wenn Hamburg und Berlin demnächst zusammengeführt sind": zu mehr Chefinnen und Chefs, "denn jedes Ressort hat doch mindestens einen Chef und zwei stellvertretende Chefs".

+++ In der Türkei wurden zwei Investigativjournalisten festgenommen, "die mehrfach über die Vorwürfe gegen den seit nun mehr seit dem 19. März inhaftierten Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu berichtet hatten", schreibt die "taz". Zwei weitere Journalisten. Die "FAZ" berichtet ebenfalls: "Reporter ohne Grenzen erklärte, Soykan und Ağirel hätten jüngst in einem Youtube-Format Vorwürfe erhoben, dass es bei den Ermittlungen gegen Imamoğlu und andere Bürgermeister der größten Oppositionspartei CHP Unregelmäßigkeiten gegeben habe."

+++ Auf der Suche nach Fernsehformaten mit irgendwas mit "Klar" im Namen zufällig über ein Bürgerformat in der ZDF-Mediathek gestolpert, "Klartext", das vor einer Bundestagswahl ausgestrahlt wurde. Und zwar vor der… vor welcher Bundestagswahl denn nun… äh, Moment… nein, kein Datum, nirgends. Es wird wohl die Bundestagswahl 2025 gewesen sein, denn befragt wurden dem Infotext zur Sendung zufolge Robert Habeck, Alice Weidel, Olaf Scholz und Friedrich Merz. Aber könnte man nicht irgendwo ein Ausstrahlungsdatum hinschreiben?

In der neu gestalteten und funktional umdekorierten Mediathek des ZDF scheint das auch sonst nicht mehr verlässlich vorgesehen zu sein. Zufällig zusammengesuchte Marietta-Slomka-Interviews zum Beispiel mit Karl Lauterbach, einer Korrespondentin in Beirut oder dem Bundesbank-Präsidenten tragen alle kein Datum. Seit das ZDF der Erste Öffentlich-Rechtliche Streamingdienst (EÖS) zu sein beansprucht und seine Mediathek entsprechend überarbeitet hat, scheinen relevante Informationen, die es in der alten ZDF-Mediathek noch gegeben hat, folglich weggefallen zu sein. Dass das Lauterbach-Interview etwa von 15. Oktober 2024 ist, kann man zwar durch eine Internetrecherche herausfinden, wenn man nichts anderes zu tun hat. Aber warum das Datum für den EÖS nicht ohnehin zu einem archivierten journalistischen Beitrag gehört?

+++ Es gibt immer noch Offliner in Deutschland, und es gibt wieder einmal neue Zahlen zu ihnen: "Gut 4 Prozent der 16- bis 74-Jährigen in der Bundesrepublik waren eigenen Angaben zufolge noch nie online." Von den 16- bis 44-Jährigen waren es zwei Prozent. Das berichtet tagesspiegel.de unter Berufung aufs Statistische Bundesamt. Vor allem diese zwei Prozent interessieren mich ja doch.…

Am Montag schreibt das Altpapier Christian Bartels. Schönes Wochenende!

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